Translate

23.01.2016

Boliviens königliche Berge 1

Es ist dunkel und kalt, während ich neben dem großen, fetten Fahrer meines Taxis in El Alto, dem hochgelegenen, armen Teil von La Paz sitze. Eigentlich sollte mich der Typ lediglich dorthin bringen, wo der Minibus nach Zongo abfährt. Allerdings scheint er selber nicht so genau zu wissen, wo das ist, da wir eine Zeit lang  ziellos herumgefahren sind und der Taxifahrer einige Leute auf der Straße gefragt hat, wo der Bus abfährt. Nun ist El Alto gewiss kein Ort, wo man in der morgendlichen Dunkelheit zu Fuß durch die Straßen streifen sollte, und der Fahrer macht auch nicht gerade einen Vertrauen erweckenden Eindruck...
Schließlich erzählen uns zwei Männer, dass der Bus wohl erst am Nachmittag fährt, na toll!
Ich brenne darauf, meine Wanderung durch Boliviens Cordillera Real zu beginnen, und habe wenig Lust darauf, hier noch länger rumzuhängen. Zunächst denke ich daran, mich von dem Fahrer lediglich zum Stadtrand bringen zu lassen, und dann weiter zu  trampen. Allerdings ist das Zongo Tal nicht wirklich weit von La Paz entfernt, daher frage ich vorsichtig, wie viel die Taxifahrt dorthin kosten soll. Als wir uns schnell auf einen für mich erträglichen Betrag geeinigt haben, fahren wir weiter durch die schmalen Straßen El Altos. Schon bald hört der Asphalt auf und ich kann kaum glauben, dass wir noch in Boliviens bedeutendster Stadt sind...
Allerdings zeigt ein Schild zu meiner Erleichterung, dass wir uns auf dem richtigen Weg befinden...
Nach einiger Zeit wird es langsam hell und wir haben die Zone des Morgennebels verlassen. Vor uns eröffnet sich ein tolles Panorama: Die Schneefelder des 6088 Meter hohen Huayna Potosi ragen aus dem die Täler füllenden Nebelmeer und werden von den ersten Strahlen der Sonne beleuchtet.

                            Unterwegs zum Startpunkt der Wanderung


Es wird immer kälter, je höher wir kommen und das gelbe Gras ist von Raureif überzogen. Als wir kurz vorm Zongopass sind, ist die Straße vereist und die Reifen des Toyota drehen durch, während der Wagen von einer Seite der Straße zur anderen schwankt.
Kurzerhand steige ich aus und es gelingt mir tatsächlich, das Auto schiebenderweise auf die Passhöhe bringen. Wir sind hier auf ca. 4800 Meter Höhe, dem entsprechend "pfeife ich aus dem letzten Loch"...
Ich bin erst seit 24 Stunden in Bolivien. Obwohl La Paz bereits auf 4100-3700 Metern Höhe liegt, konnte ich mich natürlich noch nicht an die geringe Sauerstoffmenge in diesen Regionen gewöhnen...
Über endlose Serpentinen fahren wir hinab in das Zongo Tal. Die Temperatur steigt rasch an und die Landschaft wird üppiger bewachsen. Nichts desto trotz haben wir für die lächerlichen 40 Kilometer bis hierher 2 Stunden gebraucht...
Immerhin kann ich jetzt loslaufen! Ich plane eine einwöchige Tour  in der "Königskordillere", den wohl majestätischten Bergen des Andenlandes, als Auftakt zu meiner dreimonatigen Reise durch einige der wildesten Gebiete Boliviens. Bolivien ist zwar fast drei mal größer als Deutschland, hat aber mit etwas 10 Mio. Menschen nur 1/8 der Einwohnerzahl! Weite Gebiete sind fast unbewohnt!
Allein diese wenigen Zahlen zeigen schon, dass das Land viel Potenzial bietet, für Touren wie ich sie liebe. Zieht man dann noch die landschaftliche Vielfalt mit ins Kalkül, von den hohen Bergen der Anden bis zu Regenwäldern und Feuchtgebieten des Tieflands, wird schnell klar, dass Bolivien ein sehr lohnendes Land ist!

Obwohl die Cordillera Real in unmittelbarer Nähe von La Paz liegt, ist die Bergkette die sich über 125 Kilometer Länge erstreckt, eine der besten Trekkingregionen des Landes. Sechs Gipfel über 6000 Meter und unzählige Fünftausender kennzeichnen diese alpine Landschaft.

Die ersten 10 Kilometer laufe ich auf einem Fahrweg bis zum Dorf Coscapa. Zunächst ist es noch etwas frisch, aber schon bald trage ich nur noch ein T-Shirt. Nebelschwaden und blauer Himmel wechseln rasch ab, insgesamt kommt es mir so vor, als ob hier auf ca. 3200 Metern recht viel Niederschlag fällt, worauf der üppige Pflanzenbewuchs deutet.




                 Üppiger Pflanzenbewuchs zu Beginn der Wanderung

Mitunter bieten sich Blicke in das tief eingeschnittene Zongo Tal, dass in die feuchten Bergwälder der Yungas führt, die die Übergangszone zwischen den Bergen und den Dschungeln des Tieflands bilden.


                                                         Das Zongo Tal

Ich beobachte einige Vögel, darunter winzige Kolibris die mit tiefem Brummton hubschrauberartig vor Blüten in der Luft stehen und einen sich im Aufwind in den Himmel schraubenden, mächtigen Kondor.
Mir begegnet kein Auto, dafür treffe ich einige Indiofrauen, die auf dem Weg ins Zongo Tal sind. Mehrere Röcke werden hier übereinander getragen und in leuchtenden Farben gewebte Tücher dienen zum Tragen der Lasten.



                                            Indiofrau

Der Fahrweg endet hoch über Coscapa und ab jetzt suche ich mir meinen eigenen Weg, wobei ich eine Zeit lang dicken Rohrleitungen folge, die Wasser aus den Bergen ins Tal leiten. 
Bald bin ich von zunehmendem Nebel eingehüllt und es beginnt zu regnen. Nun gut, da ich ja noch nicht an die Höhe angepasst bin, ist es sinnvoll, nicht zu schnell aufzusteigen. Daher schlage ich mein erstes Lager bereits gegen 13.30 auf ca. 3700 Meter Höhe auf.
Ich werde von leichten Kopfschmerzen geplagt, daher würde ich heute ohnehin keine "Bäume mehr ausreißen"


                                   Lager auf 3700 Meter

In der Nacht regnet es weiter, was auch zunächst für den Morgen gilt...
Also bleibe ich im Zelt, bis ich draußen ein Pfeifen höre. Ich schaue aus dem Eingang und sehe einen jungen Hirten, der offenbar nach seinen Lamas geschaut hat. Er meint, dass es in den Bergen geschneit hat! Na prima...
Normalerweise esse ich ja Müsli mit Milchpulver zum Frühstück. Dieses Mal habe ich allerdings Eiweißpulver für Bodybuilder dabei. Na ja, auch nach einigen Mahlzeiten sind meine Kräfte noch nicht ins Unendliche gewachsen und die Cookie Geschmacksnote finde ich eher gewöhnungsbedürftig....
Gegen 10 hat der Regen aufgehört und ich steige weiter auf dem Pfad im Tal auf. Es ist grau, feucht und eher ungemütlich, von der Landschaft bekomme ich leider nur wenig zu sehen.




                                 Im Nebel talaufwärts

Einmal passiere ich ein Gehöft mit Steinmauern und Grasdach. Es scheint bewohnt zu sein, ich sehe aber niemanden.


         Wie lebt es sich in dieser rauhen Umgebung?

Normalerweise habe ich keine großen Probleme mit der Höhe, aber heute geht es mir schlecht. Zwar haben die Kopfschmerzen nachgelassen, ich bin aber schwach und komme nur langsam vorwärts. Oft peinigt mich schlimmes Seitenstechen. Was ist los mit mir?
In meinem Zustand schaffe ich es heute auf keinen Fall mehr über den Pass, es regnet auch wieder und die Landschaft ist in monotones Grau getaucht. Daher schlage ich nach lediglich dreieinhalb Stunden und knapp 600 Meter Aufstieg mein nächstes Lager auf.
In der Nacht klart es auf und friert leicht. Als ich morgens aus dem Zelt schaue, ist die Sonne dabei, das Tal zu erreichen. Eine halbe Stunde später hat der gelbe Stern das Gras im ganzen Tal zum Leuchten gebracht!
                                               


                Die Strahlen der Morgensonne haben das Tal erreicht

Es geht mir heute deutlich besser und so steige ich frohen Mutes weiter auf. Bald gelange ich in weite Hochtäler, die erstaunlich sumpfig sind. Daher habe ich mir in meinen Trailrunningschuhen rasch nasse Füße geholt...
Ich beobachte weiße Andengänse und ein kleiner Falke auf einem Felsen lässt mich relativ dicht an sich heran.



                                                                           Falke



                                                      Weites Hochtal

Zwei Seen zeigen mir an, dass ich schon bald den ersten Pass erreichen werde. Die Route die ich laufe, hat mein Freund Bernd mit dem ich 2011 in Patagonien und 2014 in Nepal war, während seiner langen Südamerikareise 2010/2011 erkundet. 



                                                  Seen vor dem Pass

Relativ selten sehe ich einige Lamas.



                                                                         Lamas

Bevor ich den Pass erreiche, kommt wieder dichter Nebel auf. Zwar gelange ich problemlos nach oben, kann aber keine Abstiegsroute erkennen. Lange Zeit suche ich nach einer möglichen Route, stoße aber überall nur auf steil abfallende Felswände, die einen Abstieg unmöglich erscheinen lassen. Dummerweise hatte ich mir auch nicht gemerkt, bzw. aufgeschrieben, was Bernd über diesen Pass geschrieben hatte...
So bleibt mir letzten Endes nur den Rückzug anzutreten. Nun habe ich Ausdrucke von Google Earth und Hillmap zur Navigation dabei, und meine geplante Route zusätzlich auf dem GPS. Aber natürlich bin ich nicht auf einen möglicherweise weiten Umweg mit meinem Kartenmaterial eingestellt...
Glücklicherweise habe ich aber eine relativ grobe Karte auf meinem GPS, mit deren Hilfe ich rasch eine Alternativroute zusammen bastele, die irgendwann wieder auf meinen Track führt!



                                                         Nebel am Pass

Ein Stück weit laufe ich auf meiner Route zurück und wandere dann weglos über mehrere, relativ flache Kämme, bis ich in ein Bachtal gelange, dem ich abwärts folge. Zwar lichtet sich der Nebel ab und zu, aber über weite Strecken kann ich auch heute wenig von der Landschaft erkennen...




                                     Manchmal lichtet sich der Nebel

Weiterhin folge ich meist schmalen Pfaden, die auf der Talschulter verlaufen und ein rasches Vorankommen ermöglichen. Gegen Abend stehe ich im dichten Nebel fast unmittelbar vor einer Hütte, die ein aggressiv bellender Hund verteidigt. Zwar nicht in Panik aber in raschem Tempo ziehe ich mich zurück. Der große Hirtenhund verfolgt mich, hält aber glücklicherweise genügend Abstand und lässt irgendwann wieder von mir ab.
Hier auf 3900 Metern beträgt die Temperatur abends immerhin noch 5 Grad.
Ich hoffe morgen wieder meine "Originalroute" zu erreichen...

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen