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03.05.2019

Auf dem West Coast Trail



Da meine Tochter Marie für ein Semester auf Vancouver Island studiert, liegt es nahe, zum Abschluss meiner Kanadareise den berühmten West Coast Trail zu laufen. 
Allerdings ist dieser stark reguliert, und es werden lediglich 75 Starterlaubnisse pro Tag vergeben, die man online reservieren muss. Da diese "Slots" oft schon auf Monate hinaus ausgebucht sind, schien es zunächst, als ob ich keine Chance hätte, den Trail zu wandern. Aber als ich von unterwegs wieder einmal checke, ob nicht doch ein Platz frei geworden ist, werde ich fündig und reserviere umgehend!
Wandern hat für mich viel mit Freiheit zu tun, daher mag ich so stark regulierte Wege eigentlich gar nicht. Allerdings muss ich im Nachhinein sagen, dass das Permit System im Fall des West Coast Trail (WCT) aus meiner Sicht tatsächlich Sinn macht, denn Dank des Reservierungssystems hatte ich nie das Gefühl, dass der Weg überlaufen ist, was ohne Beschränkungen sicher der Fall wäre...
Der östliche Startpunkt für den WCT liegt am Gordon River bei Port Renfrew und ist nicht ganz einfach zu finden, da es kaum Hinweisschilder gibt...
Nun ja, schließlich haben wir das unscheinbare Holzhäuschen neben einem großen Zeltplatz im Reservat der Pachedaht Indianer gefunden. Hier findet eine obligatorische Einweisung durch eine Rangerin statt, ohne die man nicht starten darf...
Eine Stunde lang erfahren die Wanderaspiranten allerhand Wissenswertes, von dem Verhalten bei Bärenbegegnungen, über den Umgang mit Müll bis zu den Gezeiten, die für einige Abschnitte des Weges wichtig sind. 
Mein Permit ist allerdings erst in zwei Tagen gültig, und natürlich darf ich auch nicht früher los wandern. Daher möchte ich zuvor einen Teil des Juan de Fuca Trails erwandern, der ebenfalls bei Port Renfrew endet.
Der Juan de Fuca Trail ist mit 47 Kilometern etwa 30 Kilometer kürzer als sein großer Bruder, weniger bekannt, aber auch weniger spektakulär. Dafür muss er nicht reserviert werden, wenngleich eine Campinggebühr von 10 Dollar/ Tag anfällt, die aber in einem Umschlag am Trailstart deponiert werden kann.

                                                                                Juan de Fuca Trail

Eine Art Shuttle bringt mich die etwa 10 Kilometer vom Visitor Center des WCT bis zum Beginn des Wegs am China Beach. Bald taucht der Weg in den oft kathedralenähnlichen Wald aus Hemlocktannen, Sitkafichten und Riesenlebensbäumen ( Red Cedar) ein. Stellenweise geht es durch den ursprünglichen Urwald, aber an vielen Stellen wurden in der Vergangenheit die dicksten Bäume bereits gefällt. Daher wirkt der Wald am Juan de Fuca Trail insgesamt weniger imposant auf mich, wie am WCT.

                                                                      Auf dem Juan de Fuca Trail

Obwohl die Küste nie weit ist, verläuft der Trail fast immer im Wald. Nur einige Male gelangt man kurz an den Strand. Obwohl so dicht an der Küste, geht es erstaunlich viel auf und ab, und der Weg kann als nicht unbedingt einfach bezeichnet werden, wobei der WCT viel schwieriger ist, was ich noch erfahren sollte. 
Schließlich schlage ich mein Lager auf dem ruhigen, weitläufigen Platz am Paysant Creek auf. Zwar gibt es hier einige andere Wanderer, von denen bekommt man aber in dem dichten Wald fast nichts mit. 
Trotz leichtem Regen laufe ich am nächsten Morgen im T-Shirt weiter. Zu meiner Überraschung entdecke ich hinter einer Wegbiegung einen jungen Schwarzbären, der sich offenbar vor mir auf eine mächtige Hemlocktanne geflüchtet hat, und leicht verschüchtert aus einigen Metern Höhe herabblickt. Schließlich steigt der verängstigte Kleine langsam von seinem Baum herunter und verschwindet im Gebüsch. 

                              Begegnung mit einem jungen Schwarzbären

Dagegen wirkt der ausgewachsene Bär, dem ich eine halbe Stunde später begegne, deutlich imposanter, zumal er nur fünf Meter entfernt von mir auf dem Weg steht...
Allerdings sind die Schwarzbären hier an der Küste wohl wenig aggressiv, wie die Rangerin bei der Einweisung erzählt hatte, weshalb es normalerweise keine Probleme mit ihnen gibt. 
Dennoch wandern viele Leute hier mit ständig bimmelnden Bärenglocken oder lauter Musik. Meiner Auffassung nach sehr störend und ziemlich unnötig...
Der Bär weicht ins Unterholz aus, und gelangt erst nach dem er mich in einem großen Bogen umgangen hat, zurück auf den Weg.
Nachdem ich etwa die Hälfte des Juan de Fuca Trail gelaufen bin, trampe ich zurück nach Port Renfrew. 
Zwei Frauen backen dort am Wochenende leckere Pizza in ihrem Gartenofen, die sie dann direkt an der Straße verkaufen, nett!
Ausserdem besuche ich noch den Pub, wo heute am Samstag Abend erstaunlich viel los ist.
Am nächsten Morgen trete ich mit einer kleinen Gruppe die erste Fahrt über den Gordon River an. Der Preis für das Motorboot ist im Permit enthalten, welches aber tatsächlich dem Bootsführer vorgelegt werden muss!
Der Auftakt des WCT stimmt einen gleich gut auf die Dinge die da kommen ein: Es geht die Uferböschung hinauf,  über eine steile Leiter etwa 20 Meter nach oben, nichts für Leute mit Höhenangst!


                                              Unzählige hohe Leitern am WCT

Ich habe keine Lust im Pulk der Leute zu laufen, die ebenfalls gerade die Überfahrt gemacht haben, daher lege ich ein flottes Tempo vor, und bin bald ziemlich allein, bis auf wenige Leute die mir entgegen kommen. Die ersten Kilometer des Weges sollen sich dann auch als die bei Weitem Schwierigsten herausstellen! Es geht ständig steil auf und ab. Zahlreiche Leitern und Stege über Schluchten sind zu bewältigen, manchmal muss man sich an Baumwurzeln hochziehen. 
Dafür entschädigt der grandiose Regenwald für alle Mühen. Natürlich ist dies kein tropischer Dschungel, aber tatsächlich wird der Wald hier auf Grund der Niederschlagsmenge als Regenwald der gemäßigten Zone eingestuft. Gigantische Sitkafichten, Hemlocktannen und Riesenlebensbäume ragen bis zu 80 Meter weit in den Himmel. Das ist fast die dreifache Höhe, die Bäume bei uns erreichen. Zwar sind die Nadelbäume nicht ganz so dick, wie die Mammutbäume Kaliforniens, aber Durchmesser von über zwei Metern sind nichts Seltenes!
Eine Dampfmaschine und alte Stahlseile weisen allerdings  darauf hin, dass auch hier in der Vergangenheit einzelne, besonders schöne Stämme gefällt wurden.
Der Unterwuchs ist ein einziges, dichtes, leuchtendes Grün aus Sträuchern, Moosen und Farnen. Es wäre stellenweise fast unmöglich hier einen Platz zum Zelten zu finden!

                                                         Immer wieder Leitern!


                                  Der Weg verläuft häufig auf Holzstegen

                                                     Wald der Riesen

Nach fünf Kilometern könnte ich bei Thrasher Cove theoretisch auch weiter am Strand wandern, aber da gerade Flut herrscht, ist das nicht möglich. Bei der Einweisung betonte die Rangerin ausführlich die Bedeutung der Tiden für die Wanderung, aber tatsächlich kann man bei höheren Wasserständen stets in den Wald ausweichen, es gibt also keine Wartezeiten auf Grund der Gezeiten.
Immer wieder müssen zum Teil tief eingeschnittene Schluchten überwunden werden, wo die Bäche kurz vor der Mündung in den Pazifik sich noch einmal in den Sandstein eingegraben haben.

                                        Felsschluchten mit klarem Wasser

Jetzt am Ende des Sommers ist der Wasserstand der Bäche ziemlich niedrig, daher ist es auch nicht unbedingt notwenig die Seilbahnen zu benutzen, mit denen einige Bäche überquert werden.

                                                  Mit der Seilbahn über den Bach

Trotz der Trockenheit sind manche Abschnitte ziemlich schlammig. Wahrscheinlich weiß man die ganzen Holzkonstruktionen richtig zu schätzen, wenn es hier regnet, was natürlich häufig der Fall ist!
Mein Abendlager schlage ich am Culite Creek auf dem Kies auf, kurz vor der Mündung ins Meer, wo sich ein offizieller Zeltplatz befindet. Alle Zeltplätze am WCT liegen am Strand, aber heute weiß ich zu schätzen, dass ich einen Platz für mich gefunden habe...
Die meisten Wanderer scheinen eher länger zu schlafen, daher sind die frühen Morgenstunden hier besonders schön, insbesondere wenn sich dann noch ein strahlend blauer Himmel über dem Wald wölbt und die Sonne erste Lichtflecke in das Dunkel des Unterholzes zaubert. 


                                                           Hemlock



                                          Riesenlebensbaum

                                                        Hartriegel


                                    Stinkkohlblätter sind essbar

                                            Dicht bewachsene Felsen

                                          Schwertfarn und Hartriegel

             Die Bananenschnecken sind typisch für den Regenwald

                                              Natürliches Klettergerüst

Am zweiten Tag laufe ich immer wieder über weite Strecken am Strand entlang, wo sich sandige und felsige Abschnitte ablösen. Hier ist immer etwas zu sehen, ob Heerscharen von kreischenden Möwen, in den Fluttümpeln zurückgebliebene, farbige Seesterne oder einige Seelöwen die sich auf vorgelagerten Felsen ausruhen.
Das Wetter ist so schön, dass ich mich während der Mittagspause am Strand regelrecht sonnen kann!


                                Lange Sandstrände


Bereits am frühen Nachmittag schlage ich mein Lager am Strand von Crib's Creek auf. Hier lerne ich Dave und Dan kennen, zwei interessante, kanadische Brüder von denen einer in Ecuador lebt. 
Überhaupt ist faszinierend zu sehen, wie sich die Wandergemeinde am WCT zusammensetzt. Zwar überwiegen junge Leute, aber es gibt auch ziemlich alte, offensichtlich nicht gerade fitte Leute, für die der Weg eine echte Herausforderung ist! Ich wundere mich nicht, dass etwa 100 Leute pro Jahr vom WCT gerettet werden müssen. Schnell hat man sich hier Fuß oder Knie verdreht, und kann nicht weiter laufen...
Als ich zu meinem Abendspaziergang aufbreche, wird innerhalb von fünf Minuten der blaue Himmel von einer hereinziehenden Nebelwand verschluckt! Faszinierend!

                                             Urplötzlich zieht Nebel auf

                                                              Sandsteinstrand

                                         Mit Algenteppichen bewachsene Felsen

Bereits vor Sonnenaufgang bin ich bereits wieder auf den noch einsamen Stränden unterwegs. So schön und einladend Meer und Strand hier wirken, die Wellen sind oft gewaltig und es gibt gefährliche Strömungen, daher ist das hier kein Badeparadies!

                                               Vor Sonnenaufgang am Strand

Meist liegen die Robben auf Felsen weiter draußen, aber heute Morgen erspähe ich drei von Ihnen unweit vom Strand und es gelingt mir, mich vorsichtig bis auf eine gute Fotoentfernung heranzupirschen.


                                                                 Sonnenbad

Die Fülle des Lebens am Strand und in den Fluttümpeln ist faszinierend zu betrachten. Tausende von kleinen Krabben rennen durch den Sand, lila- farbene Seesterne setzen Farbtupfer in das Grün der Kelpalgen und ganze Muschelbänke haben sich an die Felsen angeheftet. 
























                                                                                     Leben am Strand

Manchmal führen hohe Leitern zurück vom Strand auf das Steilufer, das zwar meistens mit dichtem Wald bewachsen ist, aber gelegentlich öffnen sich auch Ausblicke über Strand und Meer.

                                                         Ausblicke vom Steilufer

Als ich einmal vage eine Bewegung unter mir wahr nehme, schaue ich genauer hin, und kann zwei Seeotter beobachten, die behende von Fluttümpel zu Fluttümpel über die Felsen huschen, und manchmal spielerisch umhertollen! 
Die Seeotter waren auf Grund ihres wertvollen Pelzes schon fast ausgerottet, mittlerweile haben sich die Bestände jedoch etwas erholt, und ich beobachte sie einige Male auf dem WCT. Diese Marder sind auf das Leben im Meer spezialisiert, und ernähren sich hauptsächlich von Muscheln.

                                                   Seeotter auf Erkundungstour

Nachdem die Flut zurückgewichen ist, hinterlasse ich als erster meine Fußabdrücke auf dem weiten Sandstrand, fast könnte ich glauben, zu dieser frühen Stunde den West Coast Trail für mich alleine habe!

                                                    Meine Spuren im Sand

Nachdem ich den Cheewhat River problemlos durchwatet habe, gehe ich zurück in den Wald, wo einige mächtige Sitkafichten wachsen, wohl die größten Bäume hier.

                                                       Gigantische Sitkafichte

Einige Schilder weisen darauf hin, dass der Weg hier stellenweise durch ein Reservat der Didinaht Indianer führt, die auch eine Unterkunft für die Wanderer anbieten. 
Am Ausfluss des Nitinaht Lake, ist eine weitere Bootsüberfahrt erforderlich. 


                         Mit dem Motorboot über die Nitinaht Narrows

Ausser an den beiden Enden des WCT kann auch von hier gestartet werden, was vor allem von organisierten Gruppen genutzt zu werden scheint. 
Der Weg ist jetzt viel einfacher als zu Beginn und entsprechend rasch komme ich voran. 
Da ich aber noch Zeit habe, schlage ich noch zwei weitere Lager auf. Als ich mich bei einem Abendspaziergang in der Nähe des Michigan Creek eine Zeit lang getarnt unter die Äste einer großen Sitkafichte setze, erscheint ein Schwarzbär in vielleicht 100 Meter Entfernung, und stellt sich zeitweise sogar auf die Hinterbeine um Beeren zu pflücken.

                                          
                                                          Schwarzbär am Strand

Früh am nächsten Morgen breche ich in den Morgennebel auf, zeitweise nieselt es sogar. Eine Stimmung die den Charakter des Waldes wahrscheinlich besser wiedergibt, als die schönen Sonnentage zuvor.
Zu der frühen Stunde ist mal wieder niemand unterwegs, dafür begegne ich drei mal einem Bären. Obwohl die Pelztiere nur fünf Meter von mir entfernt sind, reagieren sie überhaupt nicht aggressiv, sondern verschwinden rasch im Unterholz.
Schon gegen 11 habe ich beim Pachena Infocenter das Ende des Weges erreicht. Es gibt hier einen teuren Shuttleservice, der die Wanderer zurück in die Zivilisation bringt, aber ich will mein Glück mit dem Daumen probieren.
Tatsächlich, nach einiger Zeit hält ein Mietwagen mit zwei Schweizer Urlaubern, der mich sogar bis nach Nanaimo mitnimmt, wo ich dann später Marie wieder treffe. 
Die Küste im Pacific Rim Nationalpark, durch den der West Coast Trail verläuft, ist zwar ganz anders, als die grandiosen Rocky Mountains,  doch sehr interessant und sehenswert, ein guter Ausklang für meine Kanadareise!



































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