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16.10.2020

Alpentraverse 2020 - 4 Monate von Berchtesgaden zum französischen Mittelmeer 2. Berchtesgaden- Lend


 


Am 30. 5 sitze ich im Zug von Marburg nach Berchtesgaden. Jeder trägt  aufgrund der Corona- Pandemie eine Maske, daher ist es eher still. Nichts desto trotz spricht mich eine ältere Dame an, deren Neugier offenbar durch meinen Rucksack und die Wanderbekleidung angefacht wurde, was ich denn vor hätte. Zunächst reagiere ich ziemlich zurückhaltend, aber als ich merke, dass mein Gegenüber, offensichtlich ziemlich alpenerfahren, stark an meiner Tour interessiert ist, erzähle ich ihr von meinem Plan die Alpen von Berchtesgaden zum französischen Mittelmeer zu durchqueren. Die sympathische Frau ist ziemlich beeindruckt, sagt aber, dass ich zu Anfang noch mit ziemlich viel Schnee zu kämpfen haben werde...

Als wir am Nachmittag Berchtesgaden erreichen, breche ich gleich ohne Umschweife auf, da ich noch einige Kilometer zurücklegen möchte.

                          Aufbruch in Berchtesgaden


Obwohl es woanders schon fast Sommer ist, blüht hier an der Königseeer Ache noch der Bärlauch, das heißt selbst in den Tallagen steht die Natur noch mitten im Frühling, wie wird es erst weiter oben aussehen?

Nachdem ich Königssee und Talstation der Jennerbahn hinter mir gelassen habe, steige ich im Wald bergauf. Da es schon spät ist, benötige ich einen halbwegs flachen Platz zum Zelten. Dazu verlasse ich den Forstweg und steige auf zu einer Lehne im Fichtenwald, wo ich schließlich mein erstes Lager der Alpentour aufschlage. Morgen geht es in den Nationalpark Berchtesgaden, ich bin gespannt!


                                                                 Das erste Lager


Früh am Morgen bin ich wieder unterwegs. Es ist ziemlich kühl, so dass man durchaus Handschuhe tragen könnte. Bald gelange ich auf einen Steig, der weiter aufwärts führt. An einigen Stellen blühen Orchideen und durch das Geäst ergeben sich Ausblicke auf den fjordartig eingeschnittenen Königsee.

                                     Weißes Waldvöglein  

   

                                         Der Königsee          


                                            Ziemlich gefährlich hier...

Weiter oben flacht das Gelände wieder ab und ich passiere einige bewirtschaftete Almen. Knorrige Bergahorne haben gerade frisches Grün angelegt,  an einigen Stellen erscheinen auch gerade die ersten Blätter.

                                         Knorriger Bergahorn

                  Neue Ahornblätter sprengen die Knospenhüllen    

Obwohl ich mich ja in einem Nationalpark befinde, wo sich eigentlich die Natur ohne menschlichen Einfluss entwickeln soll, grasen Kühe auf den Almen, es gibt Fahrwege und Zäune. Klar, dass sind traditionelle Nutzungen, aber sollte es nicht auch in Deutschland möglich sein, so kleine Gebiete wie die Nationalparks gar nicht mehr zu bewirtschaften? Dass das möglich ist, sollte ich dann im weiteren Verlauf der Tour in der Schweiz sehen. Ich fände es jedenfalls interessant zu sehen, wie der Wald langsam die Weidegebiete unter der Waldgrenze zurück erobert.

                                          Wirklich?

                                                     Frisches Lärchengrün

Als sich der Blick auf die sich vor mir erstreckenden Berge öffnet, wird mir klar, wieviel Schnee hier noch liegt. Werde ich da überhaupt durchkommen?

                                              Noch viel Schnee...

Schließlich verlasse ich die Fahrwege wieder und schmale Steige führen mich entlang der Waldgrenze. Hier höre ich merkwürdige zischende Geräusche, die ich schon beispielsweise aus Schottland kenne: Balzende Birkhähne! Ich bekomme sie leider nicht zu Gesicht.
Eigentlich möchte ich einen schmalen Pfad hinab zum Königsee nehmen, aber ein Schild verrät, dass der Weg gesperrt ist. Erfahrungsgemäß kommt man trotz solcher Sperrungen meist weiter, aber in dem steilen Gelände zum See hin, ist es durchaus möglich, dass ein Weg so abgerutscht ist, dass man ihn tatsächlich nicht mehr benutzen kann, daher suche ich mir in meiner Kartenapp schnell eine Alternative.

                                   Ich muss einen Umweg nehmen

                                                Gämse an der Waldgrenze


                                     Auf schönen Steigen


In einen Talboden hinab stürzend, bewundere ich noch aus der Entfernung einen hohen Wasserfall, aber erst später erfahre ich, dass der Röthbachfall mit 470 Metern der Höchste Deutschlands ist!


               Am Talende stürzt der Röthbachfall hinab


Während meiner Mittagspause grast ein Rudel Steinböcke ganz in der Nähe, dass sich von mir nicht im Geringsten stören lässt. Diese majestätischen Tiere waren im 19. Jahrhundert durch Wilderei schon fast ausgerottet, ihre Bestände haben sich durch Wiedereinbürgerungsaktionen im ganzen Alpenraum davon aber erholt.

Das Wetter ist jetzt ziemlich unangenehm, kühl mit etwas Regen, der manchmal in Schneefall übergeht...


                              Die Steinböcke grasen in meiner Nähe 

Nachdem ich fast 2000 Meter erreicht habe, steige ich in das Landtal wieder ab. Hier wächst ein uriger Bergmischwald aus Tannen, Buchen, Ahornen und Fichten. Ein Lebensraum, der in den Alpen leider ziemlich selten geworden ist, wie ich auf meiner weiteren Wanderung feststellen sollte. 

Auf sehr steilen Steigen mit etlichen Sicherungen geht es runter Richtung Königsee. Den Röthbachfall kann ich jetzt auf Augenhöhe bewundern. Aber auch die zahlreichen kleinen Wildbäche, vom frischen Grün der Buchen eingefasst, sind sehr malerisch.


                              Der Röthbachfall stürzt herab


                                                        Wildbäche im Bergmischwald

Schließlich erreiche ich den Obersee, von dem aus es nicht mehr weit bis zum Königsee ist. Bisher waren mir nur wenig Wanderer begegnet, aber da heute Pfingstsonntag ist, und das Ende des Königsees mit dem Boot erreicht werden kann, ist hier ziemlich viel los...

                                                                         Obersee

Ich passsiere den Bootsanleger am Königsee und dann geht es auf dem sehr steilen Sagerecksteig wieder nach oben. Einige Leute, die mir entgegenkommen müssen sich ziemlich beeilen, um noch das letzte Schiff zu erwischen...
Der Königsee liegt lediglich auf 500 Meter Meereshöhe, daher muss ich noch einmal 1000 Höhenmeter überwinden, bevor das Gelände wieder abflacht. Eigentlich wollte ich es am ersten richtigen Wandertag ja langsam angehen lassen...

             Die Vogelnestwurz ist eine parasitisch lebende Orchidee

               Auf dem Sagerecksteig über dem Königsee

Im Bergwald entdecke ich am nächsten Morgen einige blühende Seidelbaststräucher. Deren leuchtende Blüten sind einige der ersten Frühjahrsboten und woanders schon seit zwei Monaten verblüht...

                                               Seidelbast

Langsam ziehen die Wolken ab und es wird ein schöner Tag.

                                            Morgen am Grünsee

An der Waldgrenze höre ich wieder Birkhähne und beobachte Murmeltiere, die nach dem langen Winterschlaf die Sonne genießen. Hier oben wachsen nur noch die niedrigen Latschenkiefern, Lärchen und die dunklen Zirbelkiefern, ein echter Gebirgsbaum, der sonst eher in den Zentralalpen vorkommt.

                          Lärchen, Latschen und im Hintergrund Zirben

                                                 Murmeltiere an ihrem Bau

Schließlich erreiche ich das malerisch über dem Pfuntensee gelegene Kärlinger Haus. Die große Alpenvereinshütte hat noch nicht geöffnet, daher habe ich die tolle Landschaft für mich allein.

                                               Pfuntensee



                                              Blick zurück zum Kärlinger Haus

Vom See steige ich weiter auf und gelange bald in den Schnee. Zunächst kann ich noch einer einsamen Spur folgen, bald verliert sich diese aber und ich bahne mir meinen Weg durch die weiche, weisse Masse. Anstrengend, aber machbar. Auch auf der Alpentour trage ich keine Stiefel, lediglich Trailrunningschuhe. Zwar sind diese natürlich rasch durchnässt, aber solange ich in Bewegung bleibe ist das kein Problem. 

                                  Im Schnee Richtung Grenze

                                                      Blick zurück

                                              Im Schnee weiter aufwärts

Ein großer Felsbrocken mit bayerischer und österreichischer Inschrift markiert die Grenze. Offiziell ist die Einreise nach Österreich erst ab 15. Juni gestattet, aber hier ist natürlich kein Grenzschützer zu sehen, tatsächlich begegnet mir heute niemand...

                                     Der Felsen markiert die Grenze

Es geht jetzt in die verschneite Weite des Steinernen Meeres. Mitunter sehe ich den Farbtupfer einer Wegmarkierung, aber im Grunde suche ich mir meinen Pfad selbst. Faszinierend, zu sehen, wie meine Fußstapfen als einzige den sonst unberührten Schnee durchfurchen.
Man könnte fast denken, irgendwo in der Arktis unterwegs zu sein. Toll!

                                      



                                           Im Steinernen Meer

Kaum zu glauben, es gibt hier sogar Leben: Ein einsamer Laufkäfer bewegt sich rasch über den Schnee!

                                                     Leben im Schnee

                                               Blick zurück ins Steinerne Meer

Schließlich erreiche ich die Buchauer Scharte, auf 2306 m. Eigentlich hatte ich vor, von hier auf einer hohen Route zum fast 3000 Meter hohen Hochkönig zu gehen. Da ich dabei sehr steiles, noch schneebedecktes Gelände durchqueren müsste, beschließe ich lieber abzusteigen.

                                                  Buchauer Scharte (2306 m)

                                                      Blick von der Buchauer Scharte

Der Abstieg ist sehr steil. Glücklicherweise sind einige Flächen bereits schneefrei. Über diese wähle ich meinen Weg, wo immer es geht, da ich natürlich vermeiden möchte, eine Lawine auszulösen...

                                  Steiler Abstieg von der Buchauer Scharte

Auf lediglich noch 1400 Meter schlage ich mein Lager auf und trockne Schlafsack, Schuhe und Socken in der Sonne.

                                            Ich trockne meine Sachen

Der nächste Tag bringt wunderschönes Wetter. Entfernt ragen die Gipfel der Hohen Tauern am Alpenhauptkamm auf. Da will ich rüber...

                                         Blick zu den Hohen Tauern

Ich steige weiter ab, zurück in den Frühling. Über mir zeichnet sich die Buchauer Scharte ab. Kaum zu glauben, dass ich da oben gestern noch im Winter war...

                                         Blick zurück zur Buchauer Scharte

Im Wald gibt es bald fast nur noch Fichten, immerhin wachsen auch einige junge Weißtannen, allerdings meist intensiv vom Wild verbissen...

                                        Junge Weißtanne mit frischen Trieben

Zwar laufe ich auch oft auf schmalen Pfaden, aber hier in Österreich scheinen die meisten Berghänge mit Fahrwegen erschlossen zu sein. 
An einer Stelle ist ein Weg gesperrt. Man hat hier einen Seilkran aufgebaut, an dem das eingeschlagene Holz wie an einer Seilbahn zu dem Fahrweg befördert wird. Mit dieser Technik können auch sehr steile Hänge bewirtschaftet werden, in Österreich oft im Kahlschlag, was es glücklicherweise in Deutschland schon seit 30 Jahren nicht mehr gibt. Da gerade offenbar Wartungsarbeiten durchgeführt werden, kann ich die Stelle ohne mich zu gefährden passieren...









                                                                          Seilkran im Einsatz

                                                                              Kahlschlag

Ein Stück weiter komme ich an eine Stelle, wo ein neuer Weg in den Hang geschoben wurde. Offenbar soll der Einschlag hier fortgesetzt werden. Es gibt hier schon reichlich Holzabfuhrwege in den Hängen, ist es wirklich nötig Neue zu bauen?


                                                                         Neu gebauter Weg

Wenn die Gegend auch nicht besonders wild wirkt, verkündet ein Schild, dass es hier wieder Wölfe gibt!

                                                                       Der Wolf ist zurück!

Nachdem ich Hinterthal passiert habe, entdecke ich Massen einer meiner Lieblingsblumen: Die Brillenschötchen mögen zwar nicht übermäßig attraktiv aussehen, dafür sind sie aber mit dem nussigen Geschmack von Blüten und Stengeln ziemlich lecker!

                   Das Brillenschötchen ist eine leckere Blume

Am Dienter Bach existiert der Weg der in meiner app verzeichnet ist, leider nicht mehr. Ich folge ein Stück weglos dem Gewässer um zu einem anderen, nahen Weg zu gelangen. Als sich das Tal zu einer Schlucht verengt, komme ich aber nicht mehr weiter und will über den losen Schotter raus klettern. Leider rutsche ich dabei ab, und lande im Wasser! Zwar ist sogar die Unterhose nass (Vom Wasser 😀) , aber da es ziemlich warm ist, stört mich das nicht weiter. Bald gelange ich auf einen schönen Pfad oberhalb des Baches, der ein Stück durch herrlichen Bergmischwald führt. Der würde in den tieferen Lagen unter 1400 m überall wachsen, wurde aber fast vollständig in reine Fichtenbestände umgewandelt, die bisher ertragreicher sind. Zwar habe ich bei meiner Wanderung in den Alpen fast keine durch Borkenkäfer abgestorbenen Bäume gesehen, wie das mittlerweile in Deutschland auf riesigen Flächen der Fall ist, aber wenn es durch die Klimaerwärmung auch hier heißer wird, kann sich das schnell ändern...

                                                          Pfad im Bergmischwald

Vor der Erichhütte gelange ich in eine malerische Almlandschaft. Zwar  war das auch ursprünglich Wald, aber so kann ich schöne Ausblicke und die Blumenpracht des Frühlings genießen.

                                  Almlandschaft bei der Erichhütte

Nachdem ich versteckt am Rand der Almen gezeltet habe, überquere ich am nächsten Morgen die Straße, wo eine interessant gestaltete Bank an die Nähe des Hochkönigs erinnert.

      Ich bin noch nicht müde genug, um auf der Königsbank Platz zu nehmen...

Ich folge ab jetzt dem Salzburger Almenweg, der in mittlerer Lage die Berge durchquert. 

                                                Blühender Schachtelhalm

Vom Schneeberg auf 1936 Meter eröffnet sich ein weiterer Blick auf die schon näher gerückten weißen Berge der Hohen Tauern.

                    Aussicht vom Schneeberg zu den Hohen Tauern


                                                 Blick zurück zum Hochkönig

Wald und Almen wechseln sich ab. An der Pracht der Blüten kann ich mich kaum satt sehen!

                                                       Enzian

Zwar laufe ich ja nicht auf meiner ursprünglich geplanten Route, aber der Almenweg, der hier über etliche niedrige Gipfel führt, bietet immer wieder tolle Aussichten in die noch verschneite, höher gelegene Bergwelt.

                            Auf dem Salzburger Almenweg

Am Nachmittag erreiche ich dann Lend, wo der kleine Laden leider schon geschlossen hat. Allerdings gibt es hier einen Bahnhof und so nehme ich einen Zug ins etwa 10 Kilometer entfernte Taxenbach, wo ich in einem Supermarkt für die nächste Etappe einkaufe und eine große Eisschale esse😊. Wie bestellt erwische ich einen Zug, der ohne Verzögerung zurück fährt und setze meinen Weg fort. Es dauert einige Zeit bis ich das Tal mit Autobahnlärm hinter mir gelassen habe, aber dann beobachte ich am Waldrand tatsächlich noch eine Auerhenne, die vor mir auffliegt!









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