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23.12.2013

Zaire 1991 - Jäger des Waldes 2



Beim Frühstück am nächsten Morgen lerne ich die restlichen Missionare der Station Poko kennen. Insgesamt arbeiten hier drei Pater, zwei Brüder die keine Priester sind und drei Schwestern. Sie kommen alle aus Deutschland. Ebenso wie in den italienischen Missionen gibt es auch hier kein afrikanisches Essen. Wurst aus Deutschland, Vollkornbrot und Bratkartoffeln bestimmen den Speiseplan. Es muss sehr schwierig und teuer sein deutsches Essen hierher zu schaffen. Allein die Post braucht ein halbes Jahr bis sie, wenn überhaupt, eintrifft.

Viele der Ordensleute sind schon seit Jahrzehnten hier und haben viel erlebt. Ein einschneidendes Ereignis war die Simba Rebellion 1964. Die Rebellen wollten den noch heute herrschenden Diktator Mobutu stürzen. Gleichzeitig wollten sie den, vier Jahre nach der Unabhängigkeit, ihrer Meinung nach immer noch zu starken Einfluss der Weißen zurückdrängen. Überall in Ost-Zaire wurden zahlreiche Missionare getötet. Poko hatte Glück, der Anführer der Rebellengruppe, die hierher kam, war ein Missionsschüler und verschonte seine ehemaligen Lehrer. Offenbar war der Unterricht ganz gut!


Nach dem Frühstück gehe ich zu Schwester Elisabeth in die Zahnstation. Es gibt bei ihr sogar einen richtigen Behandlungsstuhl mit Motor!

Bei der Untersuchung stellt sich heraus, dass die Lücke, die ich mit der Zunge fühlen kann, von einer verlorenen Plombe stammt. Es war bei dem Überfall in Kenia also doch kein Stück von einem Zahn abgesplittert. Trotzdem war es richtig mit den Zahnschmerzen hierher zu gehen, denn an zwei Zähnen ist Karies. Die Schwester ergänzt die verlorene Füllung und setzt zwei weitere Plomben ein. Anschließend helfe ich ihr beim Tabletten zählen. Sie beklagt sich über ihre unzuverlässigen schwarzen Helfer, bei denen häufig Medikamente verschwinden würden.

Ich habe bereits erfahren, dass der Einzugsbereich der Mission bis in den Regenwald reicht, wo auch Pygmäen leben. Ich möchte versuchen die Kontakte der Mission zu nutzen, um dort ein weiteres Mal mit den kleinen Jägern in den Wald zu gehen. Pater Clemens, dem ich abends von diesem Plan erzähle, will mich dabei unterstützen. Wir sind uns sofort sympathisch, während ich bei den anderen Missionaren eine gewisse Zurückhaltung gegenüber dem "Herumtreiber" bemerke, der nur so zum Spaß durch Afrika zieht.




Den größten Teil des nächsten Tages bin ich mit dem Pater unterwegs. Als erstes stellt er mich dem hiesigen Chef de Zone vor, der über einen größeren Bezirk das Sagen hat. Er ist freundlich und mit meinem Vorhaben zu den Pygmäen zu gehen einverstanden.

Poko liegt an dem breiten Fluss Bomokandi. Die Menschen hier gehören zum großen Volk der Azande, dessen Gebiet bis in den Sudan reicht. Wir sind in einem ziemlich neuen Geländewagen unterwegs, den der Pater zu seinem 25-jährigen Dienstjubiläum geschenkt gekriegt hat. Diese Mission ist nicht nur ein geistiges Zentrum, sondern ein Unternehmen mit vielen Aktivitäten. Auf einer Kaffeeplantage werden 70 Leute beschäftigt. Als der Preis noch besser war, betrug die Zahl der Arbeiter sogar 150. Die Mission verfügt über einen kleinen Stausee, der der Elektrizitätserzeugung mit Turbinen dient. Sie liefern die Energie für eine Ziegelei und ein Sägewerk. Die mächtigen Stämme die dort verarbeitet werden, sind zu einem Teil beim Kultivieren der Felder angefallen, zum anderen stammen sie aus Holzkonzessionen. Das Sägewerk liefert das Holz für die Schreinerschule, in der ein Bruder junge Zairer ausbildet. Kein Wunder, dass von dieser aktiven Mission eine neue Kirche gebaut wurde, die auch in Deutschland stehen könnte. Trotz der in vielen Jahren geleisteten Arbeit, ist der Pater skeptisch, was davon übrig bleiben würde, wenn die Weißen abzögen. Clemens ist der Meinung, dass es in Zaire seit der Unabhängigkeit nur noch bergab geht. Während zur Zeit der belgischen Herrschaft jeder Zweite ein Fahrrad besaß, ist es heute nur noch jeder Fünfte. Der Pater glaubt die Zairer seien noch nicht reif für die Demokratie, obwohl in der Hauptstadt Kinshasa, schon 150 Parteien gegründet wurden. Diktator Mobuto, der seit der Unabhängigkeit herrscht, wird mittlerweile in den Zeitungen offen kritisiert.

Die Mission bemüht sich auch die medizinische Versorgung zu verbessern. Die Lepra ist fast ausgerottet, aber Malaria und Tuberkulose bereiten noch große Probleme.

Früher gab es hier sehr viel Wild. Es ist aber zurückgegangen, weil in Zaire jeder ohne Beschränkung jagen darf. Clemens hat über hundert Büffel und auch drei Löwen geschossen. In erster Linie dienten seine Jagdzüge der Fleischbeschaffung.

Als ich nachmittags auf einen Hügel klettere, habe ich eine weite Aussicht über die Palmenwälder, die den Bomokandi säumen. Später kaufe ich bei Pater Johannes 20 Packungen zairische Zigaretten als Geschenk für die Pygmäen. Er sagt, ich müsse nicht für die Unterkunft bezahlen. Trotzdem gebe ich einen freiwilligen Beitrag. Seitdem ich in Isiro Geld umgetauscht habe, muss ich nicht mehr so genau mit meinen Mitteln kalkulieren.

Abends erlebe ich wie die Leute geflügelte Termiten aufsammeln, die von den Lampen der Mission angelockt werden. Ich bin überrascht als die Pater erzählen, dass sie die Termiten auch essen. Es gibt hier also nicht nur deutsche Kost!

Als ich am nächsten Morgen aufstehe, bemerke ich, dass sich eine Art Geschwür an meinem Hintern gebildet hat. Es ist hart und drückt, verursacht aber noch keine Schmerzen. Nachdem ich mit Pater Clemens gefrühstückt habe, fahren wir noch vor Sonnenaufgang los. Unser Ziel ist der sechzig Kilometer entfernte Ort Mawa-Gare. Schon bald hinter Poko endet die Savanne, und der Regenwald beginnt. Die schlechte Piste ist von zahlreichen Siedlungen gesäumt. Dichter Sekundärwald ist die vorherrschende Vegetation. Als wir Mawa-Gare erreichen, stellt mich der Pater als erstes dem hiesigen Chef de Collectivite´ vor. Der Mann hat drei Jahre lang in Lubumbashi, einer Großstadt im Süden Zaires, Philosophie studiert und spricht sehr gut Englisch. Er möchte meinen Pass sehen und fragt, was ich hier suche. Der Chef ist damit einverstanden, dass ich mit Pygmäen in den Wald gehen will. Er fragt, ob ich eine Kamera dabei habe und findet es gut, dass ich die kleinen Jäger nicht fotografieren will. Mit Clemens habe ich schon früher über das Thema Fotografieren gesprochen. Der Pater ist auch der Meinung, dass eine Kamera die Distanz zu den Pygmäen vergrößert. Es besteht leicht die Gefahr, dass man die Menschen nur noch als Fotoobjekte sieht und sich dabei der Blick für das Wesentliche trübt.

Der Chef verspricht am Sonntag nach der Messe die Menschen über mich und meine Pläne zu unterrichten. Ich bemerke wieder einmal, wie wichtig es in Afrika bei solchen Unternehmungen ist, die örtlichen Autoritäten für sich zu gewinnen.

Als nächstes gehen wir zu dem Krankenpfleger Jean-Pierre. Er erhält seine Medikamente von der Mission und wird auch von ihr bezahlt. Sein Nachbar, der Katechet Dieudonne´ gesellt sich ebenfalls zu uns. Da der Einzugsbereich der Mission sehr groß ist, können die Pater nur manchmal in den einzelnen Dörfern die Messe halten. Wenn sie nicht da sind, nehmen zairische Katecheten, die so etwas wie Laienpriester sind, ihre Funktion wahr. Dieudonne´ heißt auf Deutsch "Der von Gott gegebene", und das ist er auch. Ich habe selten einen Menschen erlebt, der immer so gleichbleibend freundlich und gut gelaunt ist. Er bietet mir gleich an bei sich zu wohnen. Seine Frau hat ihn verlassen und die Kinder mitgenommen. Daher lebt er zurZeit allein. Allerdings heißt das nicht, dass er einsam ist, da das Zusammenleben der Menschen in Afrika viel inniger ist, als bei uns.

Pater Clemens will einen Schulgottesdienst vorbereiten. Inzwischen gehe ich mit meinen neuen Bekannten zum Bahnhof, nachdem der Ort benannt ist. Mawa-Gare liegt an einer der wenigen Eisenbahnlinien des Landes. Die Strecke von Mungbere nach Bumba am Kongo-Fluss, die hier vorbeiführt, wurde hauptsächlich wegen dem Kaffee gebaut. Auf dem Gleis steht gerade ein Zug mit einer Dampflokomotive. Vom Vorsteher des Bahnhofs erfahre ich, dass heute nur noch zwei bis drei Züge in der Woche die Strecke befahren. Wahrscheinlich will ich einen Zug benutzen, um von hier aus weiterzureisen.

Später besuchen wir den Schulgottesdienst, der unter freiem Himmel stattfindet. Es ist erstaunlich wie ruhig und andächtig die Kinder dem Pater zuhören. Während der Messe stellt Clemens mich vor. Daraufhin spricht ein Erwachsener eine Fürbitte für mich!

Nachdem der Gottesdienst beendet ist, zieht der Pater das Messgewand aus, und sein weißes Unterhemd kommt zum Vorschein. Was für einen Priester in Deutschland undenkbar wäre, ist hier ganz normal.

Wir werden dann zum Essen eingeladen, bei dem reichlich Palmwein fließt. Pater Clemens hat Vertrauen zu mir gefasst und bietet das Du an, worüber ich mich sehr freue. Er ist erleichtert bei einem Fremden wie mir sein Herz ausschütten zu können, denn einige Dinge belasten ihn sehr. Mit den anderen Missionaren möchte er nicht darüber sprechen.

In vielen Dingen ist er von den Afrikanern enttäuscht. Er glaubt, dass nur wenige von ihnen treu sind. Das führt dazu, dass in der kleinen Stadt Isiro jeden Tag ein Mensch an Aids stirbt.

Später fahren wir zu einem anderen Dorf, um die Rente auszuzahlen. Der Diktator Mobuto traut seinen eigenen Beamten nicht. Daher übertrug er der Mission die Auszahlung, als er vor Jahren hier zu Besuch war. Die alten Leute erhalten zwar nur eine sehr kleine Summe, aber ich bin erstaunt, dass es hier überhaupt so etwas wie Ansätze zu einer Altersversorgung gibt. Die Menschen empfangen uns unheimlich herzlich, wir schütteln jedem die Hände. Clemens liest dann die Namen vor und ich gebe den Leuten das Geld. Ich bin schockiert wie viele Menschen von Geschwüren verunstaltet sind. Es leben auch einige "Elefantenmenschen" hier. Die meisten der Geschwüre sind wahrscheinlich sogenannte Filariosen. Sie werden von Rundwürmern hervorgerufen, die durch Mücken oder Bremsen übertragen werden.

Anschließend werden wir wieder zu Essen und Palmwein eingeladen. Es gibt Maniok mit Erdnusspaste, in der sich Fischstückchen befinden. Normalerweise würde ich mich vor so einer Mischung ekeln, aber einige Monate Afrika härten doch ziemlich ab!

Zurück in Mawa-Gare erfahre ich, dass Dieudonne´ und ein anderer Katechet mit mir als Führer in den Wald gehen wollen. Clemens erzählt mir, dass der Ausdruck "Pygmäen" verpönt ist. Die kleinen Jäger werden "premiers zairois" das heißt, die ersten Zairer, genannt. Offenbar verlangt Mobutu diese Bezeichnung.

Spät am Nachmittag verabschiede ich mich von Clemens, der erst in einigen Wochen wieder nach Mawa-Gare kommen will.

Während wir abends vor Dieudonne´s palmwedelgedeckter Hütte sitzen, kommen zahlreiche Besucher und stellen Fragen, hauptsächlich über das Leben in Deutschland.

Am nächsten Morgen gehe ich mit dem Krankenpfleger Jean-Pierre zu den Hütten der Pygmäen, die etwas abseits von den Azande-Behausungen liegen. Die Hütten sind zwar rund, sind ansonsten aber ebenso, wie die Häuser der Bantu, aus Lehm gebaut. Wir sprechen mit dem alten Pygmäen Awiwi. Er ist bereit in den Wald zu gehen, um zwei "premiers zairois" als Führer für mein geplantes Unternehmen zu engagieren. Während wir bei den Pygmäen stehen, kommt der Chef de Groupe und beginnt augenblicklich loszubrüllen. Er ist entrüstet, dass keiner der anwesenden Pygmäen auf dem Feld arbeitet. Die Situation ist typisch. Die Regierung Zaires möchte die Pygmäen zu sesshaften Bürgern machen, die sich nur in ihrer Größe von den Schwarzen unterscheiden. Das traditionelle, unstete, nomadische Leben der kleinen Jäger ist eben kaum zu kontrollieren. In alten Büchern habe ich gelesen, dass auch zur Kolonialzeit versucht wurde, die Pygmäen zu Bauern umzuerziehen.

Der Erfolg war allerdings schon damals ziemlich gering. Wie in Nduye wird auch hier versucht, die Kinder in die Schule zu stecken. Offenbar sind die Bemühungen bisher wenig erfolgreich, denn keiner der Pygmäen spricht Französisch. Dagegen kann ich mich mit den meisten Azande in dieser Sprache unterhalten.

Nach einiger Zeit hat sich der Chef wieder beruhigt und zieht ab. Die Pygmäen sind sichtlich eingeschüchtert.

Der Ort Mawa-Gare mit seiner palmengesäumten Straße und den gefegten Plätzen vor den Hütten ist offenbar relativ wohlhabend. Es gibt Leute, die ein Moped besitzen, und der Laden des Ortes ist mit Taschenlampenbatterien, Seife, Tee und Zucker gut ausgestattet.

Die Leute sind sehr freundlich. Häufig bekomme ich Eier, Bananen oder Ananas geschenkt.

Mein Geschwür tut inzwischen ziemlich weh. Daher ruhe ich mich nachmittags in meinem Zimmer bei Dieudonne´ aus. Da er alleine ist, kocht er mittags selber über dem offenen Feuer. Wir essen Süßkartoffeln mit roten Bohnen. Ein sehr nahrhaftes Gericht.

Dieudonne´ erzählt, dass es hier keinen Friedhof gibt. Die Gräber liegen verstreut an der Straße. Es ist die Zeit vor Ostern. Daher findet später ein Kreuzweg um die kleine Kirche statt. Die Bilder haben die Menschen selbst gemalt. Christus ist schwarz dargestellt.

Später kommt Jean-Pierre mit einem Pygmäen zu mir. Ein anderer wollte nicht kommen, weil ein Leopard um das Lager im Wald streicht, und er die anderen nicht alleine lassen wollte.

Am nächsten Tag zeige ich Dieudonne´ und Jean-Pierre meinen Abszeß am Hintern. Der Krankenpfleger setzt mir daraufhin eine Spritze in das Geschwür. Ich hoffe, dass diese Behandlung hilft.

Wir gehen auf den großen Markt des Ortes und kaufen die Vorräte für die geplante Zwei-Wochen Tour. Häufig sind Frauen die Verkäuferinnen. Ohne zu handeln kaufe ich 18 Kilo Reis, Maniokteig in Blättern, der hier Chikwange genannt wird, Bohnen, Süßkartoffeln, Erdnüsse, Erdnusspaste und etwas Gemüse, dessen Name ich nicht kenne. Inzwischen ist der zweite Pygmäenführer eingetroffen. Somit kann die Tour morgen beginnen.

Den Großteil des Tages ruhe ich mich aus und lese Zeitungen, die Clemens mir gegeben hat.

Am nächsten Morgen gehen wir zunächst zur Messe, die die beiden Katecheten Jean-Pierre und Dieudonne´ gestalten. Im Anschluss spricht der Chef des Ortes lange über geplante Bauprojekte.

Nach dem Mittagessen erscheint Jean-Piere mit zwei Pygmäen. Die Beiden sind völlig betrunken. Artanas, der Eine, ist viel größer und kräftiger als der andere Bambuti. Ich erfahre, dass der Vater von Artanas Bantu und seine Mutter Pygmäin ist. Es kommt häufig vor, dass die Schwarzen Frauen des kleineren Volkes heiraten. Diese gelten nämlich als besonders fruchtbar und arbeitsam. Viele Kinder sind der Stolz jeden Afrikaners.

Der umgekehrte Fall, dass ein Pygmäe eine Bantufrau heiratet, kommt dagegen nie vor. Artanas ist bei den Pygmäen aufgewachsen und fühlt sich trotz seiner Größe als einer von ihnen. Der andere Pygmäe, Meoua, ist zu betrunken um mitzukommen, wie wir bald feststellen. Als wir ihn zurücklassen, fängt er an zu toben und zu schreien. Trotzdem kann er uns nicht folgen, da er sich kaum noch auf den Beinen hält. Erstaunlicherweise gelingt es Jean-Pierre rasch vier andere Pygmäen aufzutreiben, die unsere Vorräte tragen wollen. Theresa, eine alte Frau ist auch dabei. Alle tragen Bastkörbe wie in Nduye. Ich bin erstaunt welch schwere Last sich die alte Frau aufbürdet. Obwohl ich viel größer und schwerer bin als sie, hätte ich wohl Probleme mit dem Gewicht. Mein eigener Rucksack ist mir schon schwer genug. Ich habe Fieber und mein Abszess schmerzt jetzt sehr stark.

Die erste Stunde marschieren wir durch Pflanzungen und Sekundärwaldpartien. Wir begegnen einem Bantu mit einer Schrotflinte, der Affen gejagt hat. An einer Pflanzung rasten wir. Jean-Pierre erzählt, dass ein Schwarzer beim Roden der Fläche von einem Baum erschlagen wurde. Schon bald hieß es, seine beiden Frauen, die zu den Pygmäen gehören, hätten ihn verhext. Es gab eine Gerichtsverhandlung und, obwohl die Frauen nicht mal anwesend waren, als der Unfall geschah, wurden sie verurteilt und ins Gefängnis gesteckt, wo sie jetzt schon seit einem Monat sind. Rechtsprechung im 20. Jahrhundert in Afrika! Aber andererseits auch ein Beispiel für die Vorurteile der Schwarzen gegenüber den Pygmäen. Sie werden zwar einerseits als halbe Tiere verachtet, andererseits tauscht man Wildfleisch mit ihnen und heiratet ihre Frauen, hat aber auch Angst vor den magischen Kräften der kleinen Jäger.

Schließlich tauchen wir in den Regenwald ein, der hier relativ einförmig ist. Nur selten ragen wirklich starke Stämme aus ihm heraus. Die Gegend ist flach und es gibt nur wenige Bäche.

Nach vierstündigem Marsch treffen wir kurz vor Einbruch der Dunkelheit im Lager der Pygmäen ein. Durch den Einfluss der Bantu bauen die Bambuti hier nicht mehr ihre typischen Rundhütten, sondern errichten viereckige Bauten nach Art der Schwarzen, die an den Seiten offen sind. Die Hütten sind relativ geräumig und in ihrem Inneren gibt es sogar aus Ruten gefertigte Liegen.

Ich werde von der etwa 20- köpfigen Gruppe, die schon von meinem Kommen wusste, gleich freundlich empfangen. Ein Grund hierfür ist sicher, dass ich sofort nach der Ankunft jedem eine Zigarette schenke. Geschenke sind auch heute noch bei jeder Kontaktaufnahme mit den Menschen Afrikas wichtig. Zum Abendessen gibt es das Fleisch eines frisch erlegten Zwergmoschustieres. Dieses kleine, auch Hirschferkel genannte Säugetier wurde erst von wenigen Weißen beobachtet. Es ist zart und schmeckt ganz hervorragend. Ihr Trinkwasser gewinnt die Gruppe aus einem kleinen, schmutzigen Bach, der in der Nähe vorbeifließt. Als ich das Gewässer sehe, beschließe ich sofort alles Wasser, das ich hier trinke abzukochen. Obwohl ich den Pygmäen und meinen Leuten erkläre, wie wichtig das Abkochen ist, bleibe ich doch der Einzige, der auf diese Weise entkeimtes Wasser trinkt.

Wegen meinen Schmerzen ziehe ich mich schon bald ins Zelt zurück, das ich etwas abseits des Lagers aufgeschlagen habe. In der Nacht schleicht ein Leopard, von dem ich schon in Mawa-Gare gehört hatte, um die Hütten. Ich höre sein heiseres Fauchen und die fünf Hunde des Lagers bellen sich fast heiser. Wahrscheinlich hat der Fleischgeruch die Raubkatze angelockt.

Am nächsten Morgen brechen wir erst spät zur Jagd auf. Fünf, nur mit Pfeil und Bogen bewaffnete Jäger schwärmen in einer lockeren Kette aus. Die Hunde, die, wie in Nduye Rasseln um den Hals tragen, sollen das Wild aufspüren. Wir sind noch nicht lange unterwegs, als ein Gewitter aufzieht. Noch vor den ersten Regentropfen erreichen wir wieder das Lager. Es regnet den ganzen Nachmittag und den größten Teil der folgenden Nacht. Wir sitzen in den Hütten und plaudern miteinander. Der Vorteil, der an den Seiten offenen Bauweise ist, dass man sich über mehrere Hütten hinweg unterhalten kann. Meoua, der betrunkene Pygmäe von gestern, ist inzwischen auch im Lager eingetroffen. Er hat Pfeile mitgebracht, die mit dem Gift einer Lianenwurzel bestrichen werden. Sie töten einen Affen angeblich in Minutenschnelle. Die Bambuti hier verwenden auch Netze zur Jagd. Ein großer Waldteil wird dabei nach einer Seite abgesperrt. Dann versuchen alle Pygmäen das Wild in die Netze zu treiben, wo es mit Speeren und Messern getötet wird.

Die Jagd ist nicht ungefährlich. Nestors Bruder, der einen Schimpansen angeschossen hatte, wurde von dem verwundeten Tier getötet. Der älteste Jäger, Awiwi, hat eine tiefe Narbe auf der Stirn. Ich erfahre, dass sie von einem Leoparden stammt, der ihn im Wald von einem Baum aus angesprungen hat. Obwohl er schwer verletzt war, konnte er die Raubkatze mit seiner Lanze töten. Natürlich dreht sich die Unterhaltung dann einige Zeit um den Leoparden, den auch ich in der letzten Nacht gehört habe. Als ich sage, dass ich die Katze gerne mit nachgeahmten Duckerlauten anlocken möchte, um sie zu beobachten, beteuern alle sofort, sie könnten die Laute der kleinen Antilopen nicht nachahmen. Offenbar haben sie großen Respekt vor der gefleckten Wildkatze. Erst nachdem ich Prämien für das Beobachten von Tieren aussetze, sagt Meoua zu, das Anlocken mit mir ausprobieren zu wollen. Ich frage, ob die Gruppe kein Großwild jagt, wie es die Efe tun. Nur Awiwi erlegte einmal einen Büffel. Elefanten hat er, wie die anderen, noch nie gejagt. Die ganze Unterhaltung läuft über Dieudonne´ und Jean-Pierre, da niemand sonst Französisch spricht. Allerdings sprechen die Pygmäen hier auch keine eigene Sprache. Sie haben das Idiom der Bantu übernommen.

Alle Bewohner des Lagers rauchen leidenschaftlich gern Tabak, manche aber auch Bangi aus einer Pfeife. In einer Regenpause sehe ich, wie ein riesiger Zug roter Ameisen auf das Lager zumarschiert. Eine Frau zündet sofort ein Feuer an, womit es ihr tatsächlich gelingt die Ameisen aus ihrer Richtung abzulenken. Alle Insekten die sich in der Bahn der räuberischen Ameisen befinden werden gefressen und auch wir müssen mit ziemlich unangenehmen Bissen rechnen, wenn die Ameisen uns überraschen.

Ich frage von welchem Tier die mächtige Kralle stammt, die ich am Rande des Lagers liegen sehe. Mit Hilfe der Bilder in meinem Bestimmungsbuch, erfahre ich von den Bambuti, dass es sich um Reste eines Erdferkels handelt. Dieses, mit seiner langen Schnauze ziemlich merkwürdig aussehende Tier, ist vollkommen auf Termiten als Nahrung angewiesen. Mit den mächtigen Krallen reißt es Löcher in die Nester der Krabbeltiere, um an seine Beute zu gelangen. Über Tag schläft es in seinem Bau. Die Pygmäen nützen das aus, indem sie durch die engen Gänge kriechen, bis sie das Tier gefangen haben.

Als lebendiger Vorrat sind zwei Schildkröten im Lager an einem Baum angebunden. Aber noch steht genug andere Nahrung zur Verfügung.

Mein Abszeß schmerzt noch immer. Ich behandle ihn jetzt mit einer antibiotischen Salbe.

Als ich am nächsten Morgen aufwache bin ich entsetzt: Das Geschwür ist offen und voll blutigem Eiter. Ab jetzt verbindet Dieudonne´ die Wunde mehrmals am Tag. Vorher drückt er den Eiter aus, der sich wieder neu angesammelt hat. Die Prozedur ist äußerst schmerzhaft, aber es führt kein Weg daran vorbei. Natürlich ist es mir etwas peinlich, mich dem Schwarzen mit entblößtem Gesäß zu zeigen. Aber schnell verfliegt die Scham, denn Dieudonne´ ist wirklich bemüht mir zu helfen.

Zum Frühstück gibt es Fleisch und Süßkartoffeln. Die Bambuti wollen erst nachmittags auf Jagd gehen, da ihnen der Wald nach dem starken Regen noch zu nass ist. Also gehe ich alleine auf einem Pfad in den Wald. Der feuchte Dunst steigt empor und verbreitet eine eigenartige Stimmung. Manchmal setze ich mich für einige Zeit auf den Boden und warte darauf, dass verborgene Tiere sich zeigen. Außer einigen Affen beobachte ich aber nichts. Mittags essen wir Reis mit Bohnen aus unserem mitgebrachten Vorrat. Natürlich geben wir den Pygmäen auch etwas, schließlich teilen sie auch ihre Beute mit uns. Wir haben viel mehr Nahrungsmittel mitgebracht, als auf den Expeditionen von Nduye. Ich denke, ich habe aus meinem Fehler dort gelernt und will nicht, dass es nur wegen dem Essen wieder zu Spannungen kommt.

Die Essenszubereitung wird von den Frauen über dem offenen Feuer erledigt. Die Töpfe stammen alle von den Bantu. Ich bin froh, dass wir die Bohnen dabei haben. Sie brauchen zwar lange um zu garen, sind aber sehr nahrhaft.

Schließlich brechen wir zur Jagd auf. Ohne Sichtkontakt laufen wir in weiter Kette durch ein Bachtal. Ich höre die Klage eines Duckers, die mir ja noch aus Nduye bekannt ist. Bald taucht Malolo mit seiner Beute auf. In der einen Hand hält er einen großen, schwarzen Hühnervogel, in der anderen einen Ducker, den ich mit meinem Buch später als Weißbauchducker identifiziere. Es ist wohl noch ein Jungtier und hat etwa die Größe eines Rehs. Es lebt noch, daher bitte ich die Jäger es zu töten, was sie mit einem Machetenhieb auch tun. Malolo scheint ein guter Schütze zu sein. Ich bin beeindruckt, dass er in der dichten Vegetation ein kleines Ziel, wie das Huhn getroffen hat. Sein Pfeil war nicht vergiftet, sondern mit einer Metallspitze versehen. Die Pygmäen beherrschen die Schmiedekunst nicht, daher müssen Töpfe und auch Pfeilspitzen bei den Bantu besorgt werden. Manchmal gelingt ein Tauschgeschäft mit Fleisch. Häufig müssen die Bambuti aber auch für solche Waren bei den Schwarzen in der Pflanzung arbeiten.

Etwas später entdecken die dackelgroßen Hunde einen Bau. Einer aus der Meute schlüpft in die enge Röhre. Wir können seine Bewegung durch das Bellen verfolgen. Schließlich kommt er mit einer Kusimanse im Fang heraus. Die Pygmäen verschmähen auch kleine Beutetiere nicht, obwohl sie kaum Fleisch liefern. Immer wieder gibt es längere Perioden ohne größere Jagderfolge. Daher nehmen sie alles mit, was sie kriegen können.

Meine Schmerzen sind jetzt so stark geworden, dass ich der Jagd nicht mehr folgen kann. Außen auf meiner Bundeswehrhose zeichnet sich ein großer Blutfleck ab. Ich zeige den kleinen Jägern mein Geschwür und sie sind beeindruckt, dass ich damit überhaupt noch laufe.

Der jüngste Jäger heißt Muele, und ist erst 10-11 Jahre alt. Trotzdem ist er schon mit einem Bogen bewaffnet. Zwei Jahre lang besuchte er in Mawa-Gare die Schule. Da er zu lange von seiner Sippe getrennt war, wenn diese durch den Wald streifte, geht er aber jetzt nicht mehr dorthin. Er kehrt mit mir und Jean-Pierre zum Lager zurück. Dabei trägt er die Antilope und will sich nicht helfen lassen, obwohl die ca. 12 kg Gewicht für ihn natürlich viel zu schwer sind. Auf dem Rückmarsch sehe ich die roten Früchte, von denen ich mich ernährt hatte, als ich im Regenwald verirrt war. Auch von den grünen Früchten entdecken wir welche. Sie sind jetzt reif und wir essen einige. Zweimal sieht Muele Bienen, die um eine Baumhöhle schwärmen. An einem anderen Tag will er hierher zurückkehren, um den Honig zu ernten.

Drei der Pygmäenmänner sind im Lager zurückgeblieben. Atarnas hat Fußschmerzen, zwei andere haben Fieber. Ich versuche den Bambuti die Gefahren, die von unbehandeltem Wasser ausgehen können, zu erklären. Allerdings habe ich keinen Erfolg und bleibe weiterhin der Einzige, der abgekochtes Wasser trinkt. Abends lasse ich mich von Dieudonne´ verarzten.

Die drei Jäger haben keine weitere Beute gemacht. Die Schmerzen werden in der Nacht etwas schwächer, dafür habe ich jetzt mal wieder heftigen Durchfall.

Während die Jäger am nächsten Morgen ausziehen, um bei den Bäumen, die Muele gestern entdeckt hat, den Honig zu ernten, gehe ich mit Jean-Pierre und Nestor auf Pirsch. Nestor ist, neben Awiwi, sicher der erfahrenste Jäger der Gruppe. Wir sehen einige Monameerkatzen, die aber zu hoch in den Bäumen herumklettern, um von einem Pfeil erreicht zu werden. Dann hören wir eine Schimpansenhorde vor uns im Wald lärmen. Um die Tiere nicht zu früh auf uns aufmerksam zu machen, setzen wir gebückt ganz langsam einen Fuß vor den anderen. Die Geräusche kommen immer näher, und ich rechne damit in jedem Augenblick die schwarzen Menschenaffen zu erspähen. Leider wird daraus nichts, denn die Schimpansen ziehen rasch weiter. Nestor erzählt, dass die Menschenaffen so scheu sind, weil sie von den Schwarzen mit Gewehren bejagt werden. Später finden wir ein Schlafnest der Affen. Es sieht aus wie eine geschlossene Kugel und befindet sich auf halber Höhe eines dünnen Stammes.

Als nächstes beschleichen wir eine Gruppe von Mantelaffen. Wir gelangen bis auf Pfeilschussweite an sie heran. Nestor zielt und schießt. Der Pfeil geht daneben. Allerdings haben die Affen den Anschlag auf sie nicht bemerkt. Daher kann Nestor noch zwei Pfeile abfeuern, die aber auch nicht ihr Ziel erreichen. Die Affen sind wohl doch zu weit oben in der Baumkrone.

Die Jäger kommen abends mit ihrer Beute zurück: Ein Quastenstachler, ein Fisch mit Schnurbarthaaren und eine riesige Schnecke mit ihrem Haus. Ein wahrhaft gemischter Speisezettel, zu dem die Frauen Gemüse im Wald gesammelt haben!

Als wir abends alle im Schein des Feuers beieinandersitzen, stelle ich noch einige Fragen zur Tierwelt der Gegend. Elefanten sind hier fast ausgestorben, da sie von Bantuwilderern wegen ihrem Elfenbein getötet werden. Die Rotbüffel waren in dieser Gegend wohl schon immer sehr selten. Ich bin erstaunt, dass die Bambuti das Okapi aus meinem Buch erkennen, denn ich hatte nicht damit gerechnet, dass es so weit entfernt vom Ituri noch vorkommt. Die Pygmäen erzählen, dass es tiefer im Wald lebt. Hier käme es nicht vor, weil alte Siedlungen der Azande im Wald liegen. Die Schwarzen gaben ihre Dörfer auf, als Bahnlinie und Straßen gebaut wurden, und leben jetzt alle dicht bei diesen Verkehrslinien. Die Belgier förderten zur Kolonialzeit die Umsiedlung, um durch die Schwarzen die Straßen in Stand halten zu lassen. Vielleicht erklärt sich auch die relative Einförmigkeit und die Seltenheit großer Baumriesen damit, dass weite Teile des Waldes früher schon einmal gerodet waren.

Nestor erzählt, dass jeder Jäger sich in seiner Jugend auf bestimmte Beutetiere spezialisiert. So ist er ein Spezialist für Antilopen und sein jüngerer Bruder für Leoparden. Der Bruder kann die Duckerschreie hervorragend nachahmen und hat auch schon die gefleckte Katze mit Giftpfeilen erlegt. Ich möchte ihn gerne anheuern um vielleicht doch noch einen Leoparden zu Gesicht zu kriegen. Es wird dann noch viel über Jagdzauber geredet. Mir scheint, dass die beiden Katecheten auch daran glauben!

Am nächsten Morgen geht es mir ziemlich schlecht, daher begleite ich die Jäger nicht.

Die meisten Frauen ziehen zum Sammeln in den Wald. Sie suchen vor allem wilde Yamswurzeln, die dem Maniok ähneln. Später gehe ich auch in den Dschungel, lege allerdings keine weite Strecke zurück, sondern setze mich an verschiedenen Stellen ruhig hin.

Ein stets gegenwärtiges Geräusch im Wald ist das monotone Zirpen der Zikaden. Es passt irgendwie ganz gut zu der schwülen Hitze.

Während ich still dasitze, kommt ein Sonnenhörnchen, was etwa so groß ist wie ein Eichhörnchen, ganz dicht bei mir vorbei. Mit der Schnauze am Boden sucht es nach Nahrung. Ein Trupp Mantelaffen lärmt durch die Baumkronen. Obwohl die Bambuti schon seit zwei Monaten hier jagen, scheinen zumindest die Affen noch sehr häufig und nicht besonders scheu zu sein.

Ich habe Fieber und verbringe daher den ganzen Nachmittag im Lager. Die Pygmäen haben noch bis vor einigen Jahren runde Laubhütten gebaut. Erst seit kurzer Zeit ahmen sie den Baustil der Bantu nach. Ich sehe zu, wie der junge Muele ein neues Bett baut. Unheimlich geschickt fügt er Zwillen und Äste zusammen. Geschmeidige Fasern geben zusätzlichen Halt.

Die Jäger haben heute nichts erbeutet, aber einige Frauen kommen mit Maniok und Bananen von den Bantu zurück. Die Früchte müssen stets bezahlt werden. Entweder mit Fleisch oder mit Arbeitsleistung. Nestors Bruder, der Leopardenjäger, den ich anheuern wollte, haben die Frauen nicht getroffen.

Bevor die Jäger am nächsten Morgen aufbrechen, werden noch Zigaretten und Marihuana geraucht. Manche der Bambuti verwenden dazu eine lange Holzpfeife, an deren Ende die Zigarette gesteckt wird. Die Pygmäen freuen sich jedes Mal, wenn ich einige Glimmstengel verteile. Dabei rufe ich die Namen auf, und jeder, ob Mann oder Frau empfängt eine Zigarette. Natürlich kann ich noch nicht jeden persönlich ansprechen, aber meine beiden Dolmetscher helfen mir, wenn mir einer der Namen mal wieder nicht einfallen will. Ich denke, dass dadurch jeder das Gefühl hat, ganz persönlich beschenkt zu werden. Außerdem würde sicher Neid entstehen, wenn ich die tägliche Rauchwarenration an einen der Bantu oder Bambuti zur Verteilung gäbe.

Bald darauf brechen wir auf. Wir laufen zunächst im Gänsemarsch hintereinander, bis wir das Jagdgebiet erreichen. Nestor marschiert vorne und trägt eine Fackel. Ich erfahre, dass das Feuer das Zeichen dafür ist, dass er die Gruppe anführt. Natürlich kann sie auch ganz praktisch verwendet werden um zum Beispiel Bienen auszuräuchern. Nach längerem Marsch sammeln wir uns. Nestor wirft die Fackel weg, aber zuvor tarnt jeder sein Gesicht mit etwas Asche. Dann durchkämmen wir in langer Reihe das vor uns liegende Gelände. Bei jedem Jäger befindet sich ein Hund. Zunächst geht es durch verfilztes Dickicht, das laut Dieudonne´ eine aufgegebene Pflanzung markiert. Weiter geht es durch ein Bachtal. Plötzlich höre ich lautes Schreien. Nestor, dem ich folge beginnt zu laufen und ich versuche so gut es geht mit ihm Schritt zu halten. Natürlich klappt das nicht lange. Im Dickicht aus Dornen und Lianen ist wohl jeder Pygmäe schneller als ein Europäer. Die Hunde bellen, und ich hetze auf die Geräusche zu. Irgendwann habe ich die Jäger erreicht. Sie stehen bei einer großen, braunen Antilope. In ihrem Bauch steckt ein Pfeil mit metallener Spitze. Ich bin zunächst ratlos, um was für ein Tier es sich handelt. Ein Bongo ist es nicht, und andere Antilopen, die so groß wie das Rotwild in Europa sind, gibt es hier meiner Ansicht nach nicht. Zurück im Lager studiere ich mein Säugetierbuch und finde nach einiger Zeit heraus, um welche Art es sich handelt. Wir stehen vor einem halbwüchsigen Sitatungamännchen. Diese Antilopenart kenne ich ja bereits aus dem Okavango-Delta. Ich hatte die, auf Sumpfgegenden spezialisierte Spezies, hier nicht erwartet, lese aber später noch häufiger, dass sie durchaus auch im Regenwald abseits von Schilfflächen vorkommt. Ich habe sie nicht gleich identifizieren können, weil die sonst typische weiße Streifenzeichnung dem Tier fehlt. Da die Antilope noch relativ jung ist, trägt sie nur kurze Hörner.

Die Pygmäen sind vollkommen aus dem Häuschen. Das Tier ist ihre größte Beute seit drei Monaten, und ergibt zwischen sechzig und siebzig Kilo Fleisch, schätze ich. Das ist natürlich ein Grund zur Freude. Dann erfahre ich, wie sich die Erlegung zugetragen hat:

Amalolo sieht bei einer Rast etwa zwanzig Meter von sich entfernt, die Antilope im Gebüsch stehen. Sofort feuert er seinen Pfeil ab, woraufhin das Tier flüchtet. Sein Hund läuft hinterher und auch alle anderen Hunde und Jäger machen sich durch seine Rufe alarmiert an die Verfolgung. Nach einigen hundert Metern stehen die Jäger schließlich vor der bereits verendeten Antilope.

Nun geht es an den Transport. Dieudonne´ und Jean-Pierre erklären sich sofort bereit die schwere Last zu tragen. Das Tier wird an einen Stock gehängt und der Rückmarsch beginnt. Bis wir zurück bei den Hütten sind, erklingt ununterbrochen der Freudengesang der Pygmäen. Das Ausweiden und Zerlegen der Beute wird erst im Lager durchgeführt. Jeder kriegt dabei etwas von dem Fleisch, auch die wackeren Träger. Die besten Stücke kriegt natürlich der glückliche Schütze, Amalolo. Die mageren Hunde ernten allerdings nur Fußtritte, wenn sie der Antilope zu nahe kommen. Ein Teil des Fleisches wird gleich zubereitet. In Palmöl gebraten schmeckt es recht gut.

Nachmittags gehe ich noch einmal mit Nestor in den Wald. Wir hören etwas Großes durch das Gebüsch davonbrechen und stehen dann vor der Stelle, wo vermutlich eine weitere Sitatunga geruht hat. Nestor schreit mit Leibeskräften nach den anderen Jägern, wir sind aber schon zu weit vom Lager entfernt, als dass sie uns hören könnten.

Ich sehe nicht, dass ein Teil des Fleisches durch Räuchern oder Einsalzen haltbar gemacht wird. Na ja, sechzig Kilo sind auch nicht so furchtbar viel für zwanzig hungrige Bambuti!

Außerdem ist schon Besuch da, als wir abends ins Lager zurückkehren. Ein Azande ist mit seiner Frau und einem Baby eingetroffen. Wie er von der Erlegung erfahren hat, weiß ich nicht. Vielleicht ist es auch nur Zufall, dass er an dem Tag als eine große Beute gemacht wurde, hier eintrifft. Er hat viele Bananen mitgebracht, die er gegen Fleisch tauschen will.

Einer der Jäger war heute nicht mit dabei. Charlot hat Kopf- und Bauchschmerzen. Außerdem spuckt er Blut. Ich fürchte, er hat Tuberkulose und rate ihm nach Mawa-Gare zu gehen, wo ihm vielleicht über die Mission geholfen werden kann. Als es ihm nicht besser geht, verlässt er mit seiner Familie zwei Tage später das Lager.

Abends am Feuer werden wieder viele Geschichten erzählt. Ich erfahre, dass Nestor und Atambao bei den Simbarebellen waren. Sie haben sich nicht freiwillig den Aufständischen angeschlossen, sondern wurden dazu gezwungen. So gute Jäger wie die Pygmäen, sind natürlich perfekte Buschkämpfer und werden gerne zum Krieg führen missbraucht.

Mein Abszeß tut heute weniger weh. Dennoch setze ich die Wundbehandlung weiter fort.

Am nächsten Tag gibt es Ärger wegen dem Fleischhandel. Der Azande hat drei Fleischstücke gegen drei Flaschen Arrak, (So wird hier der selbstgebrannte Schnaps genannt), eingetauscht. Der Wert der Flaschen beträgt 3000 Zaire. Dieudonne´ hat für dieselbe Summe Bargeld nur ein Stück erhalten, und ist daher sauer. Ich will mich nicht einmischen, habe aber das Gefühl, dass der Schwarze die Vorliebe der Pygmäen zum Alkohol missbraucht hat. Dieudonne´ protestiert bei Atarnas, der wegen seiner Abstammung als halber Bantu in solchen Fällen als Chef der Gruppe fungiert. Alle Klagen nützen jedoch nichts, der Azande behält sein Fleisch.

Heute geht niemand auf Jagd, da es ohnehin dreimal am Tag eine Fleischmahlzeit gibt. Also gehe ich alleine in den Wald. Ich beobachte einige amselgroße Vögel. Die Männchen haben ein herrliches orangerotes Gefieder und einen schwarzen Kopf. Die Weibchen die von ihnen umbalzt werden sind dagegen ziemlich unscheinbar.

Zurück im Lager beschäftigen die Pygmäen sich lange mit meinem Säugetierbuch. Die meisten Arten, die hier vorkommen, erkennen sie auf Anhieb, manchmal unterlaufen ihnen aber auch Fehler. Ich wüsste sehr gerne welches das Tier ist, dessen abscheuliches Klagen und Wimmern häufig nachts zu hören ist. Atarnas zeigt auf einen Klippschliefer, der es aber auf keinen Fall ist, da es hier keine Felsen gibt. Ich vermute eher, dass es ein nachtaktiver Affe, vielleicht ein Potto oder Galago ist. Erst Jahre später, auf meiner nächsten Afrikareise in Kamerun, erfuhr ich, dass die Pygmäen gar nicht so unrecht hatten. Der Urheber der merkwürdigen nächtlichen Geräusche ist ein Baumschliefer, der mit dem Klippschliefer verwandt ist und ihm ähnlich sieht.

Jean-Pierre trifft abends mit neuen Vorräten ein, die er in meinem Auftrag gekauft hat. Er wird von einem weiteren Azande, der Fleisch kaufen will, begleitet. Zur Feier des gestrigen Erfolges, spendiere ich zwei Kanister Palmwein. Obwohl die Jäger schon mittags Arrak getrunken haben, ist niemand betrunken. Wahrscheinlich verhütet das kollektive Trinken, bei dem keiner lange die Flasche behält, dass einer zu viel Alkohol abbekommt. Ich hoffe, dass der Palmwein und ihr Jagderfolg die Pygmäen zum Tanzen anregt, diese Erwartung erfüllt sich jedoch nicht.

Während wir in fröhlicher Stimmung um die Feuer sitzen, taucht plötzlich ein Skorpion aus der Dunkelheit auf. Das Mädchen, das am nächsten zu ihm sitzt, zögert keinen Augenblick. Sie nimmt einen brennenden Zweig aus dem Feuer und tötet das Tier damit.

Am nächsten Morgen ist die Jagdruhe schon wieder beendet. Die Gruppe packt ihre wenigen Habseligkeiten zusammen und macht sich auf den Weg zu einem anderen, eine Marschstunde entfernten Lager. Wieder einmal staune ich, welche Lasten die Frauen in ihren Bastkörben tragen.

Kaum haben wir das Lager erreicht, beginnt die Jagd. Die beiden Azande, Martin und Jacques, sind auch mit von der Partie. Beide tragen einen Bogen, und Martin erzählt, er habe damit schon drei Tiere erlegt. Unterwegs finden wir zwei Yamsranken. Sie tragen Dornen und haben lindenförmige Blätter. Ihre Frucht, eine Knolle, sitzt wie beim Maniok unter der Erde. Nestor hält immer wieder einmal an, um Rinde von verschiedenen Bäumen und Sträuchern abzuschaben. Er will daraus einen Sud herstellen, mit dem die Pfeile bestrichen werden. Es ist kein Gift, sondern eine magische Substanz, die erreichen soll, dass die Pfeile ihr Ziel treffen.

Wir stöbern wieder durch fast undurchdringliche Dickichte, weil hier die besten Wildverstecke sind. Die Hunde wittern unter einem Reisighaufen etwas. Dieudonne´ und ich sehen einen Quastenstachler. Das ist ein Nagetier, das einem kleinen Stachelschwein ähnelt. Zwei Meter von uns entfernt versucht es sich zu verstecken. Dann läuft es zusammen mit einem weiteren los. Das eine Tier wird von Meoua angeschossen und flüchtet dann in eine Höhle am Fuß eines Baumes. Jetzt kommt mein Einsatz: Anders als viele Naturmenschen können die Jäger kein Feuer ohne Hilfsmittel machen. Sie wollen das Tier aber durch Ausräuchern zwingen zum Tageslicht zurückzukehren. Mit Hilfe meines Feuerzeuges gelingt es uns nasses Reisig zu entzünden, das dichten Qualm verursacht. Trotzdem kommt das Tier nicht aus seiner Höhle. Schließlich greift Martin mit seinem langen Arm in das Loch. Es gelingt ihm, das bereits verendete Tier herauszuziehen. Wegen dem Qualm wollte es die Höhle verlassen, ist aber verendet, bevor es den Eingang erreicht hat.

Einmal verfolgen die Hunde ergebnislos eine Antilope. Dann ziehen sie eine junge Kusimanse aus ihrem Bau, ansonsten verläuft die weitere Jagd ereignislos.

Schon seit vorgestern vermisse ich Amalolo. Ich erfahre, dass seine Schwester eine der beiden Frauen ist, die wegen der Hexerei bei dem Baumfällunglück im Gefängnis gelandet sind. Amalolo besucht sie jetzt. Der ganze Vorfall sorgt für ziemliche Aufregung bei den Bambuti. Trotzdem protestiert niemand gegen die Behandlung der Frauen.

Abends am Lagerfeuer werden Fabeln erzählt, die Dieudonne´ mir auf Französisch zu übersetzen versucht. Eine der Geschichten, "Die Schnecke und die blaue Antilope" kenne ich auch. Es ist nämlich die Fabel "Der Hase und der Igel" auf Afrikanisch. Es wäre interessant zu wissen, ob sie hier unabhängig von der europäischen Version entstanden ist. Aber das weiß natürlich auch keiner von den Anderen am Feuer.

Früh am nächsten Morgen brechen die Männer wieder auf zur Jagd, während die Frauen Fischen gehen wollen. Nach einer halben Stunde erreichen die Jäger eine Hütte an einem Erdferkelbau. Tiefe Löcher zeugen von den Versuchen das Tier auszugraben. Ich erfahre, dass die Jagd auf das Erdferkel eine ganze Woche lang gedauert hat, bis es schließlich gelungen ist, das Tier so weit auszugraben, dass es erlegt werden konnte. Wie bereits beschrieben, manchmal ist das Ausgraben nicht erforderlich. Wenn die Gänge breit genug sind, kriecht ein Jäger dem Erdferkel einfach hinterher.

Bald darauf führt Nestor den Jagdzauber durch. Alle Bogen werden auf einen Haufen gelegt. Dann vermischt Nestor die gestern gesammelte Rinde mit Lianenflüssigkeit. Muele und der Azande Jacques tränken große Blattwedel mit dem Gemisch. Dann schlagen sie mit den Blättern auf die Bogen ein und ahmen dabei Tiergeräusche nach. Zum Abschluss der Zeremonie laufen sie davon und springen in die Höhe. Die ganze Angelegenheit wirkt eher lustig und ich bin zunächst nicht überzeugt, ob die Pygmäen an die Wirksamkeit des Zaubers glauben.

Dann beginnt die Jagd. Dieudonne´ und ich folgen Nestor und Muele. Wir gehen an einem liegenden Baumstamm vorüber, ohne etwas zu bemerken. Dieudonne´, der als Letzter geht, gibt uns ein Zeichen, zurückzukommen. Er zeigt auf einen Schwarzrückenducker, der neben dem Stamm unbeweglich in seinem Versteck liegt. Das Tier ist etwa so groß wie ein Reh, rostbraun mit schwarzem Aalstrich auf dem Rücken und hat einen gedrungenen Körperbau mit kurzen Beinen. Jetzt weiß ich auch woher der Name Ducker kommt. Selbst, als wir unmittelbar neben ihm stehen, bleibt er liegen. Wie ein Hase verlässt er sich auf seine Tarnung, statt zu flüchten. Das wird ihm zum Verhängnis. Nestor legt einen Pfeil auf und trifft aus der kurzen Distanz natürlich. Es ist kaum zu glauben, die kleine Antilope bleibt noch immer liegen. Jetzt schießt Muele, und wie vom Blitz getroffen rast das Tier, mir durch die Beine laufend, davon. Es kommt allerdings nicht weit. Wegen seiner Verwundung wird es schnell von den Hunden eingeholt, und von einem Jäger mit dem Messer getötet. Die Antilope trägt kurze gerade Hörner und hat wie alle Ducker einen Haarschopf auf der Stirn. Daher werden diese Tiere auch Schopfantilopen genannt.

Gegen Mittag stöbern die Hunde wieder einen Quastenstachler auf. Das Tier versteckt sich in einer Baumhöhle und wird, als es herauskommt, von Muele mit einem Pfeil erlegt. Dagegen entkommt ein weiteres Tier dieser Art unverletzt.

Nachmittags hören wir auf einmal laute Schreie von Muele. Nestor rennt sofort los und ich sprinte hinterher, so schnell es in dem dichten Wald möglich ist. Bald sehen wir einen flüchtenden, gelb-grünen, ungefähr 1,50 Meter langen Waran, dem Mueles Pfeil in der Seite steckt. Das Reptil ist erstaunlich schnell. Trotzdem gelingt es Nestor im Laufen einen zweiten Pfeil abzufeuern, der tatsächlich trifft. Daraufhin wird das Tier langsamer und von Nestor eingeholt. Er tötet es mit einigen Machetenschlägen in den Nacken. Warane kenne ich bereits aus der Savanne, aber ich bin erstaunt, dass diese Tiere auch im Regenwald leben.

Die Schießkunst der kleinen Jäger ist verblüffend. Sogar ein 10-jähriger Junge, wie Muele, ist schon ein guter Bogenschütze.

Im Sand eines Flussbettes entdecke ich einmal den mächtigen Krallenabdruck eines Leoparden. Mit einer anderen Spur weiß ich zunächst nichts anzufangen. Auf 30-40 Zentimeter Breite ist an einer Stelle in Bachnähe das Gras platt gedrückt, als ob etwas Schweres darüber gewalzt wäre. Von den Pygmäen erfahre ich, dass dies die Spur einer großen Python ist. Die Riesenschlangen können mehr als sechs Meter Länge erreichen!

Neben dem Wild sind vor allem zwei Gruppen von Lebewesen allgegenwärtig im Regenwald. Das eine sind die Ameisen, die in verschiedenen Größen und Formen stets vorhanden sind. Das andere sind Tausendfüßler, die es häufig sogar bis in mein Zelt schaffen, obwohl alle Reißverschlüsse zu sind. Es gibt auch giftige Arten. Die bloße Vorstellung, dass sie nachts über mein Gesicht kriechen, reicht mir aber auch so schon, sie für ziemlich lästig zu halten.

Am späten Nachmittag stoßen die Hunde auf zwei Zwergmoschustiere. Mit ihrem rotbraunen, weiß gefleckten Fell haben sie Ähnlichkeit mit jungen Wildschweinen. Zoologisch stehen sie zwischen Antilopen und Schweinen. Vielleicht rührt daher auch ihr anderer Name: Hirschferkel. Sie leben hauptsächlich von pflanzlicher Kost, fressen aber auch Fische. Daher sind sie an Gewässer gebunden. Bei Gefahr flüchten sie stets ins Wasser, wo sie lange Zeit tauchend überstehen können. Auch das von uns verfolgte Hirschferkel läuft zu einem Bach. Diese Angewohnheit wird ihm jetzt zum Verhängnis, denn die Bäche sind am Ende der trockeneren Jahreszeit bis auf einige kleine Tümpel ausgetrocknet. Die Jäger postieren sich um die kleine, nicht ausgetrocknete Stelle und warten auf das Auftauchen ihrer Beute. Es dauert einige Minuten, aber schließlich sehe ich wie das Tier an die Wasseroberfläche kommt. Martin macht dieselbe Beobachtung und tötet das Tier mit seiner Machete. Es wiegt nur etwa drei Kilogramm. Ein anderes Hirschferkel wird von Atambao angeschossen und beim Auftauchen von Nestor getötet. Obwohl die Tiere offenbar nicht besonders selten sind, wurden sie bisher kaum von Weißen beobachtet. Wahrscheinlich liegt das an ihrer nächtlichen Lebensweise. Sie sind zwar mit der weißen Fleckung ziemlich auffällig, verschwinden aber bei ihrer geringen Größe leicht im Grün des Regenwaldes.

Kurz vor Einbruch der Dunkelheit sind wir wieder im Lager. Auch die Frauen hatten Erfolg. Sie haben einen kleinen Waran und viele Aale gefangen.

Natürlich schieben die Pygmäen die reiche Beute des heutigen Tages auf den Jagdzauber.

Vielleicht haben sie ja recht? Die meisten von ihnen sind zwar getauft und tragen christliche Namen, dennoch glauben sie noch an die Wirkung solcher magischer Rituale.

Zum Abendessen gibt es in erster Linie Herz und Leber der erlegten Tiere. Während meiner ganzen bisherigen Afrikareise habe ich nie so gut gegessen, wie hier bei den Bambuti im Regenwald.

Mein Abszeß ist dabei zu heilen und schmerzt längst nicht mehr so schlimm. Dafür plagen mich jetzt vor allem nachts immer heftige, entkräftende Durchfälle, obwohl ich mein Trinkwasser abkoche.

Am nächsten Tag habe ich Fieber und fröstele. Daher begleite ich die Jäger nicht, sondern gehe nur etwas spazieren. Schon gegen Mittag sind alle wieder zurück im Lager. Wieder wurden ein Zwergmoschustier und ein Schwarzrückenducker erbeutet. Auch der Waran und das Hirschferkel von gestern werden erst heute zerlegt. Mit besonderer Sorgfalt gehen die Bambuti beim Enthäuten des Warans vor, da mit seiner Haut die Tam-Tam genannten Trommeln bespannt werden. Ich esse abends auch von seinem Fleisch, es schmeckt mir aber nicht besonders. An der Stelle unweit des Lagers, wo das Wild ausgeweidet wurde, wird hinterher ein Feuer entzündet. Einige Azandefrauen besuchen das Lager um Fleisch einzutauschen.

An der nächsten Jagd versuche ich wieder teilzunehmen, muss wegen meinem schlechten Zustand aber schon nach kurzer Zeit mit Jean-Pierre den Rückweg antreten.

Offenbar hat es sich in Mawa-Gare herumgesprochen, dass die Jäger zur Zeit ziemlich erfolgreich sind, denn es kommen weitere Bantu ins Lager. Viel Fleisch wird gegen Palmwein verkauft. Das ist sicher ein schlechter Tausch, aber die Pygmäen genießen es den Becher kreisen zu lassen.

Heute bringen die Männer einen Quastenstachler und eine Schildkröte mit von der Jagd.

Mein Durchfall ist mittlerweile so schlimm, dass ich Medikamente nehme. Ich habe mir zwar vorgenommen, das nur im Notfall zu tun. Aber der starke Wasser- und Nährstoffverlust schwächt mich auf die Dauer wohl doch zu sehr.

Auch den Großteil des nächsten Tages verbringe ich mit Fieber wieder im Lager. Ich denke noch nicht daran ernsthaft krank zu sein und schiebe meinen schlechten Zustand nur auf die Durchfälle und das Geschwür, welches jetzt aber nicht mehr schmerzt. Ich finde diesen Zustand zwischen Wachen und Schlafen keineswegs unangenehm. Mal lausche ich den Geräuschen des Waldes, mal beobachte ich die Bambuti. Momentan haben sie viel Zeit, die sie hauptsächlich mit Unterhaltungen verbringen. Es gibt mehr als genug zu essen, die Jagd macht allen Spaß und nimmt auch nicht zu viel Zeit in Anspruch. Heute hat Nestor einen Schwarzrückenducker und Muele einen Blauducker erlegt. Dieses gräuliche, unscheinbare Tierchen ist nur halb so groß wie Nestors Beute.

Meoua und Jean-Pierre brechen früh am nächsten Morgen zum Honig sammeln auf. Schon nach einer Stunde kehren sie mit schwarzen Waben voller süßem Honig zurück.

Da heute mein letzter Tag bei den Pygmäen ist, gehe ich noch einmal mit zur Jagd. Ich bin erstaunt, dass die etwa 14-jährige Tochter von Atarnas, Awande, ebenfalls mitkommt. Sie trägt sogar Pfeil und Bogen. Die Jäger haben sich mit Blättergirlanden getarnt.

Muele stellt einmal mehr seine scharfen Augen unter Beweis. Zuerst findet er einige große Schnecken. Dann entdeckt er einen Baum voller kirschenähnlicher, gelber Früchte. Sofort beginnt er eine waghalsige Kletterei und landet mit einigen der wohlschmeckenden Kirschen wohlbehalten wieder auf dem Erdboden. Atambao erlegt einen Blauducker.

Zurück im Lager erfahre ich, dass die Frauen beim Yamssammeln auf eine frische Elefantenfährte gestoßen sind. Offenbar sind die Dickhäuter in dieser Gegend doch noch nicht völlig ausgerottet.

Gerne würde ich von hier aus mit den Bambuti tiefer in den Regenwald vorstoßen, der jenseits der Bahnlinie sicher noch unberührt ist. Allerdings zeigen die Pygmäen wenig Interesse an diesem Unternehmen, bei dem sie ihr Schweifgebiet verlassen müssten, um ins Unbekannte vorzustoßen. Auch mein schlechter Gesundheitszustand erlaubt es nicht noch länger im Wald zu bleiben. Das Verhältnis zu den Pygmäen und auch zu meinen beiden Führern, war die ganze Zeit hervorragend. Die kleinen Jäger sagen, ich wäre ihr bester Freund, weil ich ihr Leben geteilt habe, was die Missionare nicht tun. Ich soll unbedingt wiederkommen. Natürlich freuen sie sich auch über das Geld, das ich den Jägern bezahle.

Ich bedauere, an keiner Netzjagd teilgenommen zu haben. Die Bambuti erzählen, die Regenzeit wäre für so ein Unternehmen besser geeignet. Sie würden dann etwa drei Treiben an einem Tag veranstalten, bei denen die Teilnahme der Frauen Tabu ist.

Später habe ich noch eine Diskussion mit Dieudonne´. Er findet das Leben der Pygmäen katastrophal und bezeichnet sie als Halbwilde, die man langsam zivilisieren müsse. Ich halte dagegen. Abgesehen von der mangelnden Gesundheitsversorgung scheint es den Bambuti hier mit ihrem alt hergebrachten Lebensstil keineswegs schlechter als den Ackerbau treibenden Schwarzen zu gehen. Warum sollte man sie zwingen dieses freie Leben aufzugeben und gegen die Plackerei auf einer Plantage einzutauschen?

Auch wenn die Bambuti beim Fleischtausch sicher oft übervorteilt werden, scheint das Gleichgewicht der Symbiose zwischen Jägern und Bauern hier noch halbwegs zu stimmen. Trotz der guten Jagderfolge in der Zeit als ich bei der Gruppe war, bezweifele ich allerdings, dass sie völlig ohne Feldfrüchte der Bantu auf Dauer nur von Jagen und Sammeln leben könnten. Obwohl sie sicher noch viele der alten Überlebenstechniken beherrschen, sind sie doch bereits seit langem auf den Handel mit den Schwarzen angewiesen. Später lese ich, dass in anderen Regionen die Pygmäen längst zu abhängigen quasi Sklaven der Bantu degeneriert sind. In so einer Situation kann es sich natürlich als Vorteil erweisen, wenn die kleinen Jäger durch eigene Felder eine größere Unabhängigkeit von den Schwarzen erlangen.

Wir setzen die Diskussion nicht lange fort, da Dieudonne´ auf einmal so tut, als ob er mich nicht versteht. Offenbar ist es ihm unangenehm mir gegenüber eine andere Meinung zu vertreten.

Auch heute sind wieder Frauen ins Lager gekommen, um Palmwein gegen Fleisch zu tauschen. Ich denke, dass das Ausnutzen der Pygmäen durch die meisten Bantu ihr größtes Problem ist. Wie alle Naturvölker sind sie sehr empfindlich gegenüber Alkohol. Dennoch lieben sie es zu trinken. Daher ist der Alkohol ein bewährtes Mittel für die Bantu von den Pygmäen zu kriegen was sie wollen. Solange sie allerdings im Wald sind und jagen gehen, kommt es wohl nicht zu so heftigen Exzessen wie in der Nähe der Bantusiedlungen.

Früh am nächsten Morgen treten Dieudonne´, Jean-Pierre, zwei Pygmäen und ich den Rückmarsch nach Mawa-Gare an. Ich bin sehr schwach und manchmal plagt mich starker Schwindel. Hinterher erfahre ich von den Anderen, dass ich manchmal regelrecht getorkelt bin. Dennoch erreichen wir nach vier Stunden den Ort, von dem wir aufgebrochen waren. Jeder erhält seinen Lohn, und anschließend gehe ich mit Jean-Pierre zu seiner kleinen Krankenstation. Als ich nach der Messung auf das Fieberthermometer blicke, erschrecke ich. Das Quecksilber zeigt 40,2 Grad Celsius an. Für den Krankenpfleger gibt es keinen Zweifel, ich habe Malaria. Seitdem ich in Afrika bin, schlucke ich meine wöchentliche Dosis Chloroquin. Als ich im Dschungel von Nduye verirrt war, musste ich allerdings zwangsweise mit der Einnahme aussetzen. Ob das die Ursache für die Krankheit ist, oder ob ich an resistente Erreger geraten bin, weiß ich natürlich nicht. Wahrscheinlich ist die Malaria auch die Ursache für meine Mattigkeit in den letzten Tagen, die ich auf die Durchfälle zurückgeführt hatte.





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