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28.09.2018

Durch die Wildnisse Skandinaviens 20 - Lemmenjoki



Ich setze meine Wanderung durch die weglosen Wälder und Moore von Lemmenjoki, dem größten Nationalpark Finnlands fort. Werde ich die beiden großen Flüsse auf meinem Weg überqueren können?



Gegen Morgen geht der Regen der Nacht in Schnee über und es ist draußen so nasskalt und ungemütlich, dass ich erst gegen 11 aufbreche, als es etwas wärmer ist und nur noch nieselt.
Eigentlich mag ich es ja überhaupt nicht, den Spuren motorisierter Fahrzeuge zu folgen, aber bei der Nässe bin ich ganz froh, dass die Spur offenbar in meine Richtung führt und den größten Moorgebieten ausweicht. Auch als ich längst den Lemmenjoki Nationalpark erreicht habe, führt der Weg noch weiter, um dann plötzlich unvermittelt zu enden...
Lemmenjoki ist mit 2850 qkm, einer Fläche größer als Luxemburg, der ausgedehnteste Nationalpark Finnlands. Ein kleiner Teil des Gebietes ist mit Wanderwegen erschlossen, der bei weitem größere Teil ist aber weglose Wildnis. 
Es regnet jetzt wieder stärker und vom Schnee des Morgens ist kaum etwas übrig geblieben. 
Trotz des üblen Wetters ist es toll, die offenen, weitläufigen Kiefernwälder zu durchstreifen. Einmal begegnet mir dabei wieder eine Elchkuh mit Kalb.

                                            Lemmenjoki Nationalpark

Später am Nachmittag erreiche ich den Vaskojoki, einen ziemlich großen Fluss, von dem ich mir keineswegs sicher bin, ob ich ihn überqueren kann. Glücklicherweise verteilt sich die Wassermenge hier auf 2 Arme und den Zufluss Boustajohka überquere ich unmittelbar vor der Einmündung. Nichts desto trotz ist das Gewässer ziemlich tief und im ersten Arm reicht mir das Wasser bis in den Schritt. Glücklicherweise ist die Strömung nicht zu stark, ansonsten wäre die Überquerung unmöglich.

                                                                               Vaskojoki

Ich steuere die Vaskojoki Hütte an, die auf meiner 20 Jahre alten Karte eingezeichnet ist. Allerdings weiß ich weder ob sie noch existiert, offen ist oder ich sie überhaupt finde...
Aber schließlich sehe ich das einladende Gebäude auf einem trockenen Hügel. Aber bevor ich dort ankomme, muss ich noch einen reissenden Bach überqueren, dabei regnet es immer noch in Strömen...
Man kann sich kaum vorstellen, wie behaglich ich mich in dieser Hütte fühle, als der Ofen bollert und ich meine nassen Sachen trocknen kann!
Obwohl kein Weg hierher führt, wird Vaskojoki erstaunlich häufig besucht, wie das Hüttenbuch zeigt.



                                                Vaskojoki Hütte- ein wahres Paradies

Am nächsten Morgen nieselt es nur noch leicht und ich gelange bald zu einem ausgedehnten Moor, wo ich eine Elchkuh beobachten kann. Trotz der grauen, ungemütlichen Stimmung ein toller Anblick, der die Magie dieser sumpfigen Weiten schön wiedergibt.


Elchbeobachtung am frühen Morgen

Ich gelange auf einen Pfad, der mich langsam aufwärts in frisch verschneite Bereiche führt. Faszinierend der Kontrast zwischen goldgelbem Birkenlaub, grauem Nebel und dünner Schneedecke.


Neuschnee

Bald verliert sich der Pfad und ich durchstreife weglos baumlose Tundrahügel und bewaldete Täler. Diese Mischung aus Fjell und Nadelwäldern habe ich bisher ja nur selten auf meiner Wanderung angetroffen, gefällt mir aber ausnehmend gut. Man kann sich hier durchaus nach Kanada oder Alaska versetzt fühlen!
Gegen 11 Uhr hört der Regen auf, und der Himmel sieht etwas freundlicher aus...

Herbstliche Tundra und grüne Nadelwälder


Die Mischung aus Wald und offenen Flächen macht die Gegend sehr abwechslungsreich, dabei ist sie auch ohne Pfade einfach zu durchwandern. Ein Traum zu laufen, der mich in geradezu euphorische Stimmung versetzt!




                                   Optimal für weglose Erkundung

Als ich wieder bis auf 500 Meter aufsteige, gelange ich zu einem "Flugplatz" mit einem kleinen, offenen Gebäude in dem zahlreiche Bücherregale stehen. Offenbar wurde das Gelände hauptsächlich zur Versorgung der nahegelegenen Goldfelder genutzt.

                                                      Flugplatz

Es dauert dann auch nicht mehr lange, bis ich die ersten Hütten, zerwühlte Flächen und gelbe Bagger sehe. Obwohl mitten im Nationalpark Lemmenjoki gelegen, wird auch heute noch hier nach Gold gesucht. Offensichtlich hat das aber nichts mehr mit der Jack London Goldgräberomantik zu tun, wo man mit der Pfanne an einem Bach steht, und versucht etwas von dem glänzenden Element auszuwaschen...
Es gibt hier ein Netz von Fahrwegen und ich stoße noch auf eine ganze Reihe von Claims, die aber, wahrscheinlich aufgrund der fortgeschrittenen Jahreszeit ziemlich verlassen wirken.

                                 Hier wird nach Gold gesucht

Schließlich erreiche ich die Hütte Morgamojan Kultala wo Schilder und ein Buch etwas über die Geschichte des Goldrausches verraten: Bereits im 19. Jahrhundert war bekannt, dass es hier Gold gibt, aber erst 1947 gelang zwei Brüdern in der Nähe der Hütte ein spektakulärer Fund, woraufhin in den nächsten Jahren bis zu 500 Digger in die Gegend strömten. Nach 10 Jahren hatten die meisten Leute Lemmenjoki wieder verlassen und erst ab den 80 'er Jahren erlebte die Goldsuche eine zweite Auflage, aber jetzt mit moderner Technik. Heute werden noch etwa 10 Claims betrieben, allerdings nur im Sommer. 
Zwar beschränkt sich das Goldgebiet nur auf eine kleine Fläche, aber ich frage mich, ob es wirklich nötig ist, hier die Tundra mit schwerem Gerät umzugraben. Aber die Claims waren halt schon vor der Ausweisung des Nationalparks 1956 eingetragen...

                                  Morgamojan Kultala

Am nächsten Morgen folge ich für drei Kilometer einem ausgeschilderten Weg, der zum Schauplatz des großen Goldfundes führt. Eine Holzrinne in der Nähe haben wohl moderne Goldsucher gebaut, die davon träumen, auch fündig zu werden...

                    Markierte Wege um den großen Goldfund

Bald sehe ich den Lemmenjoki unter mir, der hier durch eine Schlucht fließt. Für den Rest des Tages folge ich weglos seinem Lauf, und hoffe eine Stelle zu entdecken, an dem ich den etwa 10 Meter breiten Fluss durchwaten kann!


                               Die Schlucht des Lemmenjoki

Der Wald hier ist stellenweise erstaunlich dicht mit Birken bewachsen, aber es gibt auch alte Kiefern mit über 60 Zentimeter Durchmesser. Recht häufig muss ich steil auf- und absteigen, um die Schluchten von tief eingeschnittenen Seitenbächen zu überwinden.
Irgendwann denke ich, dass ich abseits des Lemmenjoki einfacher voran komme, was sich auch bestätigt. Lediglich ein kurzes Stück von der geschützten Schlucht entfernt, wachsen hier nur noch Birken!

                        Die Aspen haben schon ihr Laub verloren

Am Nachmittag wird es dann spannend, als ich direkt zum Lemmenjoki absteige, um eine Überquerungsstelle zu finden. Tatsächlich entdecke ich keine wirklich gute Stelle, will es aber dennoch probieren...
Ich verstaue alles was nicht feucht werden darf in wasserdichten Säcken und entkleide mich, damit ich gleich trockenes Zeug anziehen kann, sollte mich die Strömung umwerfen...
Natürlich lasse ich die Schuhe an und meine Wanderstöcke sollen mir Stabilität verleihen. Zunächst komme ich ganz gut vorwärts aber an der tiefsten Stelle, als mich die volle Strömung trifft, muss ich entschlossen kämpfen, wenn glücklicherweise auch nur kurz, bis der Fluss wieder flacher und langsamer wird. Ich habe es geschafft!


             Der Lemmenjoki ist nicht einfach zu durchwaten...

Etwas später schlage ich auf einer ebenen Terrasse oberhalb des Flusses mein Lager auf. Zwar ist es bedeckt, aber mit 12 °C angenehm warm. Sogar Mücken und Knotts fliegen noch!
Ich unternehme später einen Abendspaziergang. Zunächst bin ich enttäuscht, dass ich nirgendwo einen Blick auf den Fluss erhaschen kann, aber irgendwann sehe ich von oben zumindest ein kleines Stück vom Lemmenjoki...


                     Seltener Ausblick in die Lemmenjoki Schlucht

Morgens wirkt die Landschaft wie in Watte gepackt, als ich aus dem Lemmenjoki Tal aufsteige. Erst als ich die baumlosen Höhen auf knapp 500 Meter erreiche, schiebt sich der Nebelvorhang zeitweise beiseite, und gibt Blicke in das bewaldete Tal frei.

                                  Der Nebelvorhang hebt sich

             
                                                 Nebel am Morgen

Ich treffe hier oben auf etliche Gruppen von Rentieren, die Ersten seit dem ich Kautokeino verlassen habe!  
Um die größten Moore zu vermeiden, möchte ich eine Route über die höher gelegenen, trockenen Hügel einschlagen. Ich bin inzwischen weit ab von meiner ursprünglich geplanten Route. Zur Groborientierung nutze ich die Karte, die ich vor 25 Jahren in Finnland gekauft hatte, ergänzt von einer von mir auf das GPS gespielten, umsonst aus dem Internet heruntergeladenen Karte aus dem Open Street Map Projekt.

    
                             Route über die trockenen Hügel

Gegen 11 zeigt sich die Sonne für kurze Zeit und bringt die roten Beeren der Ebereschen zum Leuchten.

                                                Vogelbeeren

Es gibt im Lemmenjoki Nationalpark auch Bären. Leider bekomme ich keinen der zotteligen Pelzträger zu Gesicht, immerhin finde ich frische Losung eines "Beerenliebhabers"


                                   Hier war ein Braunbär!

Schließlich muss ich aber doch die trockenen Hügel verlassen und einige ausgedehnte Moorgebiete durchqueren. Es gibt zwar auch hier morastige Bereiche, aber insgesamt fand ich die Moorquerungen im Anarjokka Nationalpark schwieriger.

                                                 Weite Moore

An einem See entdecke ich zwei Singschwäne die mit ihren gelben Schnäbeln gut von den häufigen Höckerschwänen, deren Schnäbel orange sind, unterschieden werden können. Leider sind sie zu weit entfernt für ein gutes Bild...

                                                  Singschwäne

Ein hier Lavvu genanntes Zelt weist darauf hin, dass die Seen wahrscheinlich ab und zu von Sami zum Fischen aufgesucht werden.


                                          Lavvu der Sami

Ich bin erstaunt, als ich in diesem Labyrinth aus Seen und Mooren auf den eingeschnittenen, recht breiten und tiefen Saalijoki stoße, dessen Durchwatung mir aber kein Problem bereitet.


                                                         Salijoki

Mein Ziel, den bewaldeten Hügel Saalitunturi mache ich schon aus großer Entfernung aus, aber die weitere Durchwanderung der Moore, von Bülte zu Bülte, ist anstrengend und dauert länger als gedacht...

                                          Unwegsame Moore

Schließlich erreiche ich Sallivaara, wo ich zwar keinen Menschen antreffe, aber einige Hütten und ausgedehnte, eingezäunte Bereiche eine mit Infotafeln schön aufgemachte, alte Geschichte erzählen. Bis 1963 wurde Sallivaara als Rentierscheideplatz genutzt, wohin die Sami einmal im Jahr ihre Tiere aus weiter Entfernung trieben und einige zum Verkauf aussonderten. Das war jeweils ein großes Ereignis, das festlich begangen wurde.


                                                 Sallivaara

Da ich hier kein Wasser entdecke, folge ich einem Pfad noch einige Kilometer, bis ich mein Zelt aufschlage.
Am nächsten Morgen sieht es zunächst nach einem schönen Tag aus, aber bald dominiert wieder das Grau, was mich schon seit längerer Zeit begleitet...
Ich folge dem Pfad weiter über Moore und lichten Wald bis zur Straße bei Repojoki.

                                           Waldmoore

Auf meiner alten Karte ist ein Pfad eingezeichnet, der von hier zum Ivalojoki und weiter nach Kuttura führt. Zwar stehen an der Straße einige Häuser aber ich sehe auch hier keinen Menschen.
Bald tauche ich wieder in den Wald ein.


                                Entlang des Ivalojoki nach Kuttura

Tatsächlich finde ich den Pfad  der zunächst durch forstwirtschaftlich genutztes Gebiet führt, recht bald. Auf den Kahlschlägen wird etwa alle 10 Meter ein Baum stehen gelassen, wohl in erster Linie als Samenproduzent für die nächste Waldgeneration. Wie ich feststelle, erholt sich der Wald recht gut von diesen brachialen Operationen, allerdings sind die daraus entstehenden Bestände viel einförmiger als die unberührten Taigawälder in die ich bald wieder gelange.


                                           Bewirtschafteter Wald

Diese sind Teil der 1800 qkm großen Hammastunturi Wildnis, die zwischen den Lemmenjoki und Urho Kekkonen Nationalparks liegt.
Obwohl bereits 1991 ausgewiesen war es noch 1996 höchst umstritten, ob nicht Teile des Gebietes für den Holzeinschlag frei gegeben werden sollen. Zu dieser Zeit befuhr ich den Ivalojoki, den ich bald erreichen werde, mit einem Schlauchkajak.
Während hier zu einem kleineren Teil auch reine Birkenwälder wachsen, durchquere ich größtenteils Bestände aus Kiefern und Fichten, in denen aber auch stets die mit ihrem goldenen Laub aus dem Grün leuchtenden Birken vorkommen. Die Fichten, die ich hier zum ersten Mal seit langer Zeit in größerer Zahl antreffe, verleihen dem Wald einen dichteren, düstereren Eindruck.





                           Unberührte Taiga am Ivalojoki

Schon recht früh schlage ich mein Lager an einem ebenen Platz im moosigen Kiefernwald auf und durchstreife dann noch länger die Gegend, in der Hoffnung auf Beobachtungen. Leider entdecke ich nichts Spektakuläres, aber dennoch empfinde ich diese schönen Wälder zu durchstreifen als wahr gewordenen Waldläufertraum!


                                   Ein tolles Waldlager

Am nächsten Tag kann ich auch einige Blicke auf den Ivalojoki erhaschen. Diesem Fluss war ich damals bis zum Inarisee gefolgt, auf dem ich die Tour dann weiter fortsetzte.

                                                   Ivalojoki

Im Wald beobachte ich einen Elchschaufler der sich leider nicht fotografieren lässt, und zweimal fliegen Auerhühner vor mir auf. Hier sicher keine seltenen Vögel, aber in Deutschland sehr selten!

               Der Wald bietet Elchen und Auerhühnern eine Heimat

Bereits vor Mittag erreiche ich Kuttura, ein kleines, isoliertes Dorf am Ivalojoki. Als ich die ersten Holzhäuser passiere, winkt mir ein älteres Paar zu, woraufhin ich mich zu den offensichtlich sehr freundlichen Leuten begebe. Als ich erzähle, was ich mache, werde ich von Eila, die sehr gut deutsch spricht und ihrem samischen Mann Veikko, der hier aufgewachsen ist, ins Haus gebeten. Es dauert nicht lange bis ich mich an Kaffee und Butterbroten laben kann. Tolle Gastfreundschaft!
So langsam nähert sich meine Zeit in Skandinavien dem Ende, aber ich will noch längere Zeit im Urho Kekkonen Nationalpark verbringen. Ich denke, dass ich die 50 Kilometer bis dort durch Wirtschaftswald laufen muss, daher freue ich mich, als mir Veikko anbietet, mich nach Saariselkä am Nationalpark zu fahren!

                                  Meine netten Gastgeber Eila und Veikko

1985 auf meiner ersten größeren Reise trampte ich mit meinem Freund Werner zum Nordkap. Damals verbrachten wir einige Tage in Saariselkä, wo man uns sogar in einem Hotel umsonst duschen ließ! Als wir den Ort erreichen, trifft mich ein wahrer Kulturschock: Auf der ganzen Reise war ich in keinem Ort der auch nur annähernd so touristisch ist! Machte Saariselkä früher eher einen verschlafenen Eindruck, ist es heute offensichtlich ein touristisches Mekka! Ausserdem ist die Zeit der Laubfärbung, "Ruska" bei den Finnen beliebt, um hier Urlaub zu machen. Daher muss ich mich nicht weiter wundern, dass hier viel los ist!
Immerhin finde ich rasch ein Zimmer in der offenbar günstigsten Unterkunft des Ortes und plane den letzten Abschnitt dieser Reise, der mich zur russischen Grenze führen soll!


                                Saariselkä ist ein Touristenort






















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