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05.10.2023

Durch das Rila Gebirge in Bugarien





9 Tage, 156 Kilometer, 7475 Meter Aufstieg, 


Es ist schon fast ein Jahr vergangen, nachdem wir unsere Wandersaison 2022 in Bulgarien beendet haben. Jetzt kommt mein Blogeintrag dazu. 


Nachdem wir nach 33 Stunden Busfahrt um 2 Uhr nachts in Istanbul angekommen sind, schlafen wir erst einmal ein paar Stunden und genießen dann das Frühstück auf der Dachterrasse des Hotels mit Blick über die Altstadt. 

Dann haben wir den Rest des Tages um uns ein wenig in der malerischen, geschichtsreichen Stadt an der Schwelle zwischen Orient und Okzident umzuschauen. Wer mit dem Islam nur religiöse Fanatiker verbindet, lernt hier viel über diese so vielschichtige Religion und kann wundervolle Bauten besichtigen. Viel zu schnell vergehen die Stunden und wir begeben uns schließlich zum zentralen Busbahnhof der großen Stadt, wo erst gegen 22 Uhr unser Flixbus nach Sofia abfährt. Gegen Mitternacht überqueren wir die Grenze nach Bulgarien, wo wir nach mehr als drei Monaten im Kaukasus wieder in der Eu ankommen. Um 6 Uhr morgens erreichen wir die Hauptstadt Sofia und kaufen pünktlich zur Öffnung eines Supermarks Vorräte für die nächsten 10 Tage und nehmen dann einen Stadtbus, der uns in 45 Minuten zum Ausgangspunkt unserer Wanderung am Moreni Hotel auf 1800 Meter bringt. Bei wunderschönem Herbstwetter jetzt Anfang Oktober steigen wir an großen Granitblöcken vorbei durch kupferrote Heidelbeerflächen langsam aufwärts, während 1300 Meter unter uns sich die ausgedehnte Großstadt erstreckt.

Ein ausgetretener Pfad führt zum Gipfel des Cherni Vrah auf 2290 Meter. Offenbar ist der Berg ziemlich beliebt, wir treffen etliche andere Leute hier oben.  Obwohl es sehr sonnig ist, weht hier oben ein kalter Wind. Um den Berg herum erstreckt sich eine Hochebene, auf der wie ein Schild verrät, sogar ein Torfmoor gedeiht. Als wir auf dem Europaweg 4 langsam tiefer gelangen, wandern wir durch eine weite Landschaft aus gelben Grasflächen mit verstreuten Kiefern, später auch teilweise bereits verfärbten Buchenwäldern. Viele der Blätter sind braun und vertrocknet, offenbar war der Sommer hier sehr trocken. Nachdem wir den Cherni Vrah hinter uns gelassen haben, wird die Landschaft sehr einsam und wir treffen nur eine junge Tschechin, die schon seit elf Tagen wandernd unterwegs ist. Gegen 17 Uhr schlagen wir dann unser Lager im Buchenwald auf.


                                         Start auf 1800 Meter, weit unten liegt Sofia

                                        Cherni Vrah (2290m)

                                         Abstieg in weiter Landschaft
                                         Hagebutten
                                         Buchenwälder


Die Nacht ist angenehm mild, fast noch sommerlich. Während die aufgehende Sonne die Wolken färbt und schließlich als roter Ball über dem Horizont erscheint, sind wir auf Fahrspuren und kleinen Wegen wieder unterwegs durch die offene Landschaft. Deutliche Tatzenabdrücke zeigen, dass hier auch Braunbären unterwegs sind, und dass in unmittelbarer Nähe der Hauptstadt! Gegen 11 Uhr müssen wir eine kleine Zwangspause einlegen, da uns zwei Jäger in einem Geländewagen darauf hinweisen, dass hier gerade eine Jagd statt findet und sie uns daher bitten erst in eineinhalb Stunden weiter zu laufen. 

Die abwechslungsreiche Landschaft aus Grasflächen, Gebüschen und Waldstücken bietet bestimmt zahlreichen Wildschweinen eine Heimat, wir hören aber nur wenige Schüsse. Es ist so warm, dass wir mit T-Shirt und kurzer Hose laufen und Eidechsen, sowie einige Schmetterlinge noch unterwegs sind. 


                                         Sonnenaufgang
                                         Bär!





                                         Buchenald prägt die niedrigen Lagen von Rila und Pirin
                                            Mirabellen

Am nächsten Morgen überqueren wir die Asphaltstraße bei dem Ort Klisura und wandern auf Forstwegen weiter aufwärts. Ab etwa 1500 Metern tauchen wir in den Fichtenwald ein, und erreichen schließlich gegen Mittag die Grenze des Rila Nationalparks, mit über 81.000 Hektar der größte Nationalpark Bulgariens, der mit allerhand Superlativen aufwarten kann. So erstrecken sich hier 40 Gipfel mit mehr als 2000 Meter Höhe, darunter der Mussala, der höchste Berg Bulgariens. Es gibt über 120 Seen, und der größte Teil des Waldes ist ungenutzter Naturwald. Auf einem schmalen Pfad geht es durch den urigen Fichtenwald weiter aufwärts, in den einige endemische Kiefern eingemischt sind. In der Nähe der Gavna Hütte begegnen wir an diesem schönen Sonntag einigen anderen Wanderern und verlassen bei 1950 Meter Höhe schließlich den Wald. Ein ausgedehntes Becken ist hier mit dichten, niedrigen Latschenkiefern bewachsen. In der Nähe des Sees Dolnato Ezero schlagen wir dann schließlich etwas abseits des Wegs unser Lager auf. 


                                         Fichtenwald ab 1500 m


                                         Gavna Hütte


Am nächsten Morgen stelle ich fest, dass mir ein Wanderstiefel fehlt. Einige Meter vom Zelt entfernt entdecke ich ihn wieder. Offenbar hat ein Fuchs den Lederstiefel aus der Zeltapsis verschleppt, und sogar ein kleines Loch in das Außenzelt gebissen. Glücklicherweise haben wir den Schuh gleich wiedergefunden. Nicht auszudenken, wenn er weg wäre!

Zunächst wandern wir heute Morgen entlang einer beliebten Route, die 7 Seen miteinander verbindet. Die Gewässer liegen auf Stufen in unterschiedlicher Höhenlage, aber schließlich gelangen wir an einen Aussichtspunkt von dem aus wir alle Seen überblicken können. 


                                         7 Seen


Während hier einige Leute unterwegs sind, haben wir die weite Landschaft dann bald für uns alleine, als wir über ein grasiges Hochplateau wandern und dann einem Grat folgen. Urplötzlich kommt Nebel auf, und ruft interessante Stimmungen hervor. Das Rudel aus mindestens 15 Gämsen, die schemenhaft aus dem Grau auftauchen, wirkt fast wie Berggeister. Wir steigen bis auf 2700 Meter Höhe, und bewältigen dann einen steilen, verblockten Abstieg durch die hochalpine, schroffe Landschaft. Obwohl es über Tag noch recht warm ist, sind die Wasserfälle hier bereits gefroren. Nachdem wir die große Malovica Hütte passiert haben, steigen wir sehr steil durch ausgedehnte Latschenfelder wieder auf. Wir passieren zwei Seen und erreichen schließlich den schön gelegenen Strasnoto Ezero. Oberhalb des Gewässers befindet sich eine steinerne Hütte mit Ofen, die Platz für 12 Leute bietet. Hier auf 2450 Meter Höhe ist es ziemlich frisch, daher schlagen wir gerne in dem Gemäuer unser Lager auf, und genießen im Kerzenschein hier zurückgelassene Müsliriegel. 


                                         Weite Hochfläche


                                         Gämsen


                                         Eis

                                         Hütte am Strasnoto Ezero

    Bei Kerzenschein in der Hütte

Am Morgen ist es bedeckt, aber die gedämpften Farben des Herbstes wirken sehr schön in diesem Licht. Von der Hütte steigen wir hoch zu einem kleinen Pass. Stellenweise ist der Weg mit Drahtseilen gesichert, die man aber nicht wirklich benötigt. Der Nebel hängt bauschig in den Tälern und einige Male beobachten wir Gämsen. Schließlich erreichen wir die offene Branise Hütte in einem breiten Grastal. Bald geht es wieder aufwärts zu einem felsigen Grat und wir sind froh, dass der Pfad durch die Latschen vor kurzem freigeschnitten wurde!

Schlammige Wege zeigen an, dass hier noch Kühe weiden und tatsächlich treffen wir auf drei Männer an der Ribni Hütte, in deren Nähe die Rinder sowie etliche Pferde grasen. Im Sommer ist hier im Rila Gebirge bestimmt einiges los, aber jetzt haben wir die Berglandschaft mehr oder weniger komplett für uns. Während wir vom Ribni Stausee wieder aufsteigen, beginnt es zu nieseln und ich würde am Liebsten schon das Lager aufschlagen, aber Anke will lieber noch weiter zum See Sinoto Ezero, den wir schließlich erreichen. Zwischen den Latschen finden wir einen geschützten Platz für unser Zelt. Es ist kühl und regnerisch, daher ziehen wir uns bald in unseren „Nylonpalast“ zurück.


                                        herbstliches Morgenlicht
                                        Drahtsicherungen
                                         Nebel in den Tälern
                                         Gämse

                                        Oberhalb der Branise Hütte


                                    Zirbe
                                        Sinoto Ezero

Am nächsten Morgen steigen wir wieder zum E4 auf und folgen dann lange einem felsigen Grat. Leider ist es sehr neblig, aber wenn der Dunst kurz aufreißt, ergeben sich atemberaubende Ausblicke, bis die Felsmauer bald wieder verschluckt wird. Einige Stahlseile sichern exponiertere Stellen ab, aber das Vorankommen ist nicht wirklich schwierig.



                                         Auf dem Grat



Leider laufen wir den Rest des Tages durch dichten Nebel und sehen daher nichts von der Landschaft mit Latschengebüschen und ausgedehnten Grasflächen. Dafür sind Stiefel und Socken bald klatschnass…

Im Abstieg zur großen Makedonia Hütte entdecken wir einen Autoschlüssel, den offenbar jemand verloren hat. Die Hütte steht offen, es ist aber niemand zu sehen, dennoch deponieren wir den Schlüssel im Eingang, bevor wir weiterwandern.

Als wir am nächsten Morgen wieder aufbrechen zeigt sich ein roter Streifen zwischen dunklen Wolken. Mehr Sonne sehen wir dann aber auch heute nicht. Lange Zeit steigen wir durch offene Bereiche ab, wo wir zu unserer Überraschung einen Feuersalamander auf dem Pfad antreffen. Sehr erstaunlich außerhalb des Waldes und am 13. Oktober würde man erwarten, dass die Amphibien schon im Winterschlaf sind. Ein rot-weiß markierter Weg führt uns dann in den Wald aus Kiefern und Buchen. Zwei Waldarbeiter sind hier dabei, mit einem Rückepferd das Holz an einen Fahrweg zu transportieren. Gegen Mittag gelangen wir dann an eine vielbefahrene Straße. Es gibt einen Campingplatz und einen großen Hotelkomplex, aber alles hat bereits geschlossen. Die Sommersaison ist definitiv vorbei!

Auf der anderen Seite der Straße gelangen wir in den Pirin Nationalpark, mit 40.000 Hektar zwar nur halb so groß wie Rila, aber ebenfalls eindrucksvoll. Die Informationstafeln hier sind leider nur in kyrillischer Schrift verfasst. Auf einem Fahrweg passieren wir einen großen Picknickplatz und queren eine Skipiste. Das Terrain ist überall recht steil, daher schlagen wir schließlich auf einer Geländestufe im Buchenwald unser Zelt auf. Da es hier kein Wasser gibt, gehe ich noch einmal los um unseren Beutel aufzufüllen. Irgendwann gelange ich querwaldein in ein tief eingeschnittenes Tal, aber das Bachbett ist trocken. Ein Stück weiter unterhalb beginnt das Wasser dann aber doch zu fließen. 


                                         Sonnenaufgang

                                         Feuersalamander
                                         Langer Abstieg
                                         Im Tal

                                        Der Pirin Nationalpark beginnt
                                                        Mächtige Tanne
                                                           Lager im Buchenwald


Den ganzen nächsten Tag fällt ein stetiger Regen. Es ist düster und ungemütlich, daher beschließen wir im Zelt zu bleiben. Mit Vorlesen und Podcasts vergeht die Zeit erstaunlich schnell. In der Nacht wird es recht kalt und am nächsten Morgen gelangen wir bald in frisch gefallenen Neuschnee. Als die weiße Pracht dann von den dicht stehenden Latschen taut, wird es unangenehm nass. Schließlich erreichen wir einen Sattel auf 2250 Meter Höhe. Wir sind kalt und nass, das Wandern macht überhaupt keinen Spaß mehr, außerdem ist bei uns buchstäblich „Die Luft raus“, da es ohnehin bald nach Hause geht. Daher beschließen wir kurzerhand unsere Wanderung im Pirin zu beenden und steigen in wärmere Bereiche ab. Als dann zurück im Buchenwald die Sonne erscheint, kommt die herbstliche Laubfarbe schön zur Geltung. Schließlich erreichen wir den Fuß der Berge und folgen einer Straße nach Razlog, wo wir uns in einer günstigen Pension einmieten und uns erst einmal eine heiße Dusche gönnen. 


                                         Kochen auf dem Hobo

                                         Neuschnee
                                          Kalt und nass

                                         Oktober
                                            Herbstwald
                                         Gebirgsrand


Am nächsten Morgen haben wir Glück, als wir an der Straße unsere Daumen in den Wind halten, schon bald hält der etwa 40-jährige Martin und nimmt uns bis nach Sofia mit, wo wir schon mittags ankommen. Martin spricht sehr gut englisch, hat bei Banken gearbeitet und ist jetzt Mitarbeiter einer Behörde, die EU-Gelder verteilt. Er erzählt uns, dass es in Bulgarien seit dem EU-Beitritt 2007 aufwärts geht. 

Wir verbringen dann noch zwei Tage in der sehr schönen Hauptstadt, mit lebendigen Fußgängerzonen und ausgedehnten Parks, bei sehr sonnigem Herbstwetter. Dann steigen wir mal wieder in einen Flixbus ein, der uns in 26-stündiger Fahrt zurück nach Stuttgart bringt. 


                                                      Sofia





 
















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