Ein junger Mann ohne Rucksack kommt mir entgegen und bald gelange ich in ein weitläufiges Almgelände.
Eine Kuh hat es tatsächlich geschafft, einen Zaunpfahl aus Plastik zu verschlucken. Es ist etwas mühsam, aber irgendwann ist es mir tatsächlich gelungen, sie von dem Gegenstand zu befreien.
Schließlich geht es durch recht dichtes, nasses Grünerlengebüsch steil empor zum Colle del Bondormir auf 2652 Meter Höhe.
Es ist neblig und kühl, nur kurz heben sich die Schwaden und erlauben einen Blick zu einem schroffen Bergmassiv voraus.
Hier oben ist es schon deutlich herbstlich, wie gelbe Blätter an den niedrigen Weiden zeigen.
Ein langer Abstieg zunächst im Hang und dann auf Kuhpfaden führt mich in das Tal der Varaita di Bellino.
Das Sträßlein im Tal endet bei dem sehr verlassen wirkendem Weiler St. Anna. Der Nebel unterstreicht noch die Einsamkeit dieser abgeschiedenen Gegend.
Es setzt jetzt Regen ein, der mich für eine Weile unter dem Vordach einer Hütte auf dem Pian Ceiol Unterschlupf suchen lässt.
Irgendwann laufe ich noch ein Stück weiter, schlage aber schließlich mein Lager im Regen oberhalb der Varaita di Bellino auf.
Am Morgen hängt der Nebel noch über der grandiosen, tiefen Bachschlucht oberhalb der ich auf einem Pfad aufsteige.
Schließlich flacht das Terrain ab und ich laufe durch eine weite Graslandschaft zum Colle di Bellino auf 2804 Meter. Seit gestern laufe ich meistens mal wieder auf der GTA.
Vom Pass ergibt sich ein grandioses Panorama mit sich hebendem Nebel, schroffen Bergen und blauem Herbsthimmel.
Im Abstieg verliere ich meine eigentliche Route, aber es gibt hier so viele Wege, dass das kein Problem ist. Schließlich gelange ich ins Tal auf einen Fahrweg, wo heute, am Sonntag, einige Autos abgestellt sind.
Ich folge ein Stück weit dem Fahrweg, dann geht es auf einem undeutlichen, mit Cairns markiertem Pfad entlang von steilen Klippen aufwärts.
Es hat sich jetzt wieder zugezogen und Regen setzt ein, der zunehmend stärker wird. Glücklicherweise gelange ich zu einer Mulde, wo ich mein Zelt aufschlagen kann, um das schlechte Wetter auszusitzen. Tatsächlich kann ich nach einer guten Stunde das Zelt abbauen und meinen Weg fortsetzten.
Der weitere Aufstieg zum Forcellina Pass auf 2800 Meter ist ziemlich einfach.
Der Abstieg im steilen Schotter ist dafür viel schwerer, und ich bin froh über die zur Sicherung gespannten Stahlketten.
Schließlich quere ich im Geröll zu einem namenlosen Pass.
Ein Stück unterhalb schlage ich auf einem Grasbuckel mein Zelt auf. Der Herbst macht sich jetzt bemerkbar: Zelt und Schlafsack trocknen kaum noch, das Solarpanel funktioniert nicht mehr und ich habe ständig nasse, kalte Füsse....
Nichts desto trotz war es ein schöner Wandertag!
Bereits nach kurzem Anstieg erreiche ich am nächsten Morgen den Col del Sautron, auf der Grenze nach Frankreich. Ab diesem 2689 Meter hohem Pass folge ich lange Zeit dem Grat bis zum 2838 Meter hohen Mont Viraysse. Dabei erlebe ich fantastische Stimmungen, wie die Bergspitzen aus dem Nebel erscheinen und die Sonne sich langsam durchsetzt.
Col Sautron (2687 m)
Der Grat fällt schließlich ab zum Colle Aguya auf 2560 Meter. Hier wächst bereits recht viel Gras, so dass ich Gämsen und zahlreiche Murmeltiere beobachte.
Manche der großen Nager haben Gras im Maul, mit dem sie wohl ihre Winterwohnung gemütlich auspolstern.
Der Murmeltierbau wird gepolstert
Ich wandere weiter durch die tolle, einsame Berglandschaft unter dem Grat über den Col des Monges (2542 m) zum Col de la Gipière de l'Oronaye ( 2482 m).
Hier oben gibt es jetzt kein Vieh mehr, aber früher im Jahr haben hier Schafe geweidet. Tatsächlich sehe ich bei der Bergerie de l' Oronaye auch noch einen Schäfer mit seinem Hund.
Die weiten Grasbecken hier erinnern mich tatsächlich ein wenig an die Tundralandschaften Nordskandinaviens.
Am Lac de l'Oronaye mache ich eine längere Pause, um meine Ausrüstung endlich mal wieder richtig zu trocknen.
Hinter dem See erfolgt der flache Anstieg zum Col du Ruburant auf 2502 Meter. Hier gelange ich wieder nach Italien.
Der Abstieg führt mich dann an den drei großen Ruburant Seen vorbei.
Leider verschlechtert sich das Wetter jetzt wieder. Nebel kommt auf und es beginnt zu regnen. Irgendwann baue ich mein Zelt auf, in der Hoffnung, dass das Schlechtwetter vorbei zieht. Danach sieht es aber nicht aus, so das ich schließlich weiter gehe und im strömenden Regen das kleine Dorf Argentera erreiche. Zwar sehe ich hier keinen Menschen, aber immerhin ist die Kirche offen. Dort suche ich Schutz und nutze die Zeit um meine Powerbank zu laden. Da ich ja am Ende der letzten Etappe keine Gelegenheit hatte ans Stromnetz zu kommen und mein Solarmodul nicht mehr funktioniert, ist es wichtig, hier mal wieder etwas "Strom zu zapfen". Schließlich laufen Navigation und Fotografie ja weitgehend über mein Smartphone, daher ist das ziemlich wichtig.
Nach einer knappen Stunde lässt der Regen nach und ich laufe weiter. Im nassen Lärchenwald oberhalb des Dorfes haben sich schon einige Ahorne zitronengelb verfärbt.
Schließlich gelange ich wieder ins Tal der Stura di Demonte. Ich treffe hier an einer Freifläche auf eine Schafherde und mache einen großen Umweg um keine unangenehme Begegnung mit den Herdenschutzhunden zu riskieren, die bereits laut bellen. Der Schäfer der irgendwann auftaucht, grüßt nicht einmal...
Ich folge dem Tal weiter aufwärts und schlage auf etwa 1950 Meter mein Lager auf. Es ist neblig und feucht, dafür auf dieser Höhe recht mild.
Am Morgen wandere ich zunächst im Tal weiter aufwärts und dann durch eine weite Graslandschaft hoch zum Col de Puriac auf 2506 Meter.
Der Pass stellt die Grenze nach Frankreich und den Beginn des dortigen Mercantour Nationalparks dar. Mercantour ist etwa 30 Jahre alt und damit der Jüngste der 9 französischen Nationalparks. Mit etwa 700 qkm ist er etwa 7 mal größer, als die meisten deutschen Nationalparks und erstreckt sich über beeindruckende 120 Kilometer. Ein Schild verkündet die Regeln im Park. Zwar ist auch hier das Zelten verboten, aber ein Biwak, das heißt eine einmalige Übernachtung im Zelt zwischen 19 Uhr abends und 9 Uhr morgens ist ausdrücklich erlaubt. Eine sehr schöne Regelung, die einerseits störende längere Campingaufenthalte verbietet, aber andererseits Wanderern erlaubt, die Freiheit der Berge sowohl bei Tag als auch bei Nacht zu erleben.
Ich steige in ein wasserreiches Grasbecken ab. Es gibt etliche Pfade, die wohl hauptsächlich von den Schäfern genutzt werden, daher folge ich nicht meiner eigentlich geplanten Route.
Wieder einmal beginnt es zu regnen, so dass ich mein Nylonunterkunft aufbaue. Irgendwann laufe ich weiter, bis der Regen wieder stärker wird, und ich an einem See das Zelt ein zweites Mal aufschlage.
Ich höre das Mähen von Schafen und erblicke eine Herde von etwa 30 Mufflons die in der Nähe über den Hang streifen. Sehr eindrucksvoll!
Erst um 16:45 breche ich wieder auf. Der Pfad ist undeutlich, aber gut mit Cairns markiert und führt durch eine wilde Granitlandschaft mit Seen und Blockfeldern hoch zum Pas de Morgan auf 2714 Meter.
Ab dem Pass folge ich der Gratlinie weiter zum Col de Fer auf 2504 Meter. Ausser den Mufflons beobachte ich hier auch Gämsen und einen jungen Steinbock. Mercantour scheint ein weiteres Wildparadies zu sein!
Hinter dem Pass gelange ich wieder auf einen guten Weg, der Traversée de Mercantour, welcher mich zum Collet de Tortisse auf 2592 Meter führt.
Hinter dem Pass geht es abwärts und ich passiere den tollen Naturbogen Arc de Tortisse.
Unterhalb liegt der Lac de Vens, an dem das gleichnamige Refuge steht.
Zu meiner Überraschung ist jetzt, am 22.9 noch jemand an der Hütte. Die junge Frau erzählt mir, dass heute der letzte Tag sei, an dem das Refuge geöffnet hat. Allerdings will sie sich auf keinen Rabatt einlassen und die Hütte verfügt auch über keinen Stromanschluss, an dem ich meine Powerbank laden könnte.
Daher laufe ich weiter in einer Schlucht und baue schließlich mein Zelt auf.
Der nächste Morgen bringt schönes Wetter mit strahlend blauem Himmel. Am Bach aufwärts gelange ich zum Lac de Fourchas und weiter zum Lac de la Montagnette. Die Granitlandschaft mit ihren vielen Seen erinnert mich stark an die Sierra Nevada.
Schließlich führt mich ein steiler, mit Cairns markierter Anstieg zum Passo de Vens auf 2714 Meter.
Anstieg zum Passo de Vens
Hier oben auf der Grenze zu Italien steht ein Betongebäude in dessen Gästebuch fast nur französische Einträge zu finden sind.
Vom Pass steige ich nicht ab, sondern traversiere ein Stück im Hang und steige dann steil hoch zur Breche Borgonio auf etwa 2900 Meter.
Weit schweift der Blick zurück zum Monviso, den ich vor 6 Tagen passiert hatte.
Anschließend steige ich über Geröll und einen grasigen Grat ab zu den Lacs de Tenibre, wo ich eine längere Trockenpause in der warmen Herbstsonne einlege. Zum ersten Mal seit 5 Tagen ist es angenehm warm!
In der Umgebung des Sees beobachte ich einige Mufflons, darunter 4 Widder und ein Weibchenrudeln mit Lämmern.
Hinter den Seen beginnt der lange Aufstieg zum 3031 Meter hohen Mont Tenibre. Auch als ich den Gipfel bereits sehen kann, ist es noch ziemlich weit.
Einige Granitschrofen sind zu bewältigen, aber der Aufstieg ist nicht schwierig.
Schließlich erreiche ich den von zwei Kreuzen geschmückten Gipfelgrat des felsigen Berges.
Leider ist es jetzt zunehmend neblig, als ich mich roten Punkten folgend auf dem Grat weiter bewege. Spannend, aber auch unheimlich, da ich zunehmend weniger sehe...
Zwei Steinböcke tauchen wie Berggeister aus dem Nebel auf.
Irgendwann schaue ich aufs GPS und stelle fest, dass ich offenbar den Pfad zum Pas de Rabuons verfehlt habe. Trotz des Nebels wirkt das Terrain auf mich nicht zu steil, daher schlage ich eine direkte Route zum Lac Chaffour ein. Zunächst komme ich gut voran, aber dann fällt das Gelände steil ab, und ich bin nicht sicher, ob ich die Stufe bewältigen kann, was mir dann aber ohne Probleme gelingt. Zu allem Überfluss beginnt es jetzt auch wieder zu regnen und es gibt weder eine Möglichkeit mein Zelt aufzubauen, noch mich sonst unterzustellen. Schließlich erreiche ich dann aber doch den See, wo ich mein Zelt aufbaue, und darauf hoffe, dass sich das Wetter bessert. Tatsächlich ziehen bereits nach einer Stunde die Wolken ab, und der blaue Himmel ist wieder da!
Jetzt im Abendlicht sieht die frisch gewaschene Landschaft besonders atemberaubend aus.
Oberhalb des Stausees Lac de Rabuons gelange ich zurück auf meine Route, die jetzt auf deutlichen Pfaden verläuft.
Am Seeufer entlang gelange ich zum Refuge, das aber schon geschlossen hat. Allerdings ist ein Winterraum geöffnet.
Auch heute beobachte ich viele Tiere im Nationalpark, neben den Mufflons und Steinböcken auch Murmeltiere, Gämsen, Steinadler, Gänsegeier und sechs bereits komplett weiße Schneehühner.
Vom Refuge auf ca. 2500 Meter steige ich wieder auf bis auf etwa 2700 Meter. Dabei eröffnen sich mir noch herrliche Ausblicke über den See und die Berge in der Abendsonne.
Schließlich steige ich wieder in ein Tal ab, wo ich hoffe Wasser zu finden, denn dummerweise hatte ich vom See nichts mitgenommen. Leider ist das Tal vollkommen trocken, und ich muss ohne Wasser lagern.
Glücklicherweise habe ich noch genug Schokolade, daher bestehen sowohl Abendessen als auch Frühstück aus zwei Tafeln der braunen Masse.
Zum Sonnenaufgang färben sich die Wolken wunderbar violett.
Entlang trockener Hänge laufe ich am nächsten Morgen weiter oberhalb des Tinée Tals, aus dem die Hirsche rufen, zum Pas de Colle Longue auf 2553 Meter. Ich habe fast nur noch Polenta und kaum noch Strom, daher beschließe ich nach Isola abzusteigen.
Unglücklicherweise existiert der Weg in meiner Karte nicht mehr, daher steige ich weglos in zunächst recht steilem Blockgelände ab.
Ich beobachte gleichzeitig Muffelwild und Gämsen, sowie einige Gänsegeier.
Noch ziemlich lange folge ich den Grashängen bergab, bis ich einen alten Wegweiser erblicke, ab dem ich einem undeutlichen Pfad folgen kann.
An der Waldgrenze finde ich einen frisch abgenagten Rothirschlauf. Wölfe?
Der Pfad wird zunehmend besser und nach langem Abstieg erreiche ich gegen 15 Uhr Isola. Im alten Dorfkern sehe ich ein Schild das auf eine Herberge hinweist, aber offenbar existiert die Unterkunft nicht mehr, und das Hotel hat geschlossen. Allerdings gibt es noch eine Herberge die geöffnet hat. Zunächst heißt es, dass es nur noch ein Bett in einem Schlafsaal für 30 Leute gibt, nicht gerade das wonach ich mich sehne...
Offenbar nutzen viele organisierte Canyoninggruppen das Haus.
Zwar wäre ich auf dem Campingplatz etwas ausserhalb der einzige Gast, aber die 27 Euro die man mir dort abnehmen will, halte ich gelinde gesagt für Wucher, daher gehe ich zurück zur Herberge und erhalte tatsächlich ein Einzelzimmer für nur 17 Euro! Draussen prasselt bald wieder einmal der Regen, aber ich habe es ja warm und trocken...
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