Auf meiner großen Afrikareise 1990/1991 begleite ich Pygmäen im Regenwald von Zaire, dem heutigen Kongo, auf der Jagd
Ich habe Glück. Heute ist Freitag, und im Niemandsland zwischen Zaire und Uganda findet der wöchentliche Markt statt. In einem Matatu fahre ich zur Grenze. Der gute Geruch von frischem Gras liegt in der Luft. Das Ruwenzorigebirge ist leider wolkenverhangen. Die ugandischen Zöllner machen mir keine Probleme, und bald bin ich unterwegs zu dem vier Kilometer entfernten zairischen Posten. Sehr viele andere, mit Handelswaren beladene Leute, sind auch auf der Straße.
Ich habe ein einerseits erwartungsvolles, andererseits auch etwas mulmiges Gefühl.
Nach dem, was ich gelesen habe, ist Zaire eines der ursprünglichsten Länder Afrikas, in dem jede Reise ein faszinierendes Abenteuer darstellt.
Es ist aber auch bitter arm, voller tropischer Krankheiten, besitzt lediglich ein rudimentäres Verkehrssystem und verfügt über unberechenbares, nur selten bezahltes Militär.
Schon bald habe ich meine erste Begegnung mit zairischen Soldaten. Ein Trupp Uniformierter verlangt erst Zigaretten, dann Geld von mir. Ich sage, dass ich nicht rauche und tue so, als ob ich sie kaum verstehe. In Zaire, der ehemals belgischen Kolonie, wird Französisch gesprochen. Diese Sprache habe ich zwar auch in der Schule gelernt, beherrsche sie jedoch längst nicht so gut wie Englisch.
Die Soldaten scheinen tatsächlich bei einem Rucksackwanderer keine großen Schätze zu erwarten und lassen mich unbehelligt ziehen. Vielleicht ist ihr "Donne moi un cadeau! ",
"Gib mir ein Geschenk!" manchmal auch gar nicht so ernst gemeint.
Die Zöllner an der zairischen Grenze sind zwar freundlich, trotzdem durchsuchen sie meinen Rucksack von oben bis unten. Dabei entdecken sie meine beiden Pässe. Obwohl die Papiere völlig in Ordnung sind, glauben mir die Grenzer natürlich nicht, dass ein Deutscher zwei Pässe besitzen darf. Mir ist klar, dass ich ohne "Cadeau" so schnell nicht aus der Situation herauskomme. Den tansanischen Zöllner konnte ich mit meinen Solartaschenrechnern zwar nicht locken, aber hier zeigt sich, dass man mit diesen billigen Geschenken in Afrika doch etwas anfangen kann. Die Grenzer sind fasziniert von der Technik und lassen mich ohne weiteres gehen, als ich ihnen einen der Rechner überlasse.
Wie in den meisten Ländern Afrikas ist auch in Zaire der Geldumtausch nur bei Banken erlaubt. Dies hält die Grenzbeamten aber nicht davon ab mir ein Tauschangebot zu machen, unmittelbar nachdem ich die Kontrolle hinter mir habe. Ich denke, ihr Angebot ist ernst gemeint und keine Falle. Wahrscheinlich interessieren die Männer die Devisenbestimmungen ihres Landes nicht besonders. Ich musste auch keine Währungserklärung ausfüllen. Aber sicher ist sicher, daher ziehe ich es vor ein Stück weiter hinter der Grenze bei einem Zivilisten zu tauschen. Selbst wenn ich legal tauschen wollte, es ginge nicht, da es hier keine Bank gibt. Die Einfuhr der Währung ist verboten, und ich weiß nicht, wo es die nächste Möglichkeit zum erlaubten Geldumtausch gibt. Will man also nicht völlig mittellos dastehen, bleibt nur der Schwarzmarkt.
Viele Lastwagen hinter der Grenze scheinen auf das Ende des Marktes im Niemandsland zu warten. Bei einer Hütte treffe ich einen Engländer, der schon seit zwei Tagen auf eine Mitfahrgelegenheit wartet. Er arbeitet auf Bohrinseln in der Nordsee und verbringt die Zeit zwischen zwei Jobs mit Reisen. Nach einiger Zeit rollen die ersten LKW an uns vorbei, und schließlich werden wir mitgenommen. Auf der Ladefläche des Trucks treffen wir ein holländisches Pärchen.
Die Straße ist so schlecht, dass wir nur im Schritttempo fahren. Bald beginnt es zu regnen, und ich bin froh einen Poncho als Schutz dabei zu haben.
Wir fahren durch hohen Akazienwald, der in den Senken von dichter, dschungelartiger Vegetation abgelöst wird. Obwohl die Straße hier durch einen Teil des riesigen Virunga-Nationalparks führt, sehen wir keine Tiere.
Die schmalen Holzbrücken zu passieren ist jedes Mal ein Abenteuer für sich. Einmal rutscht der Laster mit einem Reifen fast ab, und ich sehe mich schon im Bach schwimmen. Aber wir haben Glück, nachdem alle Passagiere abgestiegen sind, kommt der Wagen aus eigener Kraft wieder frei.
An der Abzweigung nach Mutwanga halten wir zum Reifenwechsel. Aus der kurzen Pause werden zwei Stunden, und wir haben Gelegenheit zu essen. Mutwanga ist ein guter Ausgangspunkt für Touren in das Ruwenzorigebirge. Allerdings fühle ich mich noch nicht fit genug für strapaziöse Bergtouren. Außerdem habe ich nicht genügend warme Sachen für die kalte Gebirgsluft dabei. Obwohl am Äquator gelegen, ragen die Ruwenzoris über 5000 Meter auf.
Schließlich geht es mit einem anderen Laster weiter. Die Fahrt durch die Dunkelheit ist auf der Straße mit ihren Schlaglöchern eine ziemliche Tortur.
Gegen fünf Uhr morgens erreichen wir die Kleinstadt Beni, und schlafen dort noch etwas unter einer Veranda. Später beziehen der Engländer und ich ein Zimmer im Hotel Jumbo. Die anderen Hotels in Beni lassen es nicht zu, dass sich zwei Männer ein Zimmer teilen.
Beni macht den Eindruck einer noch immer relativ reichen Stadt. Die Belgier, die das Land bis 1960 beherrschten, hinterließen viele schöne Häuser. Der Wohlstand rührt hauptsächlich vom Kaffeeanbau her. Zahlreiche Autos und Motorräder rollen durch die Straßen, und es gibt eine Bank, bei der ich Dollar gegen die Landeswährung Zaire tauschen kann. Offenbar sind auch viele Emigranten aus Uganda hierhergekommen. Das Hotel Jumbo gehört einem von ihnen.
Abends bietet sich mir ein wunderschönes Naturschauspiel. Die Wolken um die Ruwenzoris lichten sich und geben den Blick auf die von den letzten Sonnenstrahlen rosarot gefärbten Schneefelder des Massivs frei.
Die anderen Weißen, die mit mir auf dem LKW waren, fahren am Morgen mit einem Pick-up weiter auf der Hauptstraße Richtung Kisangani. Ich bleibe in Beni und denke über den weiteren Verlauf der Reise nach.
Mein Ziel in Zaire ist ursprünglichen Regenwald zu erleben. Vor dem Abflug nach Afrika interessierte ich mich nicht besonders für die Lebensweise von Naturvölkern. Das änderte sich durch die Begegnung mit den Massai. Jetzt denke ich, der beste Weg den Regenwald kennenzulernen führt über die Menschen, die in ihm zu Hause sind. Hier in Zaire sind das in erster Linie die Pygmäen. Ein Volk, das auch heute noch zum Teil als Jäger und Sammler lebt. Ich beschließe die Nebenstraße nach Mambasa einzuschlagen, da ich mir dort am ehesten Kontakte mit ursprünglich lebenden Pygmäen verspreche.
Gegen Mittag des nächsten Tages laufe ich los. Die ersten fünfzehn Kilometer führen ausschließlich durch dicht besiedeltes Gebiet. Die Dörfer scheinen häufig ineinander überzugehen, und sehr viele Menschen sind auf der Straße. Es gibt zwar einige dichte Sekundärwaldbestände, aber der hier ursprünglich wachsende Wald ist weitgehend in Felder und Kaffeeplantagen umgewandelt worden.
Später nimmt mich ein italienischer Missionar in einem Landrover mit. Der Mann ist mir gegenüber sehr reserviert und lässt mich, als wir angekommen sind, von einem Einheimischen zu einem Hotel bringen.
Abends gehe ich trotzdem noch einmal zu der Mission, um Auskünfte über die Pygmäen einzuholen. Die Pater freuen sich zwar nicht mich zu sehen, laden mich aber trotzdem zum Abendessen ein. Es gibt guten Fisch, und zum ersten Mal seit langem esse ich wieder richtiges Brot. Es werden sogar solche Köstlichkeiten wie italienische Salami aufgetischt. Die Station wird von vier italienischen Missionaren betreut. Nur einer von ihnen spricht Englisch.
Von diesem Gottesmann erhalte ich einige gute Informationen: In dieser Gegend gibt es Pygmäen. Sie sind jedoch weitgehend zivilisiert und führen ihre ursprüngliche Lebensweise als Jäger und Sammler nicht fort. Der Wald wird zum Teil von Holzunternehmen eingeschlagen und häufig von Siedlern für Felder und Plantagen gerodet. In den Flüssen wird nach Gold gesucht. Seiner Meinung nach ist der Ort Nduye der beste Ausgangspunkt, um traditionell lebende Pygmäen zu treffen. Fünfzig Kilometer von diesem Missionsort entfernt unterhalten amerikanische Ethnologen eine Forschungsstation. Ich bin hocherfreut über die Auskünfte und beschließe nach dem zweihundert Kilometer entfernten Nduye zu reisen.
Nachdem ich in der Absteige gefrühstückt habe, mache ich mich wieder auf den Weg. Während der ersten Stunde ist die Gegend weiterhin so dicht besiedelt wie gestern. Danach begegnen mir weniger Menschen, die Dörfer werden kleiner und der Wald tritt manchmal bis an die rote unbefestigte Piste. Nachdem ich zwei Stunden gelaufen bin, nimmt mich der Pick-up eines Holzunternehmens mit. Manchmal begegnen uns mit mächtigen Stämmen beladene Lastwagen.
Nach dieser kleinen Erholungspause setze ich meinen Weg zu Fuß fort. Inzwischen steht die Sonne hoch, und jeder Schritt mit dem schweren Rucksack verursacht neue Schweißtropfen.
Die Menschen in den kleinen sauberen Dörfern mit Lehmhäusern und Palmdächern begrüßen mich stets freundlich lächelnd. Von Aufdringlichkeit keine Spur. Offenbar gelangen Weiße nur selten hierher, denn die kleineren Kinder fangen an zu weinen, wenn sie mich sehen.
Der Wald am Straßenrand ist wie eine dicht wuchernde, grüne Mauer. Es ist nicht möglich auch nur einige Meter weit in ihn hineinzusehen. Manchmal komme ich an richtigen Bambusdickichten vorbei. Offenbar wurde der ursprüngliche Wald fast überall entlang der Straße schon mal gerodet, so dass sich diese undurchdringliche Sekundärvegetation bilden konnte. Als ich auf einem kleinen Pfad von der Straße abweiche, um zu einem Bach zu gehen, begegnet mir eine Frau mit ihrem Kind. Sie läuft laut schreiend davon, als sie mich sieht. Vielleicht hat man ihr üble Geschichten über die weißen Söldner erzählt, die in den Sechziger- und Siebziger Jahren Zaire heimsuchten. Jedenfalls hoffe ich, dass keine anderen Leute in der Nähe sind, sonst wird am Ende noch vermutet, dass ich der Frau etwas antun wollte.
Zu Mittag raste ich in einem kleinen Dorf. Es gibt hier überall kleine, runde, an den Seiten offene Versammlungshütten, in denen die Leute die heißesten Stunden des Tages verplaudern. Die Menschen sind sehr freundlich und bewirten mich mit Bananen und Wasser. Die Plätze sind gefegt, und die Hütten, die fast im Grün des Waldes verschwinden, erscheinen sauber und aufgeräumt.
Als ich mich nachmittags am Straßenrand ausruhe, erscheint ein Lehrer mit seinen Schülern. Er trägt ein weißes sauberes Hemd und lädt mich ein, bei ihm zu übernachten.
Wir reden über Gott und die Welt. Abends essen wir Fou-Fou. Das ist ein Knödel aus Maniokmehl, mit sehr leckeren Pilzen. Leider plagt mich seit ich in Zaire bin wieder einmal der Durchfall.
Auf der Piste begegnen mir häufig andere Fußgänger, die oft mit schweren Lasten bepackt sind. Seltener sind die schweren Fahrräder aus chinesischer Produktion. Ab und zu sehe ich sogar ein Moped, und einmal kommen mir drei blaue Geländewagen entgegen.
Ein junger Bursche bietet mir Gold an. Schon in der Mission hatte ich von den Funden des Edelmetalls am Iturifluss gehört. Aber natürlich kann der Schwarze mit mir kein Geschäft machen.
Etwas mulmig wird mir, als ich eine Horde Soldaten auf mich zukommen sehe. Allerdings verlangen die Uniformierten nicht einmal Zigaretten von mir. Wahrscheinlich sehe ich als Wanderer wieder einmal zu arm aus.
Manchmal sehe ich Affenhorden in den Bäumen entlang der Piste. Sie sind aber immer im Geäst verborgen, so dass es mir nicht gelingt zu bestimmen, um welche Art es sich handelt.
Als ich am späten Nachmittag in ein Dorf mit einer Kirche gelange, laden mich die Leute ein am Gottesdienst teilzunehmen. Ich erfahre, dass die Gemeinde zu den Kimbangisten gehört. Diese Sekte wurde noch in der belgischen Kolonialzeit von einem Zairer gegründet. Die Eigenheiten eines schwarzen Christentums werden von den Kimbangisten besonders betont. Daher fand die Sekte in Zaire recht weite Verbreitung. Der Gottesdienst ist mit Singen und Klatschen sehr fröhlich. Ich spüre die freundliche Stimmung der Menschen.
Anschließend bin ich froh, dass ich von einem Kirchenbesucher zum Übernachten eingeladen werde, da gerade ein heftiges Gewitter mit starkem Regen niedergeht. Als wir die Kirche verlassen, sehe ich die ersten Pygmäen. Ein etwa 1,50 Meter großer breitschultriger Mann steht mit Lendenschurz und Fellumhang auf seinen Speer gestützt vor dem Gebäude. Er wirkt selbstsicher und sehr eindrucksvoll. Als ich winke, lächeln er und seine Frau mich an.
Mich überrascht die gute Einrichtung des Lehmhauses, in das der Kimbangist mich einlädt. Es gibt Bettgestelle aus Metall und Petroleumlampen. Unser aus Reis und Gemüse bestehendes Abendessen essen wir von Tellern mit Messern und Gabeln.
Beim Weitermarsch begegnen mir immer mal wieder Männer und Jungen, die mit Schleudern auf Vogeljagd gehen. Die Schwarzen in diesem Gebiet sind ziemlich klein. Wahrscheinlich hat eine Vermischung mit den Pygmäen stattgefunden.
Am breiten, ziemlich schnell fließenden Ituri sehe ich Goldwäscher bei der Arbeit.
Als ich mittags in einem Dorf raste, werden mir wohlschmeckende Papayas mit goldgelbem Fleisch angeboten. Wie die Banane, stammt auch diese Frucht ursprünglich aus Asien, hat aber bereits seit langem Einzug im ganzen Tropengürtel gehalten. Ein älterer Mann zeigt auf meine alte Bundeswehrhose und fragt, ob ich amerikanischer Soldat sei. Natürlich sage ich nein. Der Mann ist aber nicht überzeugt. Als er die Bändchen zum Hochbinden der Hose über die Stiefel sieht, die charakteristisch für Armeehosen sind, steht sein Urteil fest: Ich bin ein amerikanischer Soldat, vielleicht Söldner. Die Stimmung wird langsam feindselig, und ich sehe zu, dass ich rasch verschwinde.
Einige Zeit später huscht eine kleine grüne Schlange vor mir über die Straße und bei einer Rast beobachte ich einen Trupp dunkel gefärbter Diademmeerkatzen in den Bäumen über mir.
Ich übernachte nahe einer einzelnen Hütte, in der eine Frau mit ihren Kindern wohnt. Kein Mann ist in der Nähe. Ich kann mich kaum mit der Frau unterhalten, da sie kein Französisch spricht.
Die letzten Kilometer nach Mambasa werde ich von einem Pick-up mitgenommen, der mit Leuten vollgestopft ist.
Mambasa ist ein großer Ort, der an der Hauptroute nach Kisangani entstanden ist. Bei der italienischen Mission kann man zelten, oder für wenig Geld ein geräumiges Zimmer beziehen, was ich dann auch tue.
Als ich auf dem Markt an einem Verkaufsstand Reis mit Fleisch esse, spricht mich ein Beamter an und fordert mich auf ihm zu seinem Büro zu folgen. Offenbar ist es in Zaire für Ausländer Pflicht sich an manchen Orten bei den Behörden zu melden.
Die Männer im Immigrationsbüro lassen sich meinen Pass zeigen und fragen nach meinem Reiseziel. Ich erzähle, dass ich nach Nduye will und erfahre, dass ich dafür eine besondere Erlaubnis benötige, da der Ort in einer sogenannten Minenzone liegt. Wahrscheinlich gibt es auch dort etwas Gold. Der Chef des Büros, der die Erlaubnis ausstellen kann ist nicht da, deshalb soll ich morgen früh wiederkommen.
Beim Abendessen in der Mission erzähle ich von dem Vorfall. Die drei italienischen und der zairische Priester die hier leben, haben noch nie von einer solchen Erlaubnis gehört. Sie halten das Ganze lediglich für einen Trick, um Geld von mir zu erhalten. Der zairische Geistliche bietet mir an mich am nächsten Morgen einige Kilometer weit in Richtung Nduye mitzunehmen, damit ich den Beamten nicht noch einmal begegne.
Später am Abend genieße ich die funktionierende Dusche des Gästehauses.
Am nächsten Morgen setzt mich der Priester sechs Kilometer außerhalb des Ortes ab, und ich gehe zu Fuß weiter. Häufig begegnen mir auf dem Weg mit Pfeil und Bogen bewaffnete Männer und Jungen. Die Piste, mit ihren Schlaglöchern und tiefen ausgewaschenen Rinnen ähnelt eher einem schlechten Waldweg als einer Straße. Die Leute sind klein und von dunkelbrauner Hautfarbe. Offenbar gehören sie zum Lese Volk, Schwarzen, die zum Teil mit den Pygmäen vermischt sind. Manchmal sehe ich die typischen runden, blattgedeckten Hütten der Pygmäen hinter einer der eckigen, lehmverputzten Bantubehausungen.
Spätnachmittags will ich gerade fragen, ob ich bei einer Hütte mein Nachtlager aufschlagen darf, als ich Motorengeräusche höre. Bald tauchen zwei Landrover auf, die bei mir halten. Sie sind zwar bereits voll besetzt, nehmen mich aber trotzdem an Bord.
Ich erfahre, dass es sich um eine Forschungsexpedition des belgischen Professors Ghesquiere handelt. Der Mann ist Anthropophysiologe und forscht über die körperliche Verfassung der Pygmäen. Er war schon einige Male in Nduye, das auch jetzt sein Ziel ist. Mit dabei ist sein Sohn Francis, der 1967 in Kinshasa geboren wurde. Damit ist er genauso alt wie ich, und wir verstehen uns gleich blendend. Francis hat soeben sein Wirtschaftsstudium beendet und nutzt diese Chance um noch einmal nach Afrika zu kommen, obwohl er mit den Forschungen nichts zu tun hat.
Außerdem sind Anja, die Assistentin des Professors und eine belgische Studentin mit von der Partie. Auch drei zairische Wissenschaftler und die beiden Fahrer gehören zu der Expedition.
Die Straße ist sehr schlecht. Einmal gelingt es uns nur mit vereintem Schieben eines der Allradfahrzeuge aus einem Schlammloch heraus zu bugsieren.
Kurz vor Sonnenuntergang erreichen wir Nduye, wo uns ein katholischer, schwarzer Priester bei der Mission aufnimmt. Wir kommen in dem geräumigen Gästehaus der Station unter. Später genießen wir ein ausgedehntes Abendessen, zu dem wir von den Belgiern mitgebrachten Whisky trinken.
Die Kirche scheint hier eine große Rolle zu spielen, daher gehen wir am nächsten Morgen alle in die Messe. Die beiden Priester tragen farbenprächtige Gewänder. Am Einsatz von Trommeln, Rasseln und Weihrauch wird nicht gespart. Beim Beten verschränkt man die Hände nicht wie bei uns, sondern hält die geöffneten Handflächen nach oben.
Nach zwei Stunden ist der Gottesdienst schließlich zu Ende, und alles trifft sich vor der Kirche. Ich lerne den Chef des Ortes kennen und drei italienische Schwestern.
Die heutigen "Chefs de collectivite´" sind in Zaire häufig die Nachfahren der alten, traditionellen Dorfhäuptlinge.
Den Nachmittag verbringe ich im Garten der Mission. Zum ersten Mal seit langem finde ich etwas Ruhe und bin nicht damit beschäftigt zu überlegen wie ich weiterkomme.
Francis der nette Sohn des Professors hat mir ein interessantes Buch geliehen. "The Forest People" wurde von Colin Turnbull geschrieben, der lange Zeit bei den Pygmäen im Ituri Gebiet lebte.
Später am Nachmittag gehen wir alle zum ungefähr 30 Meter breiten, recht schnell fließendem Nduye Fluss, wo wir unter den neugierigen Augen der Kinder baden. Es schwimmen hier sogar einige Pirogen, und es soll Krokodile geben, die wir jedoch nicht sehen.
Francis und ich planen eine Wanderung zum Berg Mukonja, der über dem Ort aufragt.
Wir besuchen den freundlichen, leicht stotternden Dorfchef. Er verspricht uns einen Führer für morgen zu besorgen. Allerdings gibt es noch ein Problem. Am Abend kommt ein Polizist zur Mission, der mich auffordert ihn zum Chef zu begleiten. Francis geht mit. Beim Chef erfahren wir, dass ein Brief von der Immigrationsbehörde in Mambasa angekommen ist, in dem ich aufgefordert werde, dorthin zurückzukehren, um mir das fehlende Permit zu besorgen.
Der Chef bleibt freundlich, wohl auch wegen des hohen Ansehens, das die Belgier hier genießen und erlaubt, dass ich mit Francis morgen zum Mukonja gehen darf, bevor ich zurück muss.
Um die Kühle des Morgens auszunutzen, marschieren wir schon kurz nach Sonnenaufgang los. Bei der Hütte des Chefs wartet unser Führer, ein kleiner Schwarzer in zerlumpten Khakisachen. Er gehört zu den Lese, die ich bereits kennengelernt habe. Diese Menschen die zur großen Volksgruppe der Bantu gehören, sind vor langer Zeit in den Regenwald eingewandert, wo sie nun im selben Gebiet wie die Pygmäen leben. Obwohl ihre ursprünglichen Lebensweisen grundverschieden sind, kommen sie offenbar gut miteinander aus. Es ist im Laufe der Zeit zu einer Art Symbiose gekommen, die ich noch näher kennenlernen soll.
Die ersten Kilometer wandern wir durch abwechslungsreiches Gelände aus kleinen Feldern, auf denen teilweise Kaffee angebaut wird und dichtem Sekundärwald. Manchmal kommen wir an einer Gruppe von rechteckigen Hütten vorbei, die aus lehmverputzten Holzwänden bestehen. An dem zerfallenen Gebäude einer Kaffeefabrik aus der Kolonialzeit treffen wir einen weiteren Führer. Offenbar wurde hier früher viel mehr Kaffee angebaut. Jetzt holt der Wald sich langsam einige der Plantagen zurück.
Kurz bevor wir auf den Nduye Fluss stoßen, kommen wir nochmal an einer kleinen Siedlung der Lese vorbei. Etwas abseits liegt ein Pygmäenlager.
Die Pygmäen sind das größte heute noch weitgehend als Jäger und Sammler lebende Volk der Erde. Ihre genaue Zahl kennt niemand, man schätzt sie auf 150.000-200.000 Menschen. Mit einiger Gewissheit waren sie die ersten Bewohner des zentralafrikanischen Regenwaldes. Noch heute sind sie über dieses ganze riesige Gebiet, von der Atlantikküste Kameruns bis zum Afrikanischen Graben in Ruanda und Uganda, verstreut. Dabei unterscheidet man fünf große unterschiedliche Gruppen, die sich in verschiedene Stämme weiter aufgliedern. Die Pygmäen des östlichen Zaire bezeichnet man als Bambuti und der Stamm in dieser Gegend heißt Efe. Die Efe sind die einzigen Pygmäen, die nur mit Lanzen und Pfeil und Bogen jagen, nicht aber mit Netzen, wie andere Gruppen. Allerdings sind sie als die mutigsten Elefantenjäger bekannt. Während die Hütten der Bantu eckig sind, wohnen die Efe in Rundhütten, die ich an der Straße schon einige Male gesehen habe. Sie werden errichtet, indem ein Gestell aus biegsamen Zweigen mit großen Blättern schindelartig bedeckt wird. Die Pygmäen sind nur wenig kleiner als die Lese.
Ein graziöses Mädchen stakt uns in einer Piroge über den Fluss. Das ist eine ziemlich wacklige Angelegenheit, und alle Zuschauer amüsieren sich köstlich über die ungeschickten Weißen. Einige Kinder und Jugendliche begleiten uns von jetzt an bis zum Berg.
Am anderen Ufer, das wir ohne zu Kentern glücklich erreichen, beginnt der ursprüngliche Regenwald. Eine Baumart mit glatter, gräulicher Rinde scheint vorzuherrschen. Meist sind die Stämme relativ schlank. Manchmal kommen wir aber auch an wahren Riesen vorbei. Deren mächtige Brettwurzeln, die dem Baum eine höhere Standfestigkeit verleihen, ragen bis in mehrere Meter Höhe am Stamm hinauf. Francis fotografiert mich vor so einem Giganten und schickt das Bild später meinen Eltern nach Hause. Dieses, sowie ein Bild vom Gipfel des Mukonja sind die beiden einzigen Fotos meiner Afrikareise.
Wir folgen einem schmalen Pfad, der sich zunächst recht gut begehen lässt. Der Unterwuchs ist nicht allzu dicht. Häufig überqueren wir kleine Bäche. Dabei balancieren wir manchmal über umgefallene Baumstämme. An Geräuschen ist nur das ständige, monotone Sirren einer Zikadenart und selten Rufe von Vögeln oder Affen zu hören. Für viele Leute riecht es im Regenwald dumpf nach Verwesung. Ich dagegen empfinde es als Wohltat aus der Hitze der offenen Felder in die feuchte Luft des Waldes einzutreten.
Schließlich beginnt der Anstieg. Im Dickicht aus verfilzten Ästen und Sträuchern brauchen wir jetzt häufig das Haumesser. Ich trage Stiefel, Hose und Hemd mit langen Ärmeln. Das ist auch notwendig, denn es gibt neben den Insekten sogar Bäume, deren Stamm mit dolchscharfen Spitzen übersät ist. Einmal ziehen wir uns mit Lianen an einer steilen Felswand hoch. Wir sehen ananasartige Gewächse und haben manchmal einen Ausblick über das Kronendach. Einige Bäume tragen rote oder weiße Blüten. Ziemlich abrupt endet der Wald, und wir stehen auf einem von Schluchten durchschnittenem Plateau aus grauem, nacktem Granitgestein. Obwohl es hier sicher soviel regnet wie im Wald unter uns, wachsen in der Trockenheit der Felsen kakteenähnliche Pflanzen voller Stacheln. Außerdem gibt es bunte Blumen, die dem schattigen Regenwald fast völlig fehlen. Verschiedenfarbige Eidechsen huschen über die warmen Steine, und die Kinder jagen einer weit entfernten Affenhorde hinterher. Wir genießen die Aussicht über das Waldmeer, aus dem zahlreiche Hügelkämme ragen. Schließlich kochen wir Spaghetti, ein ziemlich ungewohntes Gericht für unsere Begleiter, mit denen wir teilen.
Auf dem Rückweg müssen wir für die Fahrt über den Fluss bezahlen. Zur gleichen Zeit setzt ein mit Pfeil und Bogen bewaffneter Efe-Jäger über. Bei den Lese-Hütten werden wir freundlich empfangen und mit köstlichen Papayas bewirtet. Die Schwarzen scheinen hier mit ihren kleineren Nachbarn harmonisch zusammenzuleben. Leider kommt kein Gespräch mit den Pygmäen im Dorf zustande, da sie kein französisch sprechen und ich weder ihre Sprache, noch Kisuaheli verstehe, das auch in Ost-Zaire noch gebräuchlich ist.
Zurück in Nduye entlohnen wir unsere Führer, und ich sage Augustin, dass ich eventuell weitere Touren mit ihm machen will. Auch wenn er umgerechnet nur Pfennigbeträge pro Tag erhält, freut er sich über die Aussicht Bargeld zu verdienen. Wenn die Menschen hier auch noch ziemlich ursprünglich leben, so haben sie doch einen gewissen Geldbedarf. Es gibt einen kleinen Laden in Nduye, in dem ein simples Stück Seife den Tagesverdienst eines zairischen Arbeiters kostet!
Später besuchen wir die drei Schwestern aus Norditalien. Sie sind lebhaft und hübsch, kaum zu glauben, dass sie Nonnen sind!
Als wir den Chef im Ort treffen, betont er nochmal, dass ich zurück nach Mambasa muss. Der Schuldirektor, der zu dem Gespräch hinzukommt, bietet mir an sein Fahrrad zu leihen, was ich gerne annehme.
Abends sitze ich mit der Expedition des Professors zusammen. Der Zairer Katonkolo hat einen Kanister mit Palmwein besorgt. Wir unterhalten uns auch über die Politik des Landes.
Offenbar wären diese jungen, in Belgien ausgebildeten Zairer den Diktator Mobutu lieber heute als morgen los.
Als ich am nächsten Morgen bei dem Schuldirektor aufkreuze, wird das Fahrrad, das er mir leihen will gerade noch repariert. Es ist ein schweres, schwarzes Herrenrad ohne Gangschaltung aus chinesischer Produktion. Diese einfachen, robusten Räder sind in Afrika weit verbreitet.
Gegen neun Uhr fahre ich los. Die Piste führt durch hügeliges Gelände, in dem es ständig bergauf und bergab geht. Die Bremsen funktionieren kaum, so dass ich bei den Abfahrten ziemlich vorsichtig bin. Wegen den tiefen Löchern und ausgewaschenen Rinnen kann ich kaum ein Auge von der Straße nehmen. Na ja, wahrscheinlich bin ich so immer noch genau so schnell wie ein Auto auf der gleichen Strecke.
Um die Mittagszeit blockiert das vordere Schutzblech plötzlich den Reifen. Ich stürze zwar nicht, bin aber ratlos wie ich weiter fahren soll. Da kommt ein Zairer vorbei. Es ist kaum zu glauben, aber er hat tatsächlich etwas Draht dabei, mit dem wir die Panne beheben können. Den kleinen Lohn für seine große Hilfe nimmt er dankend an.
Nach mehr als fünf Stunden bin ich wieder in Mambasa. Ich überbringe der Mission einen Brief von einem der zairischen Expeditionsteilnehmer.
Dann gehe ich zur Immigration. Die ganze Fahrt über hatte ich schon ein ziemlich flaues Gefühl im Magen. Schließlich habe ich mich den Anweisungen der Beamten widersetzt und weiß nicht, wie sie darauf reagieren werden. Aber ich habe Glück. Nachdem ich auf die Expedition des belgischen Professors verweise, bekomme ich nach zehn Minuten meine Reisegenehmigung für die Minenzone um Nduye. Sie kostet mich 10.000 Zaire. Das sind umgerechnet nur ein Paar Mark. So ganz ungestraft wollen mich die Beamten aber auch nicht ziehen lassen. Sie bestehen darauf, dass ich ihnen ein Bier spendiere. Nachdem sie ihre Flaschen haben, sind sie sehr freundlich und ich kann schließlich gehen.
Einige Wochen später treffe ich in einem Forschungscamp der Harvard Universität einen amerikanischen Ethnologen, der schlechtere Erfahrungen mit den Beamten gemacht hat. Er wurde von ihnen verprügelt. Allerdings spricht er kein Französisch und verstand vielleicht nicht die Aufforderung ein Bier auszugeben!
Auf der Straße des Ortes treffe ich drei Deutsche, die mit einem LKW bis hierher gefahren sind. Sie warnen vor den islamischen Ländern, weil Weiße dort wegen des Golfkriegs sehr unbeliebt sind.
Den Abend verbringe ich mit den Missionaren.
Die Rückfahrt verläuft ohne größere Probleme, außer dass einmal die Kette abspringt und das Schutzblech wieder auf den Reifen fällt. Dem Direktor schenke ich einen meiner Solartaschenrechner. Mit seinem Fahrrad hat er mir wirklich sehr geholfen.
Als ich den Schwestern Post aus Mambasa bringe, laden sie mich zum Essen ein. Es gibt Kartoffeln mit Gulasch, ein Genuss!
Spät abends trifft ein Landrover mit Francis, der Schwester Anna und dem amerikanischen Ethnologen Marc Jennicke ein. Der Amerikaner leitet ein Forschungscamp in Ngudi Ngudi sechzig Kilometer nördlich von Nduye. Wir unterhalten uns, und er lädt mich ein, ihn dort zu besuchen.
Am nächsten Morgen sehe ich den Belgiern bei der Arbeit zu. Mit Schulkindern führen sie den sogenannten Cooper Test durch. Es wird dabei die Strecke gemessen, die die Kinder in 12 Minuten laufen können. Die Kleinen sind mit Eifer dabei, denn hinterher gibt es eine Belohnung. Anders sieht es bei der Blutabnahme in der Krankenstation der Mission aus. Die Leute, Bantu wie Pygmäen, sind sehr ängstlich und glauben sie müssen sterben. Ich bezweifele sehr, ob diese Untersuchungen sein müssen.
Gestern ist ein Pygmäe im Hospital gestorben und wird nun auf einer Bahre davongetragen. Der Leichnam wird von bitterlich weinenden Frauen begleitet.
Einen schrecklichen Anblick bietet ein sogenannter "Elefantenmensch". Die Anschwellung der Lymphknoten führt zu starken Geschwüren am ganzen Körper. Die Ursache der Krankheit Filariose sind winzige Fadenwürmer, die durch Mückenstiche übertragen werden.
Am Nachmittag fährt Marc Jennicke zurück in sein Camp. Er wird begleitet von dem Professor, der Assistentin Anja und seinem Sohn. Für mich ist leider kein Platz mehr, da der Wagen sonst zu stark überladen wäre. Allerdings nimmt der Amerikaner schon einen Teil meines Gepäcks mit, den ich nicht unmittelbar benötige.
Ich beschließe noch eine Zeit lang in Nduye zu bleiben, um von hier den Regenwald zu erkunden und dann nach Ngudi Ngudi zu gehen.
Als erstes möchte ich für einen kurzen Ausflug alleine in den Wald gehen. Es ist ziemlich anstrengend als Weißer immer Gegenstand der Aufmerksamkeit zu sein, und ich habe jetzt das Bedürfnis alleine, ungestört die neue Welt Regenwald zu erleben.
Die Lese in dem kleinen Dorf am Nduye Fluß sind entsetzt, dass ich ohne Führer in den Wald gehen will. Schließlich kann ich die Leute überzeugen, das das mein fester Wunsch ist, und lasse mich über den Fluss setzen. Ich folge dem Pfad zum Mukonja. Bei einer Rast läuft eine Kusimanse, das ist ein kleines, mangustenähnliches Raubtier, auf fünf Meter Entfernung an mir vorbei, beachtet mich aber nicht.
Schließlich will ich mein Zelt in der Nähe eines Baches aufschlagen. Es ist gar nicht so einfach einen halbwegs unbewachsenen Platz zu finden, der dafür geeignet ist. Doch schließlich steht meine unauffällig grüne Behausung.
Nachmittags folge ich dem Pfad Richtung Berg noch ein Stück weiter. Obwohl ich mich so leise und aufmerksam wie möglich verhalte, sehe ich nur einige Affen und Vögel hoch oben im Geäst rumturnen, die ich aber nicht identifizieren kann.
Zurück am Zelt sehe ich fünf Pygmäengruppen nacheinander von der Jagd zurückkehren. Auch einige Frauen sind dabei. Ich halte es für unmöglich, dass sie mein Zelt in dem dichten Grün abseits des Pfades erkennen. Vier der Trupps laufen vorbei ohne es zu bemerken. Beim fünften bleibt einer der Jäger plötzlich stehen. Er nimmt seinen Bogen von der Schulter, dann rennt die ganze Gruppe davon. Offenbar ist den kleinen Jägern das Zelt unheimlich. Wahrscheinlich waren sie schon am Morgen in den Wald gegangen und wussten nichts von der Anwesenheit eines Weißen. Als sie zurückkamen, musste ihnen das grüne Etwas mit dem danebenliegenden Weißen wie ein Werk der Waldgeister erscheinen. Ich habe ein schlechtes Gewissen, denn ich wollte die Pygmäen nicht erschrecken. Außerdem habe ich jetzt, wo mein Lager erkannt ist nicht mehr das Gefühl ungestört zu sein.
Am nächsten Morgen folge ich einem anderen Pfad, der aber bald nicht mehr zu erkennen ist. Dann wandere ich ohne Weg hangaufwärts. Der Wald hier ist ziemlich licht und besteht aus starken Stämmen, so das das Vorwärtskommen unproblematisch ist. Anders sieht es aus, als ich auf dem Rückweg dem Bach folge, in dessen Nähe mein Zelt steht. Dichter, mit Lianen verfilzter Unterwuchs macht jeden Schritt zur Anstrengung.
Zurück im Lager stelle ich fest, dass ich Besuch hatte, denn ein Feuer glimmt noch. Das ist eine gute Gelegenheit zum Essen kochen, denn gestern habe ich es nicht fertig gebracht ein Feuer anzuzünden. Ich bereite mir eines meiner letzten, noch aus Deutschland stammenden Fertiggerichte zu. Dann trete ich den Rückweg an.
Bei den Hütten am Fluss treffe ich Augustin, unseren Führer auf der Mukonja Tour. Ich verabrede, dass ich übermorgen mit ihm und zwei Efe wieder in den Wald gehe. Doch zunächst ist Nduye mein Ziel. Der afrikanische Bischof dieser Gegend hat sein Kommen angekündigt, und ich als weißer Besucher soll unbedingt dabei sein, sagen die Schwestern.
Im Ort wartet alles auf die Ankunft des Würdenträgers. Offenbar hat die katholische Kirche hier eine große Bedeutung, denn neben zahlreichen Schwarzen sind auch viele Pygmäen aus dem Wald hierhergekommen. Schließlich trifft der Bischof ein. Die Menschen sind begeistert, er würdigt sie aber keines Blickes.
Dennoch wird abends überall gefeiert. Efe und Lese bewegen sich meist in getrennten Gruppen zum Klang der Trommeln. Allerdings tanzen einige Bantu auch um das Feuer der Pygmäen. Schon im alten Ägypten waren diese kleinen, nur 1,30 bis 1,50 Meter großen Menschen für ihre Tanzkünste berühmt und wurden Tänzer Gottes genannt. Einen Urwaldzwerg am Hof zu haben war für die Pharaonen, die Forschungsexpeditionen bis in den Regenwald hinein aussandten, wichtiger als Gold und Silber.
Die Pygmäen wirken lebendig, ja geradezu ekstatisch auf mich. Die sich im Schein der Feuer bewegenden Gestalten verbreiten eine faszinierende Atmosphäre. Dann ist es soweit: Vier der tanzenden Mädchen fallen fast gleichzeitig zu Boden und zucken dort weiter. Ihre Bewegungen sind so heftig, dass sie festgehalten werden müssen, um sich nicht zu verletzen. Erst nach einigen Minuten beruhigen sie sich und erwachen langsam aus ihrer Trance.
Nach der über zwei Stunden dauernden Messe beginnt am nächsten Tag die offizielle Feier zu Ehren des Bischofs. Zunächst führen die Lese Tänze auf, die ich aber ziemlich langweilig finde. Dann sind die Efe an der Reihe. Man hört einen wilden Rhythmus, und es erscheinen Trommler. Danach springen zwei Tänzer hervor. Sie tragen Gesichtsmasken und wirken dadurch, dass sie sich mit grünem Blattwerk behängt haben, wie rasende Büsche. Ihre Darbietung ist mitreißend und ergreifend.
Nach den Männern sind die Pygmäenfrauen an der Reihe. Sie lassen ihre nackten Brüste vor dem Bischof schwingen, der betreten wegguckt. Offenbar hat die katholische Erziehung seine afrikanische Kultur verdrängt.
Nach den Tänzen werden dem Geistlichen Geschenke überreicht. Von den Lese erhält er Feldfrüchte, wie Bananen und Maniokknollen. Dagegen übergeben ihm die Pygmäen einen Köcher mit Pfeil und Bogen, sowie eine Mütze aus dem Fell einer Wildkatze.
Anschließend findet ein Essen der bedeutenden Leute des Ortes, wie Chef, Schuldirektor u.s.w. mit dem Bischof statt. Auch ich werde eingeladen und genieße das gute Essen.
Heute ist mein vierundzwanzigster Geburtstag, und ich möchte zur Feier des Tages mit den zurückgebliebenen Mitgliedern der belgischen Expedition etwas Palmwein trinken. Leider gelingt es uns aber nicht etwas von dem köstlichen Getränk aufzutreiben.
Am nächsten Morgen kommt Augustin mit dem jungen Efe Bambou zur Mission. Wir wollen Nahrungsmittel für unseren geplanten Ausflug in den Wald besorgen. Von den Schwestern kaufe ich rotes Palmöl, das nach Augustins Ansicht unentbehrlich ist. Dann gehen wir den mir inzwischen schon gut bekannten Pfad zu dem kleinen Dorf am Fluss. Dort kaufe ich bei verschiedenen Leuten ohne großes Handeln einige Kilo Reis, Maniok und Bananen. Mittlerweile besteht unsere kleine Expedition aus fünf Leuten. Ein weiterer Lese namens Emanuel und ein Efe der Eugene heißt sind hinzugekommen. Emanuel ist 28, stellt Schlingen und geht häufig mit den Pygmäen jagen. Er kennt den Wald sehr gut und spricht wie Augustin Französisch. Ich kann mich mit den Efe leider nur über diese beiden Dolmetscher unterhalten. Offiziell sollen zwar auch die Kinder der Pygmäen zur Schule gehen, um beispielsweise Französisch zu lernen. In der Regel halten es die Eltern der Kinder aber für wichtiger ihrem Nachwuchs beizubringen, wie man im Wald zurechtkommt, als sie trockenes Schulwissen pauken zu lassen. Abgesehen davon wäre der Schulbesuch oft auch nur möglich, wenn die Kinder von ihren Eltern getrennt wären, da diese zumindest zeitweise als Halbnomaden durch den Dschungel streifen.
Die Vorräte transportieren wir in Bastkörben, welche mit Palmbändern gehalten werden, die um die Stirn der Träger laufen. Als Bambous Band reißt, braucht er keine fünf Minuten um ein Neues kunstfertig herzustellen.
Zunächst bewegen wir uns wieder auf dem Pfad zum Mukonja, steigen dann aber nicht empor, sondern gehen um den Berg herum. Während einer Rast begleite ich Emanuel, der eine seiner 45 Schlingen kontrolliert. In dem Draht hat sich ein etwas über hasengroßer, gräulicher Blauducker mit einem Huf verfangen. Das Tier ist durch seinen niedrigen, geduckten Körperbau gut an das Leben im dichten Unterwuchs angepasst. Bambou bricht ihm die Fußgelenke, um den Ducker als lebenden Vorrat mitzunehmen, der nicht verwest.
Das Tier quäkt jämmerlich, und ich bitte darum es zu töten, woraufhin Emanuel ihm das Genick bricht. In einer anderen Schlinge finden wir einen Quastenstachler, ein relativ kleines, stachelschweinähnliches Tier, was ich noch häufiger sehen soll. Mir gefällt das Schlingenstellen zwar nicht, aber ich weiß, dass hier wegen verschiedener Krankheiten kaum eine Haustierzucht möglich ist. Daher spielt der Wald als Quelle tierischen Proteins eine große Rolle.
Schließlich erreichen wir unser Ziel, ein Jagdlager der Efe. Sie leben zeitweise auch in der Nähe von Augustins Dorf. Das Lager besteht aus fünf runden Laubhütten, die auf einem Hügel oberhalb eines Baches gebaut wurden. Zur Zeit sind nur Frauen und Kinder da. Die Jäger, zwei Brüderpaare und ihr alter Vater kehren erst später ohne Beute aus dem Wald zurück. Nachdem wir den alten Chef der Sippe um die Erlaubnis hierzubleiben gebeten haben, schlage ich mein Zelt etwas abseits auf. Die Tiere aus den Schlingen werden erst jetzt ausgeweidet, nachdem das Fell über dem Feuer abgesengt wurde. Außer den Tieren essen wir zur Abendmahlzeit, die wir mit den Efe teilen, gekochte Maniokknollen, die zuvor geschält wurden. Sobald er etwas Zeit hat, holt Bambou ein mit einigen Saiten bespanntes Brettchen hervor. Auf diesem harfenähnlichen Instrument macht er mit Ausdauer schöne Musik. Die Atmosphäre ist freundlich, teilweise sogar fröhlich. Besonders die Frauen haben immer etwas zu lachen über den merkwürdigen Neuankömmling.
Am nächsten Morgen wollen die Efe wieder jagen gehen. Sie erlauben mir sie zu begleiten, allerdings wollen sie nicht glauben, dass ich ihnen mit meinen Stiefeln folgen kann. Selber laufen sie barfuß und bewegen sich mühelos auch durch dichte Vegetation, wie ich schon gesehen habe.
Bevor die Jagd beginnt, macht eine Holzpfeife die Runde. Ich glaube, dass die Pygmäen eine Droge, wahrscheinlich Marihuana rauchen. Dennoch bemerke ich keine Veränderung an ihnen.
Zu meiner Überraschung haben die Efe sogar Jagdhunde. Die beiden etwa terriergroßen, schmutziggelben Hunde kriegen, bevor wir losziehen, eine Art Glocke um den Hals gebunden. Sie besteht aus einem durchbohrten Stück Holz, in dem ein Klöppel befestigt ist. Wenn die Hunde in Bewegung sind, ertönt ein ständiges Klappern, das den Jägern den Standort ihrer Gehilfen verrät. Noch vor dem Aufbruch fertigt ein Efe so eine Glocke. Wieder bewundere ich das handwerkliche Geschick der kleinen Menschen.
Gegen neun Uhr morgens marschieren wir los. Vorweg die Efe mit Pfeil und Bogen, sowie Lanzen bewaffnet, dahinter die beiden Schwarzen und ich. Schon bald stoßen wir auf eine frische Büffelfährte. Die Wildrinder sehen hier im Wald völlig anders aus, als ihre Verwandten in offeneren Landschaften. Sie sind rot, haben kürzere, nicht gebogene Hörner und werden kaum halb so schwer wie die schwarzen Savannenkolosse.
Manchmal verrät ein Kothaufen, der noch ganz frisch ist, dass die Büffel keinen großen Vorsprung haben. Mit Vorliebe ziehen sie durch die dichten Gebüsche am Bachufer, wo ich den Efe nur schwer folgen kann. Auf trockenerem Boden verlieren wir manchmal die Fährte. Dann schwärmen die Jäger aus, um sie wiederzufinden, was nach einiger Zeit stets gelingt. Nach vier Stunden geben wir die Verfolgung auf. Einer der Jäger hat offenbar Malaria und kann das Tempo nicht mehr halten.
Einmal kreuzen wir eine Elefantenfährte, die jedoch nicht weiter beachtet wird, da die Jagd heute den Büffeln gilt.
Auf dem Rückmarsch sehen wir eine Affenhorde in den Baumkronen über uns. Es sind wahrscheinlich mit den mir schon bekannten schwarz-weißen Colobusaffen verwandte Braune Guerezzas. Eugene folgt den zehn Baumakrobaten kurze Zeit, und feuert einen Pfeil ab, als einer der Affen aus dem Laub hervortaucht. Der Pfeil verfehlt sein Ziel, wahrscheinlich ist die Entfernung nach oben zu groß, denn auch der zweite Schuss geht ins Leere.
Wie wir zurück ins Lager finden ist mir ein Rätsel, ich habe schon nach kurzer Zeit die Orientierung verloren. Allerdings scheinen die Jäger auch kein unfehlbares Orientierungsvermögen zu besitzen, denn sie knicken von Zeit zu Zeit Zweige als Wegmarkierung.
Nachmittags regnet es etwas. Danach gehe ich alleine ein Stück den Bach aufwärts und setze mich an einer etwas lichteren Stelle hin. Ein neugieriges Streifenhörnchen kommt bis auf zwei Meter an meine Füße heran. Außerdem beobachte ich einen kleinen braunen Specht mit weißem Kopf und einige andere Vögel, die am Bach trinken.
Ich gehe früh schlafen, denn die lange Jagd war sehr anstrengend.
Der kranke Jäger bleibt am nächsten Tag im Lager. Die Anderen und ich ziehen frühmorgens wieder los. Bevor wir aufbrechen schärfen die Efe ihre Lanzen mit Steinen und Flusssand. Ich habe Belohnungen ausgesetzt, wenn ich einige größere Tierarten wie Elefanten, Büffel, Bongos und Okapis beobachten kann. Der Bongo ist eine große, schön gestreifte Antilope, die sehr scheu ist und nur im Regenwald lebt. Das Okapi ist mit den Giraffen verwandt, aber viel kleiner. Es lebt ausschließlich im Iturigebiet und wurde erst in diesem Jahrhundert entdeckt.
Wir folgen heute verschiedene Male Bongo-, Büffel- und Okapifährten, verlieren sie aber jeweils schon nach kurzer Zeit. Die Efe sagen, jetzt in der Trockenzeit ist es viel schwieriger Tierfährten zu folgen, als wenn es regnet und die Trittsiegel sich in der feuchten Erde abheben.
Die Pygmäen verständigen sich während der Jagd durch nachgeahmte Vogelstimmen.
An einer Steilwand aus roter Erde stoßen wir auf eine Elefantenspur. Offenbar zieht das Wild gerne hierher, um von der mineralstoffhaltigen Erde zu essen.
Die Hunde kommen zweimal zum Einsatz: Einmal verfolgen sie eine Kusimanse, die bei uns vorbeiflitzt. Bambou und Emanuel werfen ihre Lanzen, treffen aber nicht. Das andere Mal sehen die Jäger ein Riesenwaldschwein vor uns davonbrechen. Diese Tiere sind mit unseren Wildschweinen verwandt, aber viel größer. Leider gelingt es mir nicht, einen Blick auf das Tier zu erhaschen.
Wenn die Jäger ein Tier sehen, das mir verborgen bleibt, zeige ich ihnen nach der Jagd im Lager mein Säugetierbuch mit den farbigen Tafeln. Anhand der Bilder versuche ich zu ergründen, welches Tier die Pygmäen gesehen haben. Das Buch interessiert die Efe sehr, und sie können mir ganz genau sagen, welche Tiere sie kennen und welche nicht. Ich überprüfe ihre Aussagen, indem ich Bilder von Steppenwild zeige, das ganz bestimmt nicht hier vorkommt. Häufig imitieren die Jäger die Geräusche von Tieren, die sie im Buch erkennen.
Wir hören die Hunde zwar lange Zeit das Riesenwaldschwein verfolgen, aber schließlich kehren sie erfolglos zurück. Manchmal müssen die Efe auch erst einige Zeit rufen bis die Vierbeiner zurückkommen. Einmal hören wir eine Schimpansenhorde in den Bäumen und stoßen auf eine Stelle, wo offenbar ein Leopard einen Affen gerissen hat. Sofort schwärmen die Efe aus um die Reste der Leopardenmahlzeit zu finden. Die beiden Schwarzen machen sich lustig über die Pygmäen, die nicht mal Aas verschmähen. Die Suche bleibt erfolglos, dafür entdecken wir einen umgefallenen, hohlen Baum in dem Bienen wohnen. Die Efe führen immer glimmende Scheite vom Lagerfeuer mit. Zum einen um die in einer Blatttragetasche mitgenommenen Maniokknollen zubereiten zu können. Zum anderen für solche Gelegenheiten, bei denen die Bienen durch den Rauch vertrieben werden müssen, bevor die Jäger mit einer einfachen Axt an die Waben gelangen können. Das Unternehmen gelingt, und wir können von dem köstlichen Honig schmausen. Ein Teil der Waben wird den Frauen und Kindern im Lager mitgebracht.
Abgesehen von dieser kurzen Pause, sind wir ständig in Bewegung. Das Gelände ist ziemlich hügelig, und eine Baumart mit heller Rinde scheint hier zu dominieren. Durch das dichte Kronendach fällt nur wenig Licht, so dass am Waldboden nur einige weißblühende Schattenblumen existieren können. Während der Hochwald leicht zu durchqueren ist, kommen wir immer wieder an dicht bewachsene Lichtungen, wo die Baumriesen durch Sturm oder Altersschwäche umgestürzt sind. Für mich ist es zwar eine Qual hier durchzukriechen, für das Wild, vor allem die größeren Tiere, sind diese Plätze aber besonders attraktiv, da es hier, im Gegensatz zum düsteren Hochwald, vor Nahrung nur so wimmelt. Diese Lücken bleiben relativ lange offen, weil die Elefanten die jungen Bäume immer wieder zurechtstutzen. Dadurch erhalten die grauen Riesen vielen anderen Arten den Lebensraum.
Irgendwann stoßen wir auf ein weiteres Jagdlager der Efe, dessen elf Hütten aber leer stehen.
Auf dem Rückmarsch geraten die Pygmäen plötzlich in Panik, und rennen davon. Auch die beiden Schwarzen springen zunächst furchtsam zurück. Ich verstehe nicht was los ist, bis Emanuel mir sagt, dass vor uns eine Schlange im Baum hängt. Augustin hat zuviel Angst, aber Emanuel geht nach einigem Zögern mit mir näher zu dem Baum, bis auch ich das Reptil erkenne. Die Schlange ist lang, schwarz und dünn. Sie bewegt sich nicht und nimmt auch sonst keine Notiz von uns. Ich kenne mich nicht mit Schlangen aus, aber offenbar ist sie ziemlich giftig, da die Efe solche Angst vor ihr haben. In Afrika gibt es die berüchtigten schwarzen Mambas, die aber eigentlich eher in offenem Gelände vorkommen.
Es ist noch sehr weit bis zum Lager. Ein Gewitter zieht auf und ich bin mir nicht sicher, ob die Schwarzen den Rückweg kennen. Die Efe sind längst über alle Berge. Die Situation, in die uns das plötzliche Auftauchen der Schlange gebracht hat, kann ziemlich ungemütlich werden. Aber bald passieren wir manchmal einen umgeknickten Zweig, der zeigt, dass wir auf dem richtigen Weg sind. Kurz nachdem wir das Lager glücklich erreicht haben, wird es fast dunkel, und ein schweres Gewitter mit heftigem Regen entlädt sich über uns.
Einige Frauen sind heute mit dem kranken Jäger ins Dorf am Fluss gegangen. Ein anderer Efe ist als Ersatz mitgekommen. Ich habe den Frauen etwas Geld gegeben, wovon sie Bananen, Papayas und vor allem Tabakblätter gekauft haben. Alle Pygmäen rauchen leidenschaftlich gerne. Weil ich Tabak im Lager verteile, steige ich sichtlich im Ansehen bei den Efe.
Ich bin sehr erstaunt über den ältesten Pygmäen. Er ist der Vater von zweien der Jäger. Seine Haare sind bereits weiß und er ist spindeldürr. Trotzdem scheinen ihm die langen Märsche nichts auszumachen. Die jüngeren Efe sind zwar klein, aber alle breitschultrig und muskulös. Die Frauen sind häufig graziös und zierlich. Damit stellen sie einen deutlichen Gegensatz zu den meisten Bantufrauen dar, die oft ziemlich wohlgenährt aussehen.
Während die Männer jagen, gehen die Frauen ebenfalls in den Wald. Sie sammeln allerhand Essbares wie Beeren, Pilze und Früchte. Außerdem obliegt ihnen der Fischfang, der zum Teil mit Reusen betrieben wird. Die Arbeit der Frauen ist sicher auch interessant und für das Leben der Sippe ebenso wichtig wie die Tätigkeit der Männer. Trotzdem interessieren mich mehr die spannenden Jagden im Wald.
Am nächsten Morgen regnet es immer noch. In den Laubhütten brennen kleine Feuer, um die die Menschen auf Stühlen sitzen, die aus Zweigen und Lianen gefertigt sind. Ständig hört man Lachen. Die Efe sind ein sehr fröhliches Volk. Besonders die Frauen sind häufig geradezu kindisch. Ich werde den Verdacht nicht los, dass ich oft der Gegenstand ihrer Späße bin!
Augustin und Emanuel erzählen, dass sie Angst haben alleine in den Wald zu gehen, der ihrer Meinung nach von Dämonen bewohnt wird. Auch wenn Emanuel seine Schlingen kontrolliert, nimmt er immer einen Pygmäen mit.
Nachdem der Regen aufgehört hat, warten wir noch einige Zeit bis der Großteil des Wassers von den Bäumen abgetropft ist.
Bald nachdem wir aufgebrochen sind, stöbern die Hunde eine Kusimanse auf. Sie kommt bei uns vorbei, Augustin wirft seine Lanze, verfehlt sie aber. Danach flüchtet sie unter einen Felsen.
Nach einer Stunde wird es spannend. Die Jäger hören in einiger Entfernung Elefanten durch den Wald brechen. Bald danach stoßen wir auf die frische Fährte eines Dickhäutertrupps. Nach dem Regen lässt sich ihre Spur sehr einfach verfolgen. Die Jäger achten nicht auf den Wind, obwohl die Elefanten einen ausgezeichneten Geruchssinn haben. Allerdings ist es am Grund des Waldes meistens fast windstill, so dass das Schleichen entgegen der Windrichtung hier nicht so wichtig ist, wie in anderen Lebensräumen. Bald höre auch ich die grauen Riesen brechen und trompeten. Augustin ist sehr ängstlich und will sich hinter einem Felsen verstecken. Dennoch folgen wir weiterhin den Jägern. Das Unternehmen kann nur dann erfolgreich verlaufen, wenn es einem der Efe gelingt einen Elefanten unbemerkt von hinten anzuschleichen und ihm mit einem Lanzenhieb die relativ schwachen Fußsehnen zu durchtrennen. Dadurch kann der Dickhäuter nicht mehr fliehen, und wird von den Jägern mit zahlreichen Speerwürfen getötet.
Die Efe jagen seit jeher Elefanten zur Nahrungsbeschaffung. Auch wenn sie heute vielleicht das Elfenbein verkaufen, geht es doch in erster Linie um Fleisch. Natürlich kann eine Handvoll Pygmäen nicht einen ganzen Elefanten essen bevor er anfängt zu verwesen. Daher werden nach erfolgreicher Jagd die Schwarzen in den Dörfern alarmiert, die dann in den Wald ziehen und sich auch ihren Teil holen. Dieses System ist sehr wichtig für die Pygmäen. Die Schwarzen bauen Feldfrüchte an und geben einen Teil davon den kleinen Jägern. Auch in der Zeit als ich im Lager war, wurden hauptsächlich Reis und Maniok gegessen. Das, was die Frauen sammeln und die Jäger an kleineren Tieren erlegen, stellt lediglich eine Ergänzung dar. Andererseits halten die Schwarzen im Regenwald bis auf Hühner keine Tiere. Für die Fleischbeschaffung sind sie also weitgehend auf den Jagderfolg der Pygmäen angewiesen. Es gibt zwar einige Bantu, die selber jagen oder Schlingen stellen, die meisten haben aber Furcht alleine im Wald zu sein (wie Augustin und Emanuel). Das Zusammenleben von Efe und Lese stellt also eine Art Symbiose zwischen Jägern und Bauern dar. Dass die Balance dieses Verhältnisses leicht aus dem Gleichgewicht geraten kann, sollte ich später erleben.
Irgendwann sehen wir verschwommen durch das Blattwerk etwa zehn Elefanten in der Nähe eines Baches. Allerdings ziehen die Dickhäuter rasch weiter. Augustin und ich werden von den Jägern gebeten etwas zurückzubleiben, und bald haben wir den Kontakt zu ihnen verloren. Also verfolgen wir die Fährte selbstständig weiter. Dann hören wir wieder das Brechen von Zweigen. Es scheint, als würden sich die Elefanten auf uns zu bewegen. Augustin schlottert vor Angst und sucht einen hohlen Baumstamm in dem er sich verstecken kann. Auch mir ist ziemlich mulmig. Wahrscheinlich haben die Elefanten die Jäger bemerkt und sind jetzt in großer Aufregung. Wieder sehe ich sie schemenhaft durch den Blättervorhang verschwinden.
Bald danach treffen wir auf den alten Efe. Er berichtet, dass der Großteil der Herde geflüchtet ist. Allerdings ist auch eine Kuh mit einem kleinen Jungen dabei gewesen. Das Junge kann noch nicht schnell laufen, daher rechnen sich die Jäger eine Chance aus, obwohl die Dickhäuter sie bereits bemerkt haben.
Es ist kaum zu glauben, aber wir sehen die Elefanten noch ein drittes Mal. Wieder hören wir lautes Brechen und verstecken uns hinter einem Baum. Dann kommt die Elefantin mit ihrem Jungen bis auf etwa zwanzig Meter an uns vorbei gezogen. Sie ist in höchstem Grade beunruhigt und trompetet immer wieder. Auf diese kurze Entfernung ist das ziemlich laut!
Ich weiß nicht, ob sie uns bemerkt hat, bin aber erleichtert als sie weiterzieht.
Die Waldelefanten sind, wie die Büffel, viel kleiner als ihre Verwandten in der Savanne. Außerdem haben sie weniger gebogene Stoßzähne und runde Ohren.
Kurz nachdem die Elefanten abgezogen sind, tauchen die Jäger auf. Sie beschließen die Verfolgung zu beenden, da die Kuh auch ihnen mittlerweile zu aggressiv ist.
Als wir uns später über die Elefantenjagd unterhalten, erfahre ich, dass Bambou bereits zehn der Dickhäuter getötet hat. Zwei weitere Efe haben auch schon einige erlegt.
Etwas später scheint es, als würden wir doch noch eine Beute zurück ins Lager bringen.
Einer der Efe entdeckt Bienen die ständig eine Stelle an einem Baum in etwa zehn Meter Höhe anfliegen. Es dauert nicht lange bis einer der Jäger dort hochgeklettert ist. Wieder einmal bin ich über das Geschick der Efe erstaunt. Allerdings bringt er keine Waben mit herunter, denn der Honig dieser Bienenart ist nach Aussage der Pygmäen giftig!
Heute entfällt unsere Mittagsmahlzeit, denn Augustin hat statt Maniok Zucker als Verpflegung mitgenommen!
Während der Jagd ist ein Hund verloren gegangen, der nun ständig von den Efe gerufen wird, aber nicht wieder auftaucht.
Nachdem wir zurück im Lager sind, kontrolliert Emanuel seine Schlingen, in denen sich heute aber nichts gefangen hat. Abends gibt es wieder ein Gewitter.
Am nächsten Morgen gehen die Efe ihren verschwundenen Hund suchen. Ich nutze die Gelegenheit um nochmal alleine den Wald zu erkunden. Dazu schlage ich den Pfad in Richtung des Pygmäenlagers ein, auf das wir vor zwei Tagen gestoßen sind.
Es ist ein schönes Gefühl mal wieder alleine zu sein und zu einem Spaziergang in den morgenfrischen Regenwald aufzubrechen. Ich mache zwar keine großen Entdeckungen, genieße aber trotzdem die Atmosphäre des Waldes.
Nachmittags gehe ich mit Augustin und Bambou auf die Pirsch. Wir sehen eine Kusimanse in einem Erdloch verschwinden. Bambou versucht sie mit Tierlauten aus dem Bau zu locken, was aber nicht gelingt. Später probieren wir Ducker anzulocken, mit Geräuschen, die wie die Klage des Blauduckers in der Schlinge klingen. Obwohl wir still dasitzen, nähert sich kein Tier.
Die Stimmung unter den Efe ist etwas deprimiert. Es ist nicht gelungen den Hund zu finden, und die vielen Misserfolge auf der Jagd heben natürlich auch nicht gerade die Laune der Pygmäen.
Die Vorräte meiner kleinen Expedition sind aufgebraucht, daher beschließen wir nach Nduye zurückzukehren, um neue Nahrungsmittel zu kaufen. Ein Efepaar geht mit uns zurück, um ebenfalls neue Feldfrüchte bei den schwarzen Bauern zu besorgen.
Im Dorf am Fluss kaufe ich einem Mann einige Bananen ab. Er ist erzürnt, dass einige der Geldscheine, die ich ihm gebe angerissen sind. Trotzdem nimmt er sie nach einiger Zeit.
In Zaire ist die Inflation sehr hoch, deshalb kosten auch kleine Einkäufe zahlreiche Geldscheine.
Die Schwestern in der Mission freuen sich mich wiederzusehen. Während wir zusammen essen, erzähle ich von meinen Erlebnissen, unter anderem auch der Elefantenjagd. Sie warnen mich jemand anderen darüber zu berichten, da die Elefantenjagd auch in Zaire verboten ist. Zwar wird über die Jagd der Pygmäen mit Lanzen und Pfeilen hinweggesehen, aber, wenn ich dabei bin, kann es schnell heißen ich würde die Efe zur Elfenbeinwilderei anstiften.
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