Am nächsten Morgen erwartet mich wieder die übliche Mischung aus Pfaden, Rückewegen und Forststraßen. Nach sieben Kilometern erreiche ich das Dorf Lic. Mein Proviant ist erschöpft, daher muss ich neues Essen einkaufen. Ich hatte befürchtet, dazu den benachbarten, größeren Ort Fuzine ansteuern zu müssen, aber freundliche Einheimische weisen mich darauf hin, dass es auch hier einen kleinen Laden gibt, der noch dazu direkt an der Via Dinarica liegt. Zu meiner Freude stellt sich heraus, dass der kleine Markt recht gut sortiert ist, sogar Müsli gibt es hier!
Der kleine Laden in Lic
Kurz darauf sehe ich ein Schild mit der Aufschrift "Apartman". Offenbar kann man hier in einer Privatwohnung übernachten.
Auf einem kleinen Sträßchen und einem Feldweg geht es durch die weite Flur des Fuzine Tales. An einer Kirche vorbei, die einsam mitten in der Gras- und Buschlandschaft liegt, laufe ich auf das nächste, dicht bewaldete Mittelgebirge zu. Bevor ich wieder in die Welt der Bäume eintauche, schweift der Blick noch einmal zurück zum Berg Tuhobic und dem "Brennesselgrat"...
Das Waldgebiet um die Berge Visevica und Bitoraj, in dem ich den größten Teil der nächsten beiden Tage verbringe, ist ausgedehnt, sehr einsam und wunderschön! Zwar laufe ich zum Teil auf Forstwegen durch bewirtschafteten Wald, es gibt aber auch große Komplexe, die ziemlich unberührt sind und durch die sich schmale Pfade schlängeln. Weiße Felsen ragen in großer Zahl an vielen Stellen aus dem Boden, weshalb die Erschließung des siedlungsfernen Waldes schon immer schwierig war. Dieser Tatsache ist der häufig sehr naturnahe Zustand dieser Wälder zu verdanken. Obwohl ich wirklich begeistert von der Gegend bin und es auch markierte Wege gibt, treffe ich keine anderen Wanderer. Das liegt wahrscheinlich auch daran, dass die Berge hier nur um 1400 Meter hoch sind, und viele Leute daher wohl vermuten, dass es kaum spektakuläre Ausblicke gibt.
Schöne Pfade |
Einige Wiesen sorgen für Abwechslung
Pfad zum Visevica
Gegen 15:30 habe ich den 1428 Meter hohen Gipfel des Visevica erreicht. Seine grasbewachsene Kuppe bietet ungehinderte Ausblicke in alle Richtungen. Während entfernt die Adria im Dunst liegt, sieht man sonst nur mit dichtem Grün überzogene Hügel. Hier auf dem Visevica, mitten in Europa, kann man tatsächlich das Gefühl haben, inmitten einer großen, unberührten Waldwildnis zu sein.
Blick vom Visevica (1428 m)
Den Pfad, der von hier aus zunächst auf einem Grat weiter führt, hat freundlicherweise jemand vor kurzem frei gemäht! Das hätte ich am Tuhobic auch gerne gesehen!
Gemähter Weg
Auf dem Grat
Schilder, aber keine Wanderer
Auch den Rest des Tages treffe ich keinen Menschen mehr und schlage schließlich mein Lager am Rand eines ausgedehnten Felslabyrinthes auf. Heute war ein toller Wandertag mit vielen spannenden Pfaden und als Höhpunkt der fantastische Aussichtsberg Visevica.
Lager in der Felslandschaft
Später unternehme ich noch einen kleinen Erkundungsgang und sitze still an einen Felsen gelehnt um womöglich Tiere zu Gesicht, oder gar vor die Linse zu bekommen. Das ist zwar wenig erfolgreich, dennoch fühle ich mich in diesem einsamen Wald sehr wohl.
Wer sieht mein Zelt?
Abend im wilden Wald
Auch nach dem die Sonne hinter den Bergen als blutroter Ball versunken ist, ist es noch sehr warm, weshalb ich mein Überzelt weglasse und daher noch den Blick auf die Sterne genießen kann, bevor ich einschlummere...
Bevor ich am nächsten Morgen aufbreche, unternehme ich noch einen kleinen Pirschgang, bei dem ich zwei Stück Rotwild beobachte, aber nicht fotografieren kann. Leider gibt es hier auch Parasiten, so muss ich eine lästige Zecke von meinem Bein entfernen...
Bereits nach zwei Stunden habe ich am nächsten Morgen den 1385 Meter hohen Bitoraj erreicht. Dieser gewährt zwar nicht die tolle Rundumsicht des Visevica, dennoch ist es toll, in der klaren Luft des Morgens hier oben zu sein.
Auf dem Bitoraj
Beim Abstieg schlängelt sich eine kleine, schwarze Schlange unmittelbar vor mir über den Weg. Leider gelingt es mir nur noch ein kleines Stück von ihr zu fotografieren. Als ich mich ihr dann noch mal im Gras nähern will, zischt sie mich empört an...
Auch heute folgt der Track einem sehr unterschiedlichen Gemisch aus Wegen, von der gut ausgebauten Forststraße, bis zu völlig überwucherten, nicht mehr zu erkennenden Pfaden. Wenn da nicht immer wieder die runden Markierungen auftauchen würden, könnte man der Überzeugung sein, dass es hier nie einen Wanderweg gegeben hat...
Überwucherter Pfad am Bitoraj
Nachdem ich in dem ganzen, großen Waldgebiet noch kein Wasser gesehen hatte, gelange ich an einige Pfützen, oft voller Kaulquappen. In einer sehe ich ein ringelnatterähnliche Schlange, die aber eher die Farbe einer Blindschleiche hat. Die gelbe "Krone" lässt aber doch auf eine Ringelnatter schließen.
Welche Schlange ist das?
An einem Forstweg treffe ich die ersten Menschen seit Lic. Die Familie ist mit einem kleinen Traktor unterwegs und macht hier ihr Brennholz. Der Vater spricht gut englisch, und will wissen, ob ich keine Angst vor den Bären habe. Erst letzte Woche habe er einen gesehen, und in den Wald würde er nie ohne Pfefferspray gehen...
Ehrlich gesagt habe ich überhaupt keine Angst vor den pelzigen Bewohnern dieser Wälder und bin fest davon überzeugt, dass die Petze uns viel mehr fürchten.
Allerdings sind ihre Spuren schon Ehrfurcht gebietend...
Sehr beeindruckend, was du unternimmst, dafür erst einmal ein großes "Wow". Unglaublich, was für eine (positive) Einsamkeit und Natur du dort genießen darfst - und die Begegnung mit dem Bären war bestimmt einmalig. Obwohl mir dabei das Herz sicherlich in die Hose gerutscht wäre ;-) Ich wünsche dir weiterhin alles Gute und viele tolle Erlebnisse auf deiner Tour.
AntwortenLöschenVielen Dank für deinen Kommentar, Katja! Ja, die Begegnung mit dem Bären war wirklich fantastisch. Ich bin auch jetzt noch ganz begeistert von der Via Dinarica. Schön, dass es so schöne, und auch wilde Naturgebiete gar nicht so weit von uns entfernt gibt!
AntwortenLöschen