19.12.2013
Überfall in der Wildnis - Nordkenia 1990
Als wir in der kleinen Oase Baragoi aussteigen, sind wir gleich von "Helfern" umringt, die ihre Dienste anbieten. Wir, dass sind der junge britische Physiker Hector McLean, den ich in einem Bus kennen gelernt habe, und ich. Der Mann ist etwa in meinem Alter, trägt einen roten Vollbart und eine Brille. Er ist sehr groß und schlank, um nicht zu sagen dünn. Bevor er nach Kenia kam, reiste er einige Zeit durch Tansania. Ebenso wie ich ist er auf der Suche nach Wildnis und dem "alten Afrika". Wir planen auf Kamelen von der Oase South Horr zum Lake Logipi der im Süden des Turkanasees liegt, zu reiten.
Für dieses Vorhaben brauchen wir einen Führer. Kaum haben wir dies den Einwohnern Baragois erzählt, holen sie auch schon einen Guide herbei. Letipilli, so heißt er, ist relativ groß und schlank. Die wachen Augen in seinem scharf geschnittenen Gesicht zeugen von Schlauheit und Intelligenz. Er gehört zum Volk der Samburu. Obwohl er nie eine Schule besucht hat, spricht er mit seinen etwa 30 Jahren recht gut Englisch. Dieses hat er sich beim Umgang mit Touristen angeeignet. Er ist schon viel in Kenia herumgekommen, u.a. bis nach Mombasa an der Küste, wo er Samburusouvenirs verkauft hat. Seine Art gefällt mir gleich, und da er behauptet sich in der Gegend gut auszukennen, beschließen wir ihn als Führer einzustellen. Zunächst wollen wir Plastikkanister kaufen, denn ein ausreichender Wasservorrat ist das Allerwichtigste bei unserer geplanten Wüstentour. Wir durchstöbern die kleinen Läden, die oft Somalis gehören. Zwar feilschen wir eifrig, müssen aber dennoch mehr als die Einheimischen bezahlen. Indem wir Wasser einfüllen, stellen wir fest, ob die Kanister lecken, was natürlich fatal wäre.
Der junge Turkana Richard, den wir bei unserer "Einkaufstour" kennenlernen, lädt uns ein bei ihm zu übernachten. Die Turkana, ein anderer Hirtenstamm, leben größtenteils westlich des nach ihnen benannten Sees. Nachdem wir ein Kilo Zucker als Gastgeschenk eingekauft haben, marschieren wir hinaus in die Weite der Halbwüste zu Richards Boma. Letipilli kaut ständig Miraa-Pflanzen, die ein schwaches Rauschgift enthalten. Der Genuß dieser Pflanze ist in Somalia und dem nördlichen Kenia weit verbreitet. Nach einer Stunde Fußmarsch sind wir bei der einfachen Strohhütte angekommen, in der Richard mit seiner Familie wohnt. Für Ziegenfleisch und Tee revanchieren wir uns mit Zucker. Richards Schwester finde ich mit ihren Rastazöpfen sehr hübsch.
Als wir am nächsten Morgen aufwachen, ist Letipilli verschwunden, was uns ziemlich merkwürdig vorkommt. Allerdings fehlt nichts von unserer Ausrüstung, wie wir zunächst befürchten.
Zurück in Baragoi lassen wir uns einige frische Somalipfannkuchen schmecken. Während wir in der kleinen Duka essen, treffen wir einen irischen Missionar. Als wir erzählen, dass wir bei Richard übernachtet haben, sagt er, dass wir Glück hatten, denn Richard hätte schon häufiger Touristen reingelegt. Auch hier ist nichts von Letipilli zu sehen, daher beschließen wir weiterzutrampen. Schon bald hält ein reicher Viehhändler, der in seinem Range Rover eine Flinte stehen hat. Er warnt uns vor Letipilli, der seiner Meinung nach ein kleiner Betrüger ist.
Aus dem dürren Buschland ragen viele Berge auf. Nach etwa hundert Kilometern erreichen wir die zwischen zwei Gebirgszügen liegende Oase South Horr, den Ausgangspunkt unserer geplanten Kameltour. Hohe grüne Akazien, blühende Blumen und Bananenstauden bieten einen erstaunlichen Kontrast zu der umliegenden Halbwüste. Es gibt hier sogar eine Forststation, bei der wir für wenig Geld unsere Zelte aufschlagen dürfen. Der Ort ist um eine italienische Mission herum entstanden. Die Ordensleute erlauben uns, Gepäck, das wir für unsere Expedition nicht benötigen, bei ihnen zurückzulassen. Auch sie warnen vor Letipilli. Trotzdem, wen auch immer wir im Ort nach einem guten Führer fragen, stets hören wir als erstes seinen Namen. Dennoch engagieren wir einen anderen Guide. Rafael so heißt er, hat vor kurzem die Schule beendet und wirkt auf mich nicht gerade so, als würde er sich gut im Busch auskennen. Wir gehen mit ihm zu einer Samburu Boma, wo wir unsere Kamele besorgen wollen. Aber als ein alter Mann uns den Preis für die Tiere nennt, beschließen wir lediglich einen Esel zu mieten, der nach Rafaels Meinung für unser Vorhaben ebenso gut geeignet ist. Der Mann will erst 150 Schillinge. Mit etwas Geduld gelingt es uns aber ihn auf 60 herunterzuhandeln. Allerdings müssen wir unbedingt einen zweiten, jungen Esel mitnehmen, da die Stute alleine angeblich nicht laufen will.
Nachdem wir unsere Tragtiere gemietet haben, gehen wir zum Chef des Ortes, wo wir einen richtigen Vertrag mit Rafael unterschreiben.
Spät abends kommt Letipilli, der sich bitter beklagt, dass wir einen anderen Führer gewählt haben. Er sagt er habe uns in der Nacht bei Richard verlassen um eine Frau aufzusuchen und sei dann aufgehalten worden. Hector meint, wir könnten jetzt auf Letipillis Dienste verzichten. Ich stelle ihn dann aber auf meine eigenen Kosten ein, da er mir erfahrener als der junge Rafael vorkommt. Dieser bringt dann noch Letipillis Bruder Philipp mit, der ebenfalls bei dem Unternehmen mitmachen will. Den Proviant für die Tour haben wir in den kleinen Läden South Horrs bereits eingekauft, also kann das Abenteuer schon morgen beginnen!
Der auf über 2700 Meter Höhe vor der Oase aufragende Mount Nyiru zieht mich stark an. Daher beschließen wir, dass Hector mit den Eseln und den beiden Jungen um den Berg herum marschiert, während ich mit Letipilli den Mount Nyiru überschreiten will. Bei dem kleinen Ort Tum wollen wir uns dann wieder treffen.
Frühmorgens brechen Letipilli und ich auf. Wir sind noch nicht lange unterwegs, als ein mächtiger Großer Kudubock unseren Pfad kreuzt. Letipilli meint, dies sei ein seltener Anblick, da die größeren Tiere am Berg gewildert werden. So hat auch die Zahl der Büffel stark abgenommen und die Elefanten wurden von den Samburu wohl total ausgerottet. Bei ihrer Jagd sollen sie hauptsächlich Pfeil und Bogen benutzen, erzählt Letipilli. Wir marschieren zunächst durch dichten Busch, der den Pfad nach der kurzen Regenzeit stellenweise schon fast überwuchert hat. Manchmal begleiten aber auch viele bunte Blumen den Weg. Schließlich beginnt die Baumzone, in der es ähnlich wie im Mau Escarpment aussieht. Zahllose Bäche durchschneiden das Gelände. Manchmal sind kleine Weideflächen in den Wald eingesprengt. Mittags essen wir Nudeln und eine Tütensuppe, die ich aus Nairobi mitgebracht habe. Dass wir aber nicht richtig satt geworden sind zeigt sich, als wir auf eine Kuh stoßen, die offenbar noch nicht lange tot ist. Letipilli sagt, wir können uns die günstige Gelegenheit nicht entgehen lassen. Also zünden wir ein Feuer an und grillen eine Menge Rindfleisch an Ort und Stelle!
Später treffen wir vier junge Samburu Moran bei ihren Hütten. Wir erfahren, dass die tote Kuh ihnen gehört. Sie sind aber keineswegs böse über unsere Selbstbedienung, sondern laden uns im Gegenteil ein, bei ihnen zu übernachten. Später kriegen wir sogar noch mehr Fleisch vorgesetzt, daneben wohlschmeckenden wilden Honig, sowie eine Nussart. Letipilli isst bis er fast platzt! Mir ist es zu eng in der aus Dung erbauten Hütte, die den Enkangs der Massai gleicht. Außerdem kann ich an der Unterhaltung kaum teilnehmen, da die Hirten kein Englisch sprechen. Also nütze ich die Gelegenheit und streife noch etwas durch den phantastischen Bergwald mit seinen flechtenbehangenen Baumriesen und sonnigen Lichtungen.
Am nächsten Morgen hat Letipilli schreckliche Bauchschmerzen. Das gestrige Mahl war wohl etwas zu üppig. Schließlich marschieren wir aber doch los, um schon nach einer halben Stunde wieder bei anderen Samburu halt zu machen. Letipilli legt sich gleich hin, während mir die Moran zeigen, wie sie ihre morgendliche Mahlzeit zubereiten.
Sie fangen eine Kuh und binden ihr ein Seil fest um den Hals. Nachdem sich das Blut angestaut hat, wird ein Pfeil in die Halsvene geschossen. Widerhaken sorgen dafür, dass er nicht zu tief eindringt. Das herausspritzende Blut wird in einer Kalebasse aufgefangen. Deren Inhalt wird dann mit einem Löffel umgerührt. Das daran haftende dicke, geronnene Blut kriegt ein Hund, während der halbe Liter flüssiger Lebenssaft mit Milch vermischt wird. Selbstverständlich wird auch mir etwas von der erdbeermilchfarbenen Flüssigkeit angeboten. Etwa 0,3 Liter trinke ich tapfer, und muss sagen, dass der Energy Drink der Samburu gar nicht schlecht schmeckt! Nur einmal im Monat wird eine Kuh auf diese Art zur Ader gelassen, damit der Blutverlust nicht zu groß wird.
Letipilli geht es noch immer nicht besser, daher beschließe ich mit zwei jungen Samburu zum Gipfel des Mount Nyiru aufzusteigen. Der eine ist ein typischer Moran mit ockerfarbenen Haaren und Speer, der andere ist westlich gekleidet, spricht Englisch und geht in Baragoi zur Schule. Nachdem wir einige Zeit durch den Bergwald gewandert sind, verlangen sie plötzlich eine horrende Summe für die Führung. Nach etwas Handeln einigen wir uns auf ein Zehntel der ursprünglichen Forderung.
Irgendwann gelangen wir an einen atemberaubenden Aussichtspunkt, dessen Gegensätze kaum größer sein könnten. Um uns üppiger Wald voller Flechten und Lianen, sowie saftig grüne Wiesen unter einem strahlend blauen Himmel. Am Fuß des Berges beginnt dann unvermittelt die schwarze Lavawüste, aus der einige schüsselförmige Vulkane herausragen. In der Ebene des Rift Valley schimmert der Salzsee Lake Logipi hervor. Dahinter liegt das langgezogene Ende des Turkanasees, der sich über zweihundert Kilometer bis zur äthiopischen Grenze erstreckt.
Der Berg erlangt seine reiche Vegetation durch seine Höhe. Fast alle herbeiziehenden Wolken regnen an seinen Hängen ab, so dass für die tiefergelegene Wüste kaum etwas übrig bleibt. Die Samburu, für die der Mount Nyiru und die anderen Berge ringsum wichtige Rückzugsgebiete in Trockenzeiten sind, haben an seinen Hängen einige Kultstätten, an denen Rinder geopfert werden.
Meine beiden Führer fordern mehr Geld, wenn sie mich zum Gipfel begleiten sollen. Ich habe genug von den langwierigen Verhandlungen und schicke sie fort. Ich steige weiter auf, kehre dann allerdings schon nach kurzer Zeit um, da der Pfad kaum noch zu sehen ist. Beim Rückmarsch kann ich die schöne Bergnatur mit ihren zahlreichen Nektarvögeln alleine genießen. Samburuhirten an denen ich vorbeikomme sind ziemlich erstaunt einen Weißen alleine umherspazieren zu sehen. An einer Manyatta sehe ich einen Schmutzgeier, der Kuhmist zum Nestbau sammelt.
Letipilli geht es inzwischen wieder besser, und wir brechen bald zum Abstieg auf. Nachdem wir den Kamm überschritten haben, weicht der Hochwald zurück und macht dichtem Buschwerk Platz. Schließlich geht es eine Zeit lang sogar durch lichten, angepflanzten Kiefernwald.
Bei dem kleinen Ort Tum treffen wir auf Hector und die anderen, die ihr Camp an einem kleinen Bach aufgeschlagen haben. Ihr Marsch mit den beiden Eseln um den Berg herum verlief ohne Probleme, außer dass einer der Wasserkanister leckte. Der findige Hector schloss das Loch mit heißem Wachs, was dann auch tatsächlich hielt. Abends gelingt es mir einen 5-Liter Kanister mit wohlschmeckendem, schwachen Hirsebier, Pombe oder Busa genannt, zu besorgen. Wir sitzen noch lange am Lagerfeuer, trinken und unterhalten uns. Letipilli erzählt von seinen Erfahrungen mit anderen Touristen und der Polizei.
Früh am nächsten Morgen ist unsere kleine Karawane unterwegs. Es geht durch lichten Dornbusch bis wir den Steilabfall des Escarpments erreichen, von wo wir bis zum Turkanasee blicken können. Dann steigen wir in einen Canyon mit steilen, schroffen Wänden hinab. Wunderschön rotblühende Sträucher beleben die karge Landschaft. Das Gehen ist sehr mühsam. Teils, weil wir den Dornbüschen ausweichen müssen, hauptsächlich aber wegen den großen, scharfkantigen Lavabrocken, die höchste Aufmerksamkeit bei jedem Schritt erfordern. Unsere Esel kommen recht gut mit dem unwegsamen Terrain zurecht und zeigen sich erfreulich unkompliziert. An Wild sehen wir Giraffenantilopen mit ihren langen Hälsen, Grantgazellen, einige Klippspringer und Paviane. Ein ornithologischer Leckerbissen ist die Riesentrappe.
Später gelangen wir in ein hier Lugga genanntes Trockental. Die Akazien erreichen größere Höhen, und wir begegnen einigen Turkana mit ihren Kamelen. Die Brüste der Frauen sind häufig unverhüllt. Wir unterhalten uns mit einem alten Mann. Er liegt auf dem nackten Boden, wobei sein Nacken durch einen flachen Schemel gestützt wird. So kann er die von Jungen gehütete Ziegenherde im Auge behalten. Er erzählt, dass die Gegend in den frühen achtziger Jahren von einer mit automatischen Waffen ausgestatteten Bande von Turkanaviehdieben heimgesucht wurde. Sogar Tum wurde überfallen und der weiße Missionar, der sich den Banditen in den Weg stellte, erschossen. Inzwischen ist es etwas ruhiger geworden, aber Übergriffe sind nach wie vor an der Tagesordung. Während früher solche Streitigkeiten im Nahkampf ausgetragen wurden, sorgt heute die Nähe der Bürgerkriegsländer Sudan, Äthiopien und Somalia für ein reichhaltiges Feuerwaffenangebot, das die Auseinandersetzungen zunehmend brutalisiert.
In der Jugend des alten Mannes wimmelte es hier noch von Nashörnern und Elefanten, die mittlerweile vollständig ausgerottet sind.
Nachmittags erreichen wir den kleinen Ort Parikati, wo wir nahe der Schule übernachten. Es gibt hier keinen weißen Missionar, sondern nur einen kenianischen Lehrer.
Um den Eseln einen Ruhetag zu gönnen, wollen wir am nächsten Tag ohne sie zum Lake Logipi gehen. Philipp bleibt in Parikati zurück, während Rafael, Letipilli, Hector und ich uns mit Kanistern bepackt auf den langen Fußmarsch machen. Wir stolpern über eine weite Steinebene aus der einige Basaltklippen ragen. Schon nach drei Stunden sind wir an dem aus schwarzer Lava bestehendem Seehang angekommen. In dem flachen Salzgewässer stehen einige größere- und viele Zwergflamingos, jedoch kein Vergleich zu Bogoria. Ab hier bedeckt die weite, flache Sugurta Ebene den Talboden des Rift Valley. Man kann sich kaum einen ungastlicheren Ort vorstellen. Die schwarze Lava lässt die Hitze beinahe unerträglich sein, und über dem hellen Sand der Ebene tanzen hohe Staubfontänen.
Unter einer Akazie die spärlichen Schatten spendet, lassen wir uns zur langen Mittagsrast nieder. Heute ist Heiligabend, und irgendwann nähert sich das Christkind in Gestalt eines Turkana, der nach einigen verschwundenen Ziegen sucht. Die Mittagshitze scheint ihm nichts auszumachen. Als Letipilli ihn auf Weihnachten anspricht, geschieht etwas Unerwartetes. Der Turkana nimmt einen Stein und erschlägt das Zicklein, das er bei sich hat. Dann schenkt er uns wortlos das Tier und zieht weiter! Hector ist entsetzt und verweigert sein Messer herauszugeben, um die Ziege zu enthäuten. Aber ich habe auch mein Messer dabei, und Letipilli macht sich damit an die Arbeit. Als er die Eingeweide entfernt hat, trinkt er das Blut aus der Bauchhöhle. Später presst er den Kot aus dem Darm und verspeist ihn dann! Wir grillen die Ziege im rasch angezündeten Feuer. Ich überlege, ob wir nicht auch Philipp etwas Fleisch mitbringen sollten. Wir entscheiden uns dann aber dagegen, da an der Ziege zu wenig dran ist. Hector als Vegetarier verzichtet natürlich auf seinen Anteil und schaut angewidert weg.
Auf dem Rückweg probieren wir Harz von einem Strauch, den uns Letipilli zeigt. Es schmeckt wie Kaugummi.
Zurück in Parikati können wir keinen Weihnachtsbaum auftreiben, ja es gibt hier nicht einmal Pombe! Also verbringen wir den Abend wieder einmal mit Geschichten am Lagerfeuer. Letipilli berichtet von einem alten Engländer namens Wilfred Thesiger, der in Maralal lebt. Er sei früher ein bedeutender Reisender gewesen, der unter anderem die Sahara mit Kamelen durchquert habe. Jetzt kümmert er sich um die Samburu und führt auch die Beschneidungen durch. Sein Beweggrund hierfür ist sicher, dass häufig Beschnittene wegen mangelnder hygienischer Verhältnisse bei der Operation sterben. Sein Engagement trug ihm allerdings die Feindschaft der traditionellen Medizinmänner ein, die versuchten ihre unliebsame Konkurrenz zu beseitigen. Bisher hatte ich noch nie von Thesiger gehört und erfuhr auch erst bei meiner Rückkehr nach Deutschland, dass der Brite einer der letzten Entdecker und bedeutendsten Forschungsreisenden des zwanzigsten Jahrhunderts ist!
Früh am nächsten Morgen sind wir wieder mit den Eseln Richtung Turkanasee unterwegs. Bald schlängelt sich eine der wenigen kleinen Schlangen die ich in Afrika zu sehen kriegen sollte, über den Weg.
Die Esel werden immer langsamer. Das hat zwei Gründe: Zum einen wurden sie falsch bepackt, weshalb sich Wundstellen auf dem Rücken gebildet haben. Zum anderen sind sie durch ihren normalen Aufenthalt in der Oase nicht an das scharfkantige Lavagestein gewöhnt. Daher haben sie bald große Probleme mit ihren Hufen. Wir überlegen was wir tun können, und fassen schließlich den Entschluss die Jungen mit den beiden Eseln nach South Horr zurückzuschicken. Letipilli, Hector und ich bewaffnen uns jeweils mit einem 5-Liter Kanister Wasser und ziehen weiter durch die Einöde roter Berge und schwarzer Lavafelder. Ich bin froh Letipilli engagiert zu haben, denn die Jungen kannten sich schon hinter Tum nicht mehr aus.
Der Marsch ist äußerst anstrengend, und unsere Wasserreserven schmelzen zusehends dahin. Manchmal kommen wir an Steinhaufen vorbei, auf die jeder Vorübergehende nach Letipillis Worten einen weiteren Brocken türmen soll. Die Landschaft ist nahezu frei von jeder Lebensspur.
Am späten Nachmittag liegt der See, wegen seiner überirdisch grünen Farbe oft "Jademeer" genannt, vor uns. Wir lagern unter einer Akazie und trinken begierig Seewasser. Es ist salzhaltig, aber trotzdem noch genießbar. Wir haben aber keine Wahl, da wir das letzte Wasser aus unseren Kanistern bereits getrunken haben.
Plötzlich nähern sich drei Motorboote mit Deutschen und Schweizern an Bord. Sie geben uns Schinken und Ananas als Weihnachtsgeschenk, welch herrlicher Luxus! Besonders Hector, der Vegetarier freut sich über die Frucht. In der Abenddämmerung baden wir im See, obwohl es hier viele Krokodile geben soll.
Mitten in der Nacht kommt starker Wind auf, der den Sand durch die Gegend peitscht. Solche plötzlichen Nachtstürme sind typisch hier am See. Als der Wind sich legt, wimmelt es von Mücken, so dass wir kaum wieder einschlafen können.
Unser nächstes Ziel ist der kleine Ort Loyangalani. Er ist die Heimat des nur hier lebenden El Molo Volkes. Über diesen kleinen Stamm von Jägern und Fischern habe ich schon in vielen Büchern etwas gelesen. Heute sind sie aber wohl mehr eine Touristenattraktion als ein Steinzeitvolk.
Wir sind noch nicht lange unterwegs, als ein Boot bei uns an Land geht. Die Luo Fischer stammen eigentlich vom Victoriasee, üben jetzt aber hier ihr Handwerk aus, da es am Turkanasee weniger Konkurrenz gibt. Die Fischer verlangen einen hohen Preis, um uns nach Loyangalani mitzunehmen, daher ziehen wir es vor weiter zu laufen. Allerdings kaufen wir ihnen vier Fische ab. Da das Seeufer ziemlich buchtenreich ist, kürzen wir häufig über Land ab. Nachdem wir so ein Stück höllisch heiße Vulkanlandschaft durchquert haben, ist es jedesmal ein Hochgenuss in den Fluten des Sees zu baden. Wegen dem hohen Salzgehalt scheint es hier keine Bilharziose zu geben.
Einmal begegnet uns ein Turkanafischer mit einem primitiven Binsenboot. Ursprünglich war Fisch bei seinem Volk verpönt. Erst die Dürren der letzten Jahrzehnte zwangen sie diese Proteinquelle zu nutzen.
Erstaunlich ist, wie Letipilli es schafft mit seinen Sandalen, die aus alten Autoreifen gemacht sind, sich durch das Lavalabyrinth zu manövrieren.
Nachmittags stoßen wir überraschend auf ein kleines Zeltcamp am See. Ein reicher mohammedanischer Inder aus Nyeri feiert hier Weihnachten mit vielen, meist schwarzen Freunden und seinen Söhnen. Die Gesellschaft verbringt den Tag mit Angeln und Biertrinken. Der Inder lädt uns zu seinen letzten beiden Dosen ein, eisgekühlt aus der Gefriertasche!
Ich denke über eine weitere Tour mit Letipilli nach, die von South Horr durch die Berge der Mathews Range nach Süden führen soll. Letipilli kennt sich auch dort aus und würde mich begleiten. Loyangalani lockt mich nicht besonders, aber Hector will unbedingt dort hin. Wir beschließen uns zu trennen. Hierüber sind wir Beide nicht böse, da wir uns mittlerweile ziemlich auf die Nerven fallen.
Nach einem kurzen Abschied machen Letipilli und ich uns auf zur Straße nach South Horr, die wir vor Einbruch der Dunkelheit erreichen. Da mit Verkehr nicht zu rechnen ist und die Straße die einzige halbwegs ebene Fläche bietet, legen wir uns unmittelbar an ihrem Rand hin. Doch gegen dreiundzwanzig Uhr nähern sich ein Landrover und ein LKW. Blitzartig rollen wir unsere Sachen zusammen und werden dann auch tatsächlich in dem Rover mitgenommen. Allerdings kommen wir nicht sehr weit, da der uns begleitende LKW immer wieder ausgeht. Abschleppversuche mit dem Landrover bringen keinen Erfolg.
Am Morgen gelingt es uns mit vereinten Kräften den Laster bergabwärts anzuschieben.
Trotzdem geht die Fahrt nur sehr langsam weiter, da die Piste von zahlreichen Felsbrocken bedeckt ist. Wir sehen etliche Grant- und Giraffengazellen.
Nach einiger Zeit stehen wir wieder, diesmal wegen einer Reifenpanne.
Dann kommt ein komfortabler Safaritruck, und nimmt uns mit. Es kommt aber zu keiner Unterhaltung, vermutlich weil die Erlebnisse der Safariteilnehmer zu unterschiedlich zu unseren Erfahrungen in der Wüste sind.
Immer wieder kommen wir an Nomaden mit ihren Kamelen vorbei, die natürlich gleich von allen Touristen geknipst werden.
Schließlich sind wir zurück in South Horr. Ich bezahle Letipilli seinen Lohn für diese Reise und vereinbare mit ihm, dass er für den Abend Busa besorgt, damit wir unsere geglückte Tour feiern können. Er sagt, dass es zwei Möglichkeiten gäbe, was er mit seinem Geld anfangen könne. Einerseits könnte er damit einige Frauen bezahlen, die für ihn eine Hütte bauen, andererseits bestünde auch die Möglichkeit sich von dem Geld fürchterlich betrinken.
Den Rest des Tages verbringe ich mit dem Kauf von Vorräten für die neue Tour. Erst spät abends taucht Letipilli stockbetrunken wieder auf. Es ist abzusehen, dass dieser Zustand noch einige Tage anhalten wird. Daher beschließe ich nach Wamba zu trampen, um von dort die andere Seite der Mathews Range zu erkunden. Ich ärgere mich über ihn und habe keine Lust nach einem neuen Führer Ausschau zu halten.
Am nächsten Morgen habe ich Glück und werde von zwei Ordenschwestern nach Maralal mitgenommen. Bevor wir den Ort erreichen stoße ich mir böse den Kopf an der Fahrzeugdecke, als wir durch ein tiefes Schlagloch fahren.
Die Erzählungen von Letipilli über Wilfred Thesiger haben mich neugierig gemacht. Daher frage ich die Samburu in Maralal nach diesem Mann und werde dann auch tatsächlich zu ihm gebracht. Er ist groß und schlank. Ich würde nie auf die Idee kommen, dass er schon 81 Jahre alt ist. Leider hat er nur wenig Zeit, so dass ich nur einige Fragen stellen kann. Allerdings bietet er mir an, sich abends mit mir zu treffen. Ich lehne ab, da ich bereits von einem Matatu erfahren habe, der bald nach Wamba abfährt. Als ich wieder in Deutschland bin, lese ich Thesigers Buch "Die Brunnen der Wüste", in der er seine Kamelreisen durch die Arabische Wüste beschreibt. Das Buch hat mich tief beeindruckt, und ich bereue noch heute, dass ich mich nicht länger mit ihm unterhalten habe.
Im Matatu nach Wamba sitzen Samburumoran in vollem Schmuck und mit Speeren bewaffnet, die sie kaum in das Fahrzeug kriegen. Diese Begegnung von moderner Welt und dem alten Afrika wirkt ziemlich bizarr.
Zunächst durchqueren wir Grasland mit vielen Zebras und Antilopen. Dann geht es durch Dornbusch aus dem einige rote Felsberge ragen. Nach mehr als vier Stunden erreichen wir Wamba. Der Ort besteht zwar im Wesentlichen nur aus einer Straße, da er aber ein wichtiges Zentrum für die in der Umgebung lebenden Samburu darstellt, gibt es relativ viele kleine Läden (Dukas) und Bars (Hotellis). Ich komme in einer billigen Absteige (Lodging) unter, wo ich in einer Wellblechhütte sogar endlich mal wieder duschen kann. Nachdem ich in einem Hotelli Omelett zu Abend gegessen habe, gehe ich zur italienischen Mission, wo ich mich mit einem Pater über die Gegend unterhalte. Er sagt, es sei hier noch nie zu Zwischenfällen gekommen, und ich könne auch alleine ohne Bedenken durch die Mathews Range wandern.
Nach dem Frühstück am nächsten Morgen mache ich mich mit meinem, durch die Vorräte extrem schweren Rucksack auf den Weg in die Berge. Ich habe keine Karte des Gebietes, und muss mich bei der Suche nach den richtigen Pfaden auf die Auskünfte der Menschen die mir unterwegs begegnen, verlassen. Zunächst gehe ich aber ohne Wegen zu folgen durch den lichten Busch, da ich die aufragenden Berge kaum verfehlen kann. Ich komme an einigen Bomas vorbei, wo die Moran mich verwundert bestaunen. In einem kleinen Ort in dem es sogar eine Kapelle gibt, werde ich freundlich aufgenommen und spende einige Schillinge für die Kirche. Der Chef eines Ortes begleitet mich ungefähr einen Kilometer und zeigt mir den richtigen Pfad in die Berge. Als Ziel gebe ich immer Kitich Camp an, ein Zeltlager für Touristen, über das ich gelesen habe. In dessen Nähe soll es sogar noch einige Nashörner geben.
Bald beginnt der Pfad steil anzusteigen, so dass ich mit meiner schweren Last häufig rasten muss. Bei einer Pause begegnen mir zwei Moran mit ockerrot gefärbten Haaren. Sie tragen Togen aus rotem Karostoff und sind nach Samburusitte bewaffnet. Das heißt sie tragen Speer, Kurzschwert und eine "Rungu" genannte Keule, an deren Ende dicke Metallmuttern befestigt sind. So hat die moderne Welt also auch schon bei der Bewaffnung von Stammeskriegern Einzug gehalten. Der Eine ist sehr schlank und kleiner als ich. Der Andere hat ungefähr meine Größe und ist ziemlich muskulös. Der Kleinere spricht Englisch und erzählt, dass er in Wamba zur Schule geht und Abraham heißt. Die Beiden wollen einen Freund in einer Manyatta am Fuß der Berge besuchen.
Mittags erreiche ich ein schönes Tal mit einem ausgetrockneten Flussbett. Ich will eine längere Rast einlegen und kochen.
Kaum habe ich meinen Rucksack abgenommen, sind die Moran wieder da. Sie erzählen, dass sie ihren Freund nicht angetroffen haben. Da ich sowieso kochen will, lade ich sie zum Tee ein. Ich habe einige trockene Zweige aufgeschichtet und beuge mich zum Anzünden über das Feuer.
Völlig unerwartet trifft mich ein Rungu Hieb von hinten am Kopf. Ich schreie: Nein! Und drehe mich halb um, da trifft mich der nächste Schlag über dem rechten Ohr. Alles verschwimmt und ich werde ohnmächtig.
Ich weiß nicht, nach welcher Zeit ich das Bewusstsein wiedererlangt habe. Als ich aufwache, blute ich immer noch. Offenbar haben mir die Moran noch ein drittes Mal auf den Kopf geschlagen, da ich drei verschiedene Wunden habe. Mein Schädel tut unheimlich weh, und ich bin nicht in der Lage aufzustehen. Der Rucksack liegt ungeöffnet neben mir. Ich nestele den Schlafsack heraus und hülle mich in ihn ein, da mir jetzt trotz der großen Hitze kalt wird. Anscheinend habe ich einen Schock.
Ich mache mir Sorgen zu verbluten, weil der Lebenssaft zwar nicht stark, aber stetig immer noch aus mir raussickert. dennoch kann ich nichts unternehmen. Die Verletzungen sind zu schwer um mich selber zu verbinden. Weiterzulaufen um irgendwo Hilfe zu finden ist in meinem Zustand völlig ausgeschlossen. Zeitweise spüre ich starke Schmerzen, meist dämmere ich in einem Zustand zwischen wach sein und schlafen vor mich hin.
Nach unendlich lang erscheinender Zeit kommen drei andere Moran vorbei. Ich schöpfe neue Hoffnung und rufe laut um Hilfe. Die Samburu sprechen kein Englisch, dennoch kommen sie vorbei und sehen mich eine Zeit lang schweigend an. Sie unternehmen nichts, um mir zu helfen und ziehen schließlich weiter. Nachdem meine Hoffnung so enttäuscht wurde, fühle mich schrecklich verlassen und allein. Ich will hier nicht verrecken!
Aber ich habe mich getäuscht, denn die Samburu lassen mich nicht im Stich, sondern holen Hilfe. Irgendwann trifft ein von Samburu begleiteter schwarzer Sanitäter mit Verbandmaterial bei mir ein. Außerdem ist ein Hilfspolizist mit einem alten Gewehr dabei. Solche Männer gibt es in jedem Ort. Ihre Aufgabe ist zum Beispiel Vieh raubende Löwen zu erlegen und kleinere Streitigkeiten zu schlichten. Er will den Spuren der Moran folgen, kommt aber schon nach wenigen Minuten mit meinem Brustbeutel zurück. Die Räuber haben das kenianische Geld, das ich darin aufbewahrte, etwa 2500 Schillinge, herausgenommen und den Beutel dann weggeworfen. Das ist ein echter Glücksfall, denn mein Reisepass und andere Papiere stecken noch darin. Neben dem Geld haben die Moran mir lediglich meine Uhr und das Schweizer Offiziersmesser abgenommen.
Die Helfer haben keine Trage mitgebracht, und der Wagen des Sanitäters steht einige Kilometer entfernt an einer Piste. Ich bin noch immer nicht in der Lage zu gehen, daher versuchen zwei Samburu mich zu tragen, nachdem meine Wunden verbunden sind. In dem steilen Gelände ist das aber nicht möglich. Es bleibt mir nichts anderes übrig, als auf zwei Männer gestützt zum Auto zu wanken.
In Wamba gibt es ein gut eingerichtetes Missionshospital, wo unter anderem auch Bürgerkriegsopfer aus dem Sudan und Äthiopien versorgt werden, die die Flying Doctors dorthin fliegen.
Doch bevor wir in das Krankenhaus fahren, halten wir bei der Polizeistation des Ortes. Obwohl ich sehr erschöpft bin, muss ich Fragen zum Tathergang beantworten und meinen Rucksack dort lassen.
Gegen zweiundzwanzig Uhr bin ich dann endlich im Hospital, ungefähr zehn Stunden nach dem Überfall.
Es ist gerade noch rechtzeitig, um die Wunden zu nähen. Die italienischen Ärzte arbeiten sehr gut und sauber. Zunächst wird der Schädel geröntgt. Es ist, Gott sei Dank, nichts gebrochen. Dann wird genäht.
In dem Hospital gibt es eigentlich nur große Krankensäle, aber für mich als Weißen wird ein Büro ausgeräumt und ein Bett hereingestellt. Endlich kann ich schlafen.
Die nächsten beiden Tage, darunter auch Silvester 1990, verschlafe ich fast vollständig. Morgens und abends erhalte ich jeweils eine Spritze gegen die starken Kopfschmerzen. Mein Kiefer ist angebrochen, wächst nach Aussage der Ärzte aber von selbst wieder richtig zusammen. Mit der Zunge kann ich fühlen, dass aus einem Zahn ein Stück herausgebrochen ist.
Die Mahlzeiten sind mit Brot und Marmelade, Porridge, Suppe und Reis, gut und nahrhaft, so dass der Krankenhausaufenthalt, was meine Ernährung betrifft, eine echte Erholung ist. Die afrikanischen Schwestern umsorgen mich rührend. Von der Schwester Mary erhielt ich sogar Post, nachdem ich wieder in Deutschland war.
Der junge italienische Arzt Stefano d`Aquino, der mich versorgt hat, ist ebenfalls sehr nett und bringt mir, als ich mich besser fühle, Bücher zum Lesen. Besonders fasziniert mich ein Buch von Robert Ruark über den Mau-Mau Aufstand "Something of Value".
Am ersten Januar besucht mich ein Kenianer aus Nairobi, der erzählt, dass Kitich Camp am Tag, als der Überfall auf mich geschah, ausgeraubt wurde. Ich glaube aber nicht, dass ein Zusammenhang zwischen den Verbrechen besteht, denn während der Einbruch in das Camp sicher vorausgeplant war, handelte es sich bei dem Überfall auf mich um eine spontane Aktion.
Erst nach vier Tagen lässt sich ein Polizist bei mir sehen und nimmt nochmal das Protokoll auf. Er bringt auch meinen Rucksack mit, allerdings ohne Geld, Travellerschecks und Papiere, die er Morgen nachreichen will.
Nach sechs Tagen darf ich zu kurzen Spaziergängen aufstehen. Die weiträumige Anlage mit ihren vielen bunten Blumen gefällt mir sehr gut. Besonders schön ist die Atmosphäre, wenn nach einem Regenschauer die Luft gereinigt und klar ist.
Die anderen Kranken, die ich beim herumspazieren treffe, sind sehr freundlich und bedauern mich wegen meinem in einen riesigen Verband eingepackten Kopf. Das Gehen fällt mir noch ziemlich schwer, weil mir der Hintern von den Injektionen schmerzt.
Die Wunden heilen allerdings gut. Etwas Sorge bereitet mir, dass ich auf dem einen Ohr noch nicht richtig hören kann. Manchmal befürchte ich, dass ich die große Afrikareise abbrechen muss, was ich aber, falls irgend möglich, vermeiden will.
Nach weiteren fünf Tagen kommt der Polizist mit meinen restlichen Sachen zurück. Ich stelle fest, dass ein 20 $ Scheck, sowie die ganzen 235 Dollar, die ich als Bargeld im Rucksack versteckt hatte, verschwunden sind. Der Ordnungshüter will diese Dinge natürlich nie gesehen haben. Aber ich bin mir sicher, dass nur die Polizei das Geld gestohlen haben kann.
Oft denke ich über den Überfall nach. Wahrscheinlich witterten die Samburu in mir eine einfache Beute, als ich ihnen das erste Mal begegnet bin. Sie drehten um mit der festen Absicht mich auszurauben. Es hätte vollkommen gereicht, wenn sie mir ihre Speere vor die Nase gehalten hätten, mit der Aufforderung ihnen meinen ganzen Besitz zu geben. Was hätte ich schon dagegen tun können? Aber offenbar waren sich die Moran doch nicht ganz so sicher, also schlugen sie mich von hinten nieder, als ich ihnen eine günstige Gelegenheit bot. Sie hatten dabei bestimmt nicht die Absicht mich zu töten oder schwer zu verletzen, sonst hätten sie den Speer statt des Rungu genommen. Auch die Schläge wurden sicher dosiert geführt, sonst hätte schon der erste Hieb meinen Schädel zertrümmert. Leider war ich nicht sofort ohnmächtig, weshalb ich noch zwei weitere Schläge erhielt.
Ein Rätsel ist, weshalb die Samburu den Rucksack nicht mitnahmen oder zumindest durchwühlten. Hierfür gibt es meiner Meinung nach zwei Erklärungen: Möglicherweise dachten die Moran sie hätten mich erschlagen und kriegten es mit der Angst zu tun. Oder andere Leute tauchten plötzlich in der Nähe auf, und die Samburu mussten Hals über Kopf fliehen.
Nachdem ich zehn Tage im Hospital verbracht habe, zieht Dr. Stefano am Morgen des neunten Januar die Fäden aus meinen Kopfwunden. Die letzte Untersuchung ergibt, dass ich die Gehirnerschütterung gut überstanden habe, so dass meiner Entlassung nichts mehr im Wege steht.
Ich habe bereits meine Sachen gepackt, als der Fahrer eines in Wamba ansässigen deutschen Entwicklungshilfeprojektes erscheint. Die deutsche Botschaft hat von dem Überfall gehört, und den Projektleiter gebeten mir zu helfen.
Der Fahrer bringt mich zum Projektzentrum, wo mich der Leiter, Dr. Saidi empfängt. Da ich kein kenianisches Geld mehr besitze, und es keine Bank in Wamba gibt, leiht er mir Zweihundert Schilling und bietet an, mich morgen nach Nairobi mitzunehmen.
Anschließend gehe ich zur Polizei, wo ich nochmal den Tathergang schildere und sage, dass ich glaube Polizisten hätten mein Geld gestohlen. Natürlich weisen die Uniformierten diesen Verdacht weit von sich. Ich erfahre, dass die Namen der beiden Täter wohl schon bekannt sind, und sie bei ihrer Ergreifung mit schwerster Bestrafung zu rechnen haben.
Zurück in Deutschland frage ich in einem Brief an die Krankenschwester Mary, ob sie etwas über den weiteren Verlauf des Falles gehört hat. Sie schrieb zurück, dass sie nichts über eine Bestrafung wüsse. Auch jetzt weiß ich noch nicht mehr über die Klärung des Falles.
In Wamba starren alle Leute meinen riesigen Kopfverband an, und ich merke wie schwach ich noch bin, nachdem ich einige Zeit auf den Beinen war. Die Nacht verbringe ich wieder in der Samburu Lodge, wie auch schon bei meiner Ankunft in Wamba.
Am nächsten Mittag beginnt die Fahrt nach Nairobi. In dem geräumigen Mercedes-Geländewagen sitzen der afrikanische Fahrer, Professor Saidi, seine Frau und ich. Der ursprünglich aus dem Iran stammende Saidi leitet das Entwicklungshilfeprojekt der GTZ (Deutsche Gesellschaft für technische Zusammenarbeit) seit über drei Jahren. Das Ziel des Projektes ist die Samburu um Wamba zu sesshaften Bauern zu machen. Gleichzeitig wird zum Schutz vor Erosion auch Aufforstung betrieben und versucht die Frauen zu "emanzipieren". Den Moran, die ihre bisherige Rolle als Krieger weitgehend verloren haben, wird versucht eine neue sinnvolle Identität zu geben.
Über meinen Überfall sind die Saidis relativ erstaunt, denn von den Samburu hier gingen bisher keine Übergriffe aus. Dagegen waren Vorfälle mit somalischen Banditen, den Shiftas, im Norden Kenias, an der Tagesordnung.
Ich werde das Gefühl nicht los, dass dieses Projekt Leben und Kultur der Samburu total umkrempelt. Selbstverständlich ist es auch der größte Arbeitgeber in der Umgebung, der in drei Jahren acht Millionen DM nach Wamba gebracht hat. Man kann sich leicht vorstellen, dass unter den Samburu die nicht von dem Geldsegen profitieren, Neid entsteht. Sie wollen auch an dem neuen Wohlstand teilhaben, und so stellt wohl ein einsamer, unbewaffneter Wanderer eine große Herausforderung als potentielle Geldquelle dar.
Bis Isiolo, dem Tor zum Norden, fahren wir über eine unbefestigte Staubstraße. Die Schlaglöcher sind in dem komfortablen Geländewagen kaum zu spüren, allerdings ist unsere Geschwindigkeit auch nicht besonders hoch. Dr. Saidi erzählt, dass er lieber einen der billigeren japanischen Wagen fahren würde, dieses aber nicht erlaubt ist. Deutsche Autos für deutsche Projekte!
Ab Isiolo fahren wir überwiegend durch kultiviertes, wenn auch abwechslungsreiches Land. Der Mount Kenia ist leider von Wolken umhüllt. Bei Thika gleiten wir durch die riesigen Ananasplantagen der amerikanischen Firma Del Monte.
Gegen 19 Uhr erreichen wir Nairobi, wo mich die Saidis bei Mrs. Roche absetzen. Die alte Frau ist entsetzt über meinen Kopfverband, und ich komme diesmal in einem Vierbettzimmer unter.
Am nächsten Morgen geht es mit einem Matatu in die Stadt. Auf der Post liegt ein Brief von meinen Eltern. Über die hundert Dollar Inhalt freue ich mich natürlich auch. Es sollten zwar noch zwei weitere Briefe mit Geld hier ankommen, aber einer ist besser als gar keiner. Bei der Paketausgabe erhalte ich dann mein Weihnachtsgeschenk. Ein Paar neue Wanderstiefel. Dieses Geschenk hatte ich auch bitter nötig, da meine alten Schuhe von dem Vulkangestein am Turkanasee ziemlich zerschlissen waren. Nachdem ich einen Reisescheck eingelöst habe, bezahle ich in der deutschen Botschaft meine Krankenhausrechnung, die Dr.Saidi vorgestreckt hatte. Die Rechnung ist ziemlich niedrig, in Nairobi hätte ein einziger Tag im Krankenhaus mehr gekostet.
Ich beschwere mich bei der deutschen Botschaft über die Polizei in Wamba, höre daraufhin aber nur: "Solche Dinge geschehen halt in Afrika". Allerdings will die Botschaft auf informellem Weg Druck gegen den Polizeichef machen.
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