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20.06.2014

Wie ich lernte nasse Füsse zu lieben 3 - 460 Kilometer durch die schottischen Highlands

Glücklicherweise hat der Regen am nächsten Morgen aufgehört, aber die Temperatur beträgt lediglich 6 Grad, und es ist ziemlich windig. Eigentlich hatte ich vor, meine Route weglos auf der anderen Talseite fortzusetzen, aber nur wenige Meter über dem Tal ist die Landschaft in dichten Nebel gehüllt. Daher beschließe ich zunächst der Straße weiter zu folgen. Meine Kleidung ist zwar ziemlich klamm, aber mein Regenzeug hat den gestrigen Fluten recht gut stand gehalten.
Nachdem ich das Cluanie Inn passiert habe, biege ich in das Tal An Caoran Mhor ein. Ich habe noch nie so viel Rotwild gesehen. An einer Stelle kann ich gleichzeitig über 300 Stück beobachten, die in Rudeln von etwas 60 Individuen die Talhänge bevölkern.



                                       Massen von Rotwild im An Caoran Tal



Der Fahrweg, dem ich für kurze Zeit folge, endet rasch, und ich folge weitgehend weglos  dem breiten, nassen Tal. Immer wieder gehen Schauer nieder und eine recht düstere Atmosphäre liegt über der Landschaft.


                                                       An Caoran Mhor

Schließlich erreiche ich das obere Glen Affric, wo ich zu der Jugendherberge Alltbeite über eine Hängebrücke gelange. Zwar habe ich nicht vor hier zu übernachten, aber mich interessieren die Umstände unter denen die Herberge an einem so einsamen Ort geführt wird.
Als ich in das einfache Gebäude eintrete, lädt mich die Wirtin Hanne gleich zu einer Tasse Tee ein. Hanne, ist das ein schottischer Name? Nein, natürlich nicht! Die Herbergsmutter stammt ursprünglich aus Dänemark, hat sich aber bereits vor langer Zeit in Schottland verliebt. Inzwischen wohnt sie in Inverness und betreut seit 14 Jahren in 3- Wochen Schichten die Herberge. Zwar sind gerade keine anderen Gäste anwesend, aber es kann hier auch mal durchaus lebhaft zugehen…
Lediglich ein Holzofen sorgt für Wärme und dient auch der Essenszubereitung. Für Gäste gekocht wird allerdings nicht, jeder muss sich selbst versorgen.

                                                      Die Jugendherberge Alltbeite

Nachdem ich mich etwas aufgewärmt habe, geht es wieder hinaus in den nasskalten Wind. Heute werden auch meine Füße nicht richtig warm, an Trocken werden ist nicht zu denken. Zwar gibt es auf der linken Talseite einen Weg, ich folge aber der rechten Seite weiter, und die ist ziemlich sumpfig...

                                                Das obere Glen Affric

Bei den Häusern von Achnamulloch steht ein Bulli einer Organisation, die den ursprünglichen Kiefernwald renaturieren will. Hanne hatte mir davon erzählt. Die Anpflanzungen können zum Schutz vor Schafen und Hirschen nur im Schutz von Zäunen gedeihen. Diese dicht zu halten ist eine Sisyphusarbeit…
Am Rande des Loch Affric zeigen sich die ersten knorrigen Kiefern und bald beginnt der ursprüngliche Kiefernwald für den das Glen Affric berühmt ist. Einst waren weite Teile Schottlands von diesem kaledonischen Kiefernwald bedeckt, aber große Bereiche davon wurden schon vor langer Zeit gerodet. Schafe und Rotwild sorgen dafür, dass der Wald sich auch nicht wieder ausbreiten kann.

                                    Lager im knorrigen Kiefernwald

Mit lediglich drei Grad ist es unangenehm feucht- kalt, zudem weht ein scharfer Wind. Daher ziehe ich es wieder einmal vor, in der Miniapsis meines Zeltes zu kochen.
Dennoch lasse ich es mir nicht nehmen, noch einen kleinen Abendspaziergang zu unternehmen. Kiefernwald und See, hinter dem zum Teil noch schneebedeckte Berge aufragen, sind auch bei dem ungemütlichen Wetter malerisch anzuschauen.


                                                     Abend am Loch Affric

Um in meinem nur 650 Gramm leichten Kunstfaserquilt der spanischen Ultraleichtmanufaktur As Tucas warm zu bleiben, ziehe ich all meine Sachen, nebst Mütze an…
Über Nacht klart es auf und es gibt leichten Frost.


                                                       Ein herrlicher Morgen bricht an

Als ich mein Zelt abbaue, höre ich merkwürdige "kullernde" Geräusche, die mir irgendwie bekannt vorkommen. Nachdem ich ein Stück gegangen bin, sehe ich auch die Urheber, und es wird mir klar, woher ich diese Geräusche kenne: Die Laute balzender Birkhähne habe ich bisher nur in Naturfilmen gehört. Aber hier, bei einer Felsrippe im Moor, tanzen tatsächlich drei kohlrabenschwarze Birkhähne, wobei sie kullernde und zischende Geräusche von sich geben. Natürlich möchte ich die seltenen Vögel fotografieren, immerhin habe ich ja ein 70-300 mm Teleobjektiv dabei. Leider nehmen mich die Hähne wohl bald wahr und verlassen fliegend die Arena. Da ich bezweifele, dass sie bald zurück kehren werden, setze ich meine Wanderung auf dem Fahrweg fort.
Obwohl die Sonne scheint, wird es erst ab Mittag spürbar wärmer. Je tiefer ich absteige um so üppiger wird der Wald. Neben den Kiefern wachsen hier auch viele Birken. Der Boden ist mit einer dichten Vegetation aus Moosen, Heidekraut und Heidelbeeren bedeckt. Der viele Regen hat halt auch seine Vorteile…

                                                           Üppige Bodenvegetation

An den Loch Affric, schließt sich im Tal ein weiterer See an, der größere Loch Beinn a Mheadhoinn.
Nach einer Pause schießt es mir siedend heiß in den Kopf: Ich habe GPS und Kompass liegen gelassen! Zum Glück bin ich gerade nicht weglos unterwegs, daher finde ich den Platz ohne Probleme wieder, muss aber ziemlich weit zurück laufen!
Bei dem schönen Wetter ergeben sich immer wieder herrliche Ausblicke über Wald, See und Berge.




                                                             Im Glen Affric


Am Nachmittag verlasse ich das Tal jedoch und steige weglos zu den Kämmen zwischen Affric Tal und Loch Mullardoch auf. Einige vom Wind gebeugte, kleine Kiefern versuchen die Berge zu erobern…

                                                                   Pionier

Die flachen Kämme sind von zahlreichen torfigen Gräben durchzogen, daher ist das Vorankommen nicht ganz so einfach, wie man von einem flüchtigen Blick auf die Landschaft erwartet…
Hier oben weht ein scharfer Wind, dennoch macht es mir große Freude, bei der guten Sicht langsam aufzusteigen.

                                                            Flache Kämme

Weiter oben wird der Rücken schmaler, und die Vegetation immer kärglicher. Ich passiere eine Reihe von Schneefeldern.


                               Karge Vegetation in höheren Lagen

Schließlich erreiche ich den 1053 Meter hohen Gipfel des Toll Creagach. Es ergeben sich tolle Aussichten über die noch ziemlich verschneiten Berge der Umgebung.


                                                             Toll Creagach

Es ist zwar schön hier oben, aber auch kalt und windgepeitscht, daher möchte ich mir für mein Lager ein etwas geschützteres Plätzchen weiter unten suchen. Doch zunächst begutachte ich meine weitere Route mit dem Fernglas. Obwohl die Grate weitgehend schneefrei sind, gibt es einige steile Kletterstellen, an die man sich ohne Steigeisen und Pickel besser nicht herantraut. Daher beschließe ich morgen die Hänge in den bereits schneefreien Lagen zu traversieren.

                                               Es liegt noch recht viel Schnee

Auf einer halbwegs flachen Stelle im Hang oberhalb des Loch Mullardoch schlage ich mein Zelt auf. Die Temperatur beträgt lediglich noch 6 Grad und es weht ein scharfer Wind, daher koche ich wieder einmal in der Apsis.

                                           Lager oberhalb von Loch Mullardoch

Ich bin bereits dabei einzunicken, als oranges Licht auf die Zelthülle fällt. Die Sonne versinkt spektakulär hinter den Bergen, ein Schauspiel, dass ich mir nicht entgehen lassen kann!

Spektakulärer Sonnenuntergang

Als ich um halb sieben Morgens wieder aufbreche, beträgt die Temperatur lediglich O Grad, so dass ich zunächst in langer Unterhose, dünnem Fleece und leichter Primaloftjacke loslaufe, doch bereits beim ersten Anstieg trage ich nur noch T-Shirt und darüber ein sehr leichtes Windshirt aus Nylon.
Es ist heute fast windstill und bald recht warm.

                                          Weglos oberhalb von Loch Mullardoch

Meist ist das Traversieren von Hängen schwieriger als ein Auf- oder Abstieg, aber ich komme gut zurecht, da die Abhänge meist nicht zu steil sind. Einige Male muss ich zu in Täler ab- und dann wieder aufsteigen.

                                                Abstiege in einige Täler

Einer der Bäche ist so breit, dass ich ihn durchwaten muss. Dafür, dass meine Füße blasenfrei bleiben, ist es sehr wichtig, dass ich sie ab und zu an der Luft trocknen lasse.

                                Das Lüften der Füße ist wichtig zur Blasenprävention

Am Westende des Sees gelange ich auf einen Weg, der mich bis ins Srath Duilleach Tal führt.

                                   Das Westufer von Loch Mullardoch

Beim Abstieg zu dem einzeln gelegenen Haus der Iron Lodge, beginnt es stetig, aber zunächst schwach zu nieseln. Weder an der Iron Lodge noch in Carnach, einem weiteren einzelnem Gehöft ist ein Mensch zu sehen. Statt dessen wimmelt es im Tal mal wieder von Rotwild…
Auf der Höhe von Carnach steige ich in einem Bachtal steil aufwärts Richtung Norden. Zwar ist hier auf der Karte "Killilan Forest" eingezeichnet, aber von Wald gibt es keine Spur.
Als die Schlucht flacher wird, schlage ich mein Zelt auf, nicht zu früh, denn mittlerweile hat der Regen an Stärke gewonnen.


                                                   Im "Killilan Forest"

Bei meinem Aufbruch am nächsten Morgen ist es mit 8 Grad recht mild und der Niederschlag hat zunächst aufgehört…Aber nicht für lange, bald prasselt der Regen immer stärker auf mich ein, und soll heute auch nicht mehr aufhören. Ein Stück oberhalb meines Nachlagers ist der Nebel so dicht, dass ich keine Details in der Landschaft ausmachen kann. Ich bin froh, dass ich hier mit GPS und Kompass navigieren kann. Dabei schalte ich das Satellitennavigationsgerät nur gelegentlich ein, um zu schauen, ob ich noch auf Kurs bin, ansonsten halte ich die Richtung mit dem Kompass. Meine Route hatte ich mir zu Hause am Computer in Google Earth erstellt und auf das GPS übertragen. Eine Karte von Schottland habe ich allerdings nicht in dem Gerät.
Das rauhe, mit zahlreichen Felsblöcken versehene Gelände macht das Vorankommen auch nicht gerade leichter. Dumm ist es als ich in meiner Richtung auf einen sehr steilen Hang treffe…
Glücklicherweise reisst der Nebel kurz auf, und ich kann in der Ferne unterhalb von meinem Standort den River Ling ausmachen, der quer zu meiner Route liegt.
Heute bin ich froh, dass ich lange Überhandschuhe dabei habe, die eine ganze Zeit lang verhindern, dass die Nässe durch meine Jackenärmel dringt. Schließlich sind aber auch die eigentlich wasserdichten Handschuhe völlig durchweicht…
Nach der Durchwatung des Ling folge ich dem Black Water weiter aufwärts. Das hohe Heidekraut hier  durchnässt mich zusätzlich.
Eigentlich laufe ich ja lieber weglos, heute aber bin ich froh, als ich an einer Brücke wieder auf den Cape Wrath Trail stoße, der hier einem Fahrweg folgt. Normalerweise wäre es sinnvoll unter diesen Bedingungen bei Zeiten das Zelt aufzuschlagen, aber ich habe mir vorgenommen nach Strathcarron zu gehen, wo es ein Hotel gibt. Ich hoffe, dass ich dort ins Internet kann, was für mich gerade wichtig wäre…
Eigentlich sind es nur noch fünf Kilometer bis Strathcarron, aber ich verpasse eine Abzweigung, daher mache ich einen riesigen Umweg, der mich zu den Gärten von Attadale führt. Zu meiner Schande muss ich gestehen, dass ich gar nicht mehr auf meine in eine wasserdichte Hülle verpackte Karte geschaut hatte. So bleibt mir nichts anderes übrig, als der Straße am Loch Carron entlang zu folgen, doch schließlich habe ich das Hotel erreicht. Ein Angestellter sagt, dass mich der Chef bestimmt nachher ins Internet lässt, und so checke ich ein, und genieße erst mal eine warme Dusche…
Zwar darf ich dann doch nicht den Internetcomputer des Hotels benutzen, dafür findet in dem Pub, der zu dem Etablissement gehört eine spontane Musiksession statt. Gesang, Gitarre, Klavier, Saxophon und Akkordeon werden von jungen Leuten gespielt, die einst hier wohnten und an diesem langen Wochenende mal wieder zu Hause sind. Der Kellner bedient natürlich stilgerecht im Kilt...









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