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05.11.2020

Alpentraverse 2020 - 4 Monate von Berchtesgaden zum französischen Mittelmeer 6. Sappada - Cimolais

 




Auf dieser Etappe muss ich erfahren, dass der Dolomitenhöhenweg 6 teilweise nicht mehr begehbar ist...

Hinter Sappada laufe ich auf einem Forstweg das Enghe Tal aufwärts. Hier hat Orkan Sabine schwer gewütet, auf großer Fläche sind alle Fichten umgefallen. Schwere Erntemaschinen haben gerade erst das Holz aufgearbeitet und eine Art Mondlandschaft hinterlassen. Vor allem zum Bach hin sind tiefe Rinnen entstanden, die sicher bald durch heftige Regenfälle noch weiter ausgewaschen werden. Durch die Massenvermehrung der Borkenkäfer in einem großen Teil von Europa waren die Holzpreise auch schon vor dem Sturm Sabine dramatisch zurückgegangen, daher ist wahrscheinlich finanziell bei dieser "Aufräumaktion" nichts herausgekommen. Dagegen ist durch die Befahrung des kompletten Geländes ein schwerer ökologischer Schaden entstanden. Auch für die Entstehung des neuen Waldes wäre es besser gewesen, das Holz einfach liegen zu lassen...

                   Windwurf durch Orkan Sabine


             Schwere ökologische Schäden durch die "Aufräumaktion" 

 
             Kein Panzer sondern eine Holzerntemaschine   

Schließlich gelange ich auf einen Pfad und verlasse das Tal, wobei ich einen hübschen Wasserfall passiere.

              Aufstieg aus dem Enghe Tal

Obwohl es mittlerweile schon Mitte Juni ist, fühlt es sich hier noch nach Frühling an. Die Weiden haben zwar gerade ihre Blätter entfaltet, aber blühen immer noch, was in tieferen Lagen bereits im März geschieht...

                              Weidenkätzchen

Ich überschreite den Passo Ebel auf knapp 2000 Meter. Es ist hier kühl, neblig und feucht. Als ich mein Lager aufgeschlagen habe, regnet es noch lange.

Am nächsten Morgen wandere ich bald wieder auf Fahrwegen den Rio Mimoais aufwärts. Stellenweise ist der Wald hier von großen Almwiesen  unterbrochen, wo ich bei dem jetzt wieder schönen Wetter einige Ausblicke auf die majestätischen Bergmassive der Dolomiten erhalte.

                      Große Almwiesen lockern den Wald auf

Im Wald gelange ich dann an das erste Schild, das überhaupt auf den Dolomitenhöhenweg 6 hinweist. Hier wurde eine Umleitung eingerichtet. Da ich mir vorstellen kann, dass die eigentliche Route durch umgestürzte Bäume blockiert ist, folge ich dem Wegweiser.

                                        Umleitung

Allerdings entfernt sich der frisch befestigte Forstweg, dem ich jetzt folge, zunehmend von der Route des Nr. 6, die ich auf meiner GPS-Karte im Smartphone gespeichert habe, und führt mich schließlich zur Straße SP 19.

                                           Neu gebauter Forstweg

Es gibt hier keine Umleitungsschilder mehr, daher stelle ich mir eine eigene Route zusammen, die mich zurück zum Dolomitenhöhenweg 6 bringen soll. Der Pfad 208 zum Col Marende wurde wohl schon lange nicht mehr benutzt, ist aber immer noch recht gut zu erkennen. 
Nachdem der Morgen auf den Forstwegen recht langweilig war, laufe ich jetzt wieder durch eine wunderschöne, einsame Landschaft. Zwar gibt es einige rot- weiße Markierungen, aber ich habe den Eindruck, dass sich nur selten Wanderer in diese Gegend verirren. Ich gelange zunächst zu einem niedrigen Pass, traversiere am Hang entlang und steige dann im groben Schotter mit einigen Schneefeldern zu einem höheren Einschnitt. Anschließend geht es wieder abwärts in ein Hochtal mit frischem Lärchengrün. 



                                                      Frisches Lärchengrün

                                          Traverse im Schotterhang

                                            Hochtal


                                                                    


                                                                    Wilde, einsame Landschaft

Leider verschlechtert sich das Wetter mal wieder und kurz nach meiner Mittagsrast geht schon das erste Schauer nieder. Ein kurzer Anstieg führt mich zur Forcella Tartoi (2006m), von wo ich in das Tal des Rio Purone absteige.

                                              Das Wetter verschlechtert sich...

Für den Weg 207 dem ich weiter folgen will, gibt es nur einen ausgekratzten Wegweiser, ich bin gespannt, was mich erwartet...
Der Pfad verläuft im Hang hoch über der Schlucht des Bachs. Etliche Fichten liegen am Boden, aber zunächst komme ich ganz gut voran. 
Bald liegt dann aber ein regelrechtes Baummikado am Boden, natürlich ist von dem Pfad nichts mehr zu erkennen. Zu allem Überfluss regnet es jetzt auch noch ständig, so dass ich höllisch aufpassen muss, auf den nassen Baumstämmen nicht ständig auszurutschen. Na ja, dann ist der Hang auch noch stellenweise ziemlich steil, mit tief eingeschnittenen Gräben, in die ich immer wieder rein- und rausklettern muss. Glücklicherweise stoße ich manchmal auf ein Stück Pfad, da ich ansonsten befürchte, irgendwann in einer Sackgasse an einem Felshang zu enden. Diese Mischung aus Balancieren, Klettern und Kriechen ist bestimmt eine gute Fitnessübung, aber ich könnte gerne darauf verzichten...
Während es besonders stark regnet, gewährt mir eine stehen gebliebene Fichte mit ihrem dichten Nadelkleid zeitweise guten Schutz, dann geht es aber wieder in die Baumverhaue, wo ich mich Meter für Meter voran kämpfe.

                                         Mühsames Vorankommen 

Da es mir hier im Hang zu schwierig und gefährlich ist, versuche ich mein Glück, indem ich über einen Rücken ins Tal absteige, in der Hoffnung, dass es dort weniger Windwurf gibt, und ich besser vorankomme. Tatsächlich stoße ich in Bachnähe auf einen Pfad. Dieser verschwindet zwar bald wieder, aber hier wachsen überwiegend Buchen, die nicht vom Sturm umgeworfen wurden, daher komme ich besser voran. Schließlich stoße ich im Hang auf einen deutlicheren Pfad und finde eine halbwegs ebene Fläche, auf der ich im Regen mein Lager aufschlage. Ich bin sehr froh, aus dem Windwurfgebiet raus zu sein...
Am nächsten Morgen gelange ich bald an eine Kreuzung und denke, wieder auf dem Dolomitenhöhenweg 6 zu sein. Ein schmaler Pfad führt durch tollen, urwüchsigen Mischwald aus Buchen, Fichten und Lärchen. Vor allem die offenen Buchenbestände haben es mir angetan. An vielen Stellen blüht noch der Seidelbast, die farblose Vogelnestwurz Orchidee gedeiht hier und besonders freue ich mich über die knallgelben Farbtupfer des blühenden Goldregens. Mit diesem Strauch, den man bei uns als Zierpflanze im Garten findet, hatte ich überhaupt nicht gerechnet!

                                           Tolle Buchenwälder

                                    Vogelnestwurz

                     Der Goldregen setzt unerwartete Farbtupfer

                                              Goldregen

Als ich an einige Häuser gelange, schaue ich auf die GPS- Karte des Smartphones und muss feststellen, dass ich in die falsche Richtung gelaufen bin! Nach kurzem Überlegen entscheide ich mich dafür, nicht zurück zu gehen, sondern über das Giaf Tal zum Nr. 6 zu laufen. 
Für zwei Kilometer folge ich der Straße am Tagliamento und biege dann in das Nebental ab. Informationstafeln verraten, dass ich mich hier im Naturpark der Friulanischen Alpen befinde.

                                 Informationstafel des Naturparks

Als ich in die Latschenzone an der Waldgrenze gelange, entdecke ich echte Kostbarkeiten: Frauenschuhorchideen! Diese schon fast tropisch anmutende Blume, ist die größte Orchidee Europas und ziemlich selten. 
Aber heute passiere ich noch einige weitere Standorte dieses wunderschönen Gewächses.

                      
                            


                                          
                                             Frauenschuh

Am Rifugio Giaf gelange ich wieder auf den Dolomitenhöhenweg Nr. 6. Von hier erfolgt ein langer Aufstieg zur Forcella da Cason auf 2250 Meter. Teilweise ist das Gelände sehr steil mit Schotter und einigen Schrofen, die etwas Klettern erfordern. Hier fließt mal wieder etwas Adrenalin durch meine Adern!


                                       Aufstieg zur Forcella da Cason (2250)

Auf der anderen Seite geht es dann nur ein kleines Stück viel sanfter bergab. Ein Muster was offenbar typisch für die Dolomitenpässe ist: Eine sehr schroffe Seite, die Andere viel sanfter.

                                            Die sanfte Seite der Forcella Cason

In der Nähe ragt der nur etwa 100 Meter höhere Felsturm Il Torrione auf.


                                                       Il Torrione (2355 m)

Die Mittagspause nutze ich, um mal wieder meine Sachen zu trocknen, der nächste Regen kommt bestimmt bald...

                               Trocknungspause

Ein relativ kurzer Abstieg führt mich dann zu der knallroten, traumhaft gelegenen kleinen Biwakschachtel Antonio Marchi e Renzo Granzotto.
Das Innere des metallenen Biwaks ist erstaunlich gemütlich und es wurden sogar einige Vorräte zurück gelassen. Einige Kekse nehme ich mit, aber wer mich kennt, wird es kaum glauben: Der noch geschlossene Karton Wein bleibt unberührt, für Wanderer, die es noch nötiger haben 😏

                                       Wer entdeckt die Biwakschachtel?

Unmittelbar hinter dem Biwak sehe ich schon die Aufstiegsroute zur Forcella del Leone, dem nächsten Pass, den ich ohne Probleme erklimme.

                     Aufstieg zur Forcella del Leone (2271 m)

Kaum habe ich die ersten Matten hinter dem Pass erreicht, beginnt es zu schütten, aber ich habe gerade rechtzeitig mein Zelt aufgebaut.
Nach dem Regen kommt die Sonne durch und lässt den Dunst aus dem Tal aufsteigen, der die Berggipfel verhüllt.


                                      Nach dem Regen

Später unternehme ich noch einen Spaziergang talabwärts und stoße auf ein Schild, dass verrät, dass der nächste Abschnitt des Nr. 6 nicht mehr intakt ist. Egal, es gibt eine Alternative...

           Warum der Weg wohl nicht mehr benutzbar ist?

                               Blühende Latschenkiefer

Als ich zurück beim Zelt bin, wird es schon langsam dunkel.

                                         Abendstimmung


Am nächsten Morgen erwartet mich herrliches Wetter und ich wandere talabwärts zum Rifugio Pordenone, auf 1290 Meter, wo ich wieder auf den Dolomitenhöhenweg 6 stoße.

                           Talabwärts zum Rifugio Pordenone

Der nette Wirt fragt mich, ob ich ernsthaft auf dem Nr. 6 weiterlaufen will, da der sehr schwierig sei. Als er merkt, dass ich es ernst meine, nimmt er sich Zeit und erklärt mir anhand einer Karte  die schwierigsten Stellen. 

                             Die netten Wirte vom Rifugio Pordenone

                                          Am Rifugio Pordenone

Als ich weiterlaufe, folge ich zunächst einem Geröllbett, dann geht es auf einem schönen Pfad durch den Buchenwald zu einem Aussichtspunkt mit Blick auf eine markante Felsnadel. In den Wald sind sogar einige Eiben eingestreut. Diese niedrigen Nadelbäume kennen wir heute fast nur noch von Friedhöfen, da sie im Wald mehr oder weniger ausgestorben sind. Ihr zähes Holz wurde bevorzugt für Langbögen verwendet, eine beliebte Waffe im Mittelalter. Da sie sehr langsam nachwächst, verschwand die Eibe schon zu der Zeit aus den meisten Wäldern.

                                        Niedrige Eiben im Buchenwald

                                    Markante Felsnadel

Hinter dem Aussichtspunkt ist der Weg kaum noch zu erkennen und wurde sichtlich schon seit langem nicht mehr benutzt. Immerhin finde ich ab und zu noch eine rot- weiße Markierung. 
Obwohl ich noch nicht sehr weit aufgestiegen bin, merke ich schon bald, was einen Großteil der Schwierigkeit dieser Route ausmacht. An tief eingeschnittenen Schluchten wurde der Pfad oft komplett weggespült und so muss ich mich im losen Schotter um die abschüssigen Stellen herum tasten. Sehr spannend und nicht ungefährlich! An einer Stelle lasse ich mich auf den Hosenboden nieder und rutsche im Schotter herab, was nicht ohne Schürfwunden und Löcher in der Kleidung abgeht, mir aber zumindest einen Sturz erspart. An einem schroffen Felsabsturz muss ich eine Steilstelle mit einem Sprung zum nächsten Absatz überwinden. Da klopft das Herz!


                Hang mit teilweise verschüttetem Pfad


                                            Blick zurück auf einen schwierigen Abschnitt

                                         Sehr schwierige Stelle

Irgendwann habe ich den Abschnitt am Hang mit den steilen Einschnitten überwunden, und steige hoch zu einem bewaldeten Kamm. Eine wilde Landschaft, in die wahrscheinlich nur ganz selten ein Mensch kommt!
Von dem offenen Latschenkamm eröffnet sich der Blick auf die weitere Route bis zum Bivacco Gervasutti. Leider verschlechtert sich das Wetter auch zunehmend...

    Der Weg führt am Schotterhang entlang zur Scharte gegenüber

Ich folge dem Kamm ein Stück weit und traversiere dann den Hang oberhalb des San Lorenzo Tals. Zunächst komme ich ganz gut vorwärts, dann muss ich aber die nächsten kniffligen Stellen überwinden. Es gibt hier keinen Handyempfang, aber für den Fall, dass ich gerettet werden muss, habe ich einen kleinen Satelliten Messenger dabei. Irgendwann sehe ich die Schlüsselstelle: Hoch im Hang kann ich den Pfad ausmachen, aber davor wurde ein großer Teil des Weges im sehr steilen, losen Schotter weggespült. Ich kann mir nicht vorstellen, wie man dort ohne großes Risiko durchkommen kann, und trete schweren Herzens den Rückzug an, wohl wissend, dass ich die ganzen kniffligen Stellen  noch einmal überwinden muss! 

                                Großflächig weggespülter Pfad

Zurück im Wald jenseits des Kamms beginnt es zu donnern, gerade rechtzeitig als es zu schütten beginnt, steht auch schon mein Zelt!
Als das Gewitter abgezogen ist, unternehme ich noch einen kleinen Abendspaziergang, bei dem ich eine Haselhenne mit ihren Küken im Unterholz beobachte. Leider keine Chance für ein Foto.
In der Nacht gewittert es dann weiter...
Am nächsten Morgen erscheinen mir die schwierigen Stellen von gestern schon etwas leichter. Verrückt wieviel das Wissen ausmacht, dass man ein Problem schon mal bewältigt hat, obwohl Schwierigkeit und Gefahr noch die Selben sind!
Ich gehe zurück zum Rifugio Pordenone und berichte dem Wirt Ivan von meinem kleinen Abenteuer. Er meint, dass die Stelle an der ich umgekehrt bin, noch zu bewältigen sei...
Ivan betreibt das Rifugio, welches er vom CAI, dem italienischen Alpenverein gepachtet hat, bereits seit 12 Jahren und ist unsicher, wie die Saison 2020 unter Corona Bedingungen werden wird.
Da meine Vorräte langsam zur Neige gehen, bin ich froh, als Ivan mir erzählt, dass es in Cimolais einen Laden gibt.
Das Valle Cimoliana, dem ich abwärts folge, wirkt mit seinem riesigen Schotterbett im Oberlauf eher so, als ob es irgendwo in Kanada sei!
Tatsächlich gab es hier im letzten Herbst große Überschwemmungen, die etliche Täler ziemlich verwüsteten, und wahrscheinlich auch die Pfade am Nr. 6 stark in Mitleidenschaft gezogen haben. Weiter unten im Tal treffe ich auf etliche Maschinen, die den Fahrweg wieder instand setzen.


          Ausgedehnte Schotterflächen am oberen Rio Cimoliana

Weiter unterhalb fließt der Bach durch eine Schlucht im Buchenwald und wird teilweise von blühendem Goldregen gesäumt. 

                                      Goldregen am Bach

                                         Die Schlucht des Rio Cimoliana

Bereits um 11:30 erreiche ich den kleinen Ort Cimolais, wo ich einkaufen kann, bevor der Laden zur mittäglichen Siesta schließt. Es gibt allerdings weder Haferflocken noch Müsli, daher versorge ich mich überwiegend mit Brot und Käse. 


                     Der Laden in Cimolais






















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