Auf dieser Etappe durchwandere ich den Schweizer Nationalpark, das wohl am konsequentesten geschützte Wildnisgebiet der Alpen.
Am nächsten Morgen steige ich durch den Wald auf zur Plantapatsch Hütte, eine Seilbahn Bergstation. Hier ist noch kein Mensch zu sehen, aber immerhin ist der Waschraum offen, was ich unter anderem für eine Rasur nütze. Offenbar versucht man hier, die Berge auch ausserhalb der Skisaison für Besucher attraktiv zu machen. So gibt es einen Bogenschießparcours und einen künstlichen See!
Auf etwa 2150 Meter laufe ich dann weiter im Hang. Eine Tafel verrät, dass hier ein großes Projekt zur Wiederaufforstung von Schutzwald gelaufen ist. Die gepflanzten Lärchen und Zirben sollen verhindern, dass Lawinen bis ins Tal abgehen.
Das Wetter ist ziemlich wechselhaft, meist nieselt es aber nur, und regnet glücklicherweise nicht sehr stark. Kurz erscheint auch mal die Sonne und formt einen Regenbogen.
Gegen 9 Uhr bin ich bereits an der Sesvenna Hütte, kurz vor der Schweizer Grenze. Da das Wetter ziemlich unsicher aussieht, beschließe ich erst mal einen Kaffee zu trinken. Allerdings ist der Wirt extrem unfreundlich. Eigentlich wären noch freie Tische vorhanden, dennoch muss ich mich zu einem anderen Mann setzen, und das in Corona Zeiten! Es gibt zwar auch w-lan hier, aber nicht für die Gäste! In Windeseile leere ich meinen Kaffee und sehe zu, dass ich weiter komme...
Hinter dem unscheinbaren Schlinig Pass auf 2309 Meter Höhe bin ich in der Schweiz angekommen und laufe das weite Uina Tal abwärts.
Schon bald geht es dann aber wieder nach oben. Zwar wäre es schön mehr von der Umgebung zu sehen, aber das raue, neblige Wetter verleiht der Landschaft einen wilden Charakter. Es gibt weder Zäune noch Vieh, dafür treffe ich zu meinem Erstaunen einige fitte Wanderer unterschiedlichen Alters. Während ich bisher andere Wanderer meist nur in relativer Nähe zu den Hütten getroffen habe, scheinen die Schweizer auch gerne anspruchsvolle Touren zu machen und das gilt auch für zwei ältere Damen, mit denen ich mich eine Zeit lang unterhalte. Ich passiere einige Seen und je höher ich komme wird die Landschaft felsiger und zunehmend von Schnee bedeckt.
An einer Stelle schlage ich einen falschen Pfad ein und steige bis zur Fuorcla da Rims auf 2935 Meter auf. Meist liegt ein Nebelschleier über der Landschaft, der aber mitunter auch aufreisst. Trotz der Höhe ist es relativ mild, so dass ich durch nassen, weichen Schnee stapfe.
Ich kann den Markierungen trotz des Nebels recht gut folgen, dennoch bin ich ziemlich überrascht, als ich einen Schweizer treffe, der mit seinem 6-jährigen Sohn hier eine Tour unternimmt!
Der See Lajet de Lischana ist heute, am 17. Juli noch teilweise von Eisschollen bedeckt! Das erinnert mich sehr an die Verhältnisse in Nordnorwegen auf meiner Skandinavienwanderung 2017.
Lajet de Lischana
Bald hinter dem See beginnt der lange Abstieg ins Sesvenna Tal. Zwar ist die Route teilweise extrem steil und mit Ketten gesichert, aber im Grunde genommen nicht allzu schwierig.
Auf einem kleinen, grasigen Absatz, der über dem Tal thront, schlage ich mein Lager auf. Es ist kühl und ungemütlich und meine Schuhe sind vom Schnee noch durchnässt, daher belasse ich es bei einem sehr kurzen Spaziergang. Später regnet es dann auch mal wieder...
Am nächsten Morgen erreiche ich bald den Boden des Sesvenna Tals. Hier stoße ich auf eine Schweizer Spezialität: Ein Rastplatz ist mit Bänken und Feuerstelle ausgerüstet, so dass man dort legal ein Lagerfeuer entzünden und grillen kann! Sogar das Feuerholz wird zur Verfügung gestellt!
Die Regeln die hier gelten, sind sehr freundlich formuliert, so das man sich richtig willkommen fühlt. Die Schweiz ist mir schon jetzt sehr sympathisch!
Das Tal führt mich zu dem kleinen, urigen Ort S-Scharl. Obwohl es hier sogar einige Unterkünfte gibt, führt lediglich ein unbefestigter Fahrweg hierher!
Ich folge dem Val Scharl abwärts. Einige interessante Tafeln verraten etwas über die Bergbaugeschichte und die Bären in der Schweiz. Tatsächlich wurde hier in der Gegend der letzte Schweizer Bär erst 1904 erlegt. Das war lediglich 10 Jahre vor der Gründung des Schweizer Nationalparks, dem ersten Nationalpark der Alpen, den ich heute durchqueren werde. Obwohl es immer noch keine neue Bärenpopulation in der Schweiz gibt, werden immer wieder einzelne Braunbären gesichtet. Nur 60 Kilometer von hier entfernt, im italienischen Nationalpark Adamello/ Brenta wurden vor etwa 20 Jahren die Bären wieder angesiedelt. Mittlerweile gibt es dort etwa 50 Individuen, die langsam auch wieder angrenzende Gebiete besiedeln. Daher kann zukünftig damit gerechnet werden, dass es im Schweizer Nationalpark wieder Bären gibt. Das gilt übrigens auch für Luchse und Wölfe, die ebenfalls mittlerweile regelmäßig im Nationalpark gesichtet werden. Ich finde es toll, dass die vor noch gar nicht so langer Zeit ausgerotteten Großraubtiere hier wieder eine Heimat finden!
Als ich vom Scharl- Tal in das Val Minger abbiege, betrete ich schließlich den Schweizer Nationalpark. Bis heute ist er das am konsequentesten geschützte Gebiet der Alpen. Weder Forstwirtschaft noch Jagd oder Almwirtschaft sind hier erlaubt. Zwar dürfen Wanderer auf Wegen den Park erkunden, große Gebiete sind aber komplett tabu. Im Winter sind sogar Ski- oder Schneeschuhtouren verboten!
Der Wald wirkt hier ziemlich urwüchsig, Fichten, Zirben und Lärchen wachsen nebeneinander. Weiter oben gedeihen hauptsächlich Spirken, das ist die baumförmige Variante der Latschenkiefer, eine Spezialität dieser Gegend. Über der Baumgrenze beobachte ich zweimal Rotwild, für das der Nationalpark bekannt ist. Nachdem sich der Morgendunst aufgelöst hat, entfaltet sich ein herrlicher Tag.
Am Pass sur Foss auf 2317 Meter verlasse ich für kurze Zeit den Nationalpark wieder. Direkt auf der Grenze verläuft ein Zaun und die angrenzenden Almen werden vom Vieh beweidet.
Hier zeigt sich bereits ein großes Manko des Nationalparks: Zwar wird streng auf den Wildnischarakter geachtet, aber mit lediglich 17.000 ha ist der Park nur sehr klein. Leider ist eine Erweiterung aufgrund der verschiedensten Nutzungsinteressen auch nicht geplant.
Ich kann bereits die Aufstiegsroute zum nächsten Pass Fuorcla Val dal Botsch ausmachen, der auf 2677 Metern liegt.
Bei dem herrlichen Wetter an einem Samstag sind jetzt um die Mittagszeit zahlreiche Wanderer unterwegs, zu viele für meinen Geschmack...
Der Aufstieg zum Pass ist recht einfach und auch der Abstieg ins Val dal Botsch ist zwar lang, aber schnell zu bewältigen. Ein Naturlehrpfad verrät mir viele interessante Details über die Natur des Parks. Besonders überrascht mich, dass das Rotwild hier um 1850 ausgerottet wurde und erst 50 Jahre später aus Tirol wieder eingewandert ist!
Im Val dal Botsch muss ich nicht auf der Straße laufen, sondern folge einem Pfad am Bach.
Hinter dem Hotel Il Fuorn verlasse ich das Tal auf 1800 Meter Höhe und steige wieder auf. Mittlerweile sind auch nicht mehr viele Wanderer unterwegs. Umso überraschter bin ich, als mich ein Mann im T- Shirt anspricht. Er ist sehr freundlich, bald stellt sich heraus, dass er Ranger des Nationalparks ist, und mich darauf hinweisen möchte, dass das Zelten im Nationalpark verboten ist. Verstöße gegen dieses Verbot kosten 300 Schweizer Franken! Der Ranger arbeitet schon seit 25 Jahren hier und wir unterhalten uns ziemlich lange über den Park. So erfahre ich, dass der Bartgeier wieder angesiedelt wurde und zur Zeit die Fuchspopulation intensiv erforscht wird. Denn man rechnet damit, dass mit zunehmender Einwanderung des Wolfs sich Änderungen für die Füchse ergeben werden.
Irgendwann habe ich wieder die Baumgrenze erreicht und kann den Stausee Lago di Livigno hinter der italienischen Grenze überblicken.
Vor dem scharfen Wind geschützt nehme ich auf einer Bank an der Alp la Schera das Abendessen zu mir. Dabei beobachte ich wenigstens 7 Murmeltiere in näheren Umkreis. Sobald eines durch sein Pfeifen Alarm auslöst, stehen alle aufrecht vor ihren Bauen.
Obwohl es schon recht spät ist und ich ausserhalb des Nationalparks zelten will, lasse ich mir den Aufstieg zum Gipfelplateau des Munt la Schera auf 2587 Meter nicht entgehen. Jetzt, wo die Besucher bereits den Park verlassen haben, kann ich die grandiose Landschaft im sanften Licht des Abends alleine genießen. Einfach toll!
Fantastischer Abend am Munt la Schera
Auf dem Plateau beobachte ich Gämsen, es wächst hier allerhand Edelweiß und dann beobachte ich auch noch ein Hirschrudel im Abendlicht.
Erst als es bereits fast dunkel ist, schlage ich mein Lager unmittelbar hinter der Grenze des Nationalparks auf. Ich habe heute etwa 30 Kilometer und fast 2000 Höhenmeter Aufstieg hinter mich gebracht...
Die Nacht wird klar und frostig. Daher laufe ich am nächsten Morgen erst mal mit Handschuhen los. Erst nach 8 Uhr kommt die Sonne hinter den Bergen hervor und wärmt dann rasch. Zunächst laufe ich durch eine schöne, weite Almlandschaft, bis ich schließlich im Val Mora abwärts laufe.
Das Terrain hier ist nicht zu steil, daher ist die Gegend bei Mountainbikern ziemlich beliebt. Die meisten scheinen allerdings mit Elektroantrieb unterwegs zu sein...
Das gilt allerdings nicht für Jonah, einen jungen Schweizer Bikepacker, der eine 10- tägige Tour unternimmt.
Fast ohne es zu bemerken, gelange ich zurück nach Italien. Zwar befindet sich das Tal im Nationalpark Stelvio, aber darauf weist wenig hin. Tatsächlich befindet sich am Stausee Lago di San Giacomo di Fraele ein großer Parkplatz und es wimmelt von Sonntagsausflüglern. Nachdem ich eine Zeit lang dem Fahrweg am See gefolgt bin, steige ich über das Valle Pettini und das Valle Lunga auf zum Passo Trela auf 2295 Meter. Ich könnte Trepalle noch heute erreichen, aber da ich einkaufen muss, beschließe ich erst morgen dort hin zu gehen, und schlage schon recht früh mein Lager abseits des Wegs auf.
Später unternehme ich dann noch einen langen, weglosen Abendspaziergang zum Berg Punta da Lago Nero auf 2694 Meter.
Am nächsten Morgen erreich ich bereits um 7.45 Trepalle, und muss daher noch ein wenig warten, bis der Coop Laden öffnet. Livigno, zu dem Trepalle gehört, ist ein Sonderzone, in der man zollfrei einkaufen kann. Daher wimmelt es hier von Läden, die Zigaretten, Alkohol und Luxuswaren verkaufen. Der einzige Luxus den ich mir gönne ist allerdings mal wieder eine Packung Eis...
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen