Am nächsten Morgen gelangen wir bald an den tiefen, dunklen Canyon der Kerlingara. Wahnsinn, welche Schneemassen hier noch die Schlucht füllen!
Die Schlucht der Kerlingara
Weiter oberhalb ist das Tal nicht mehr so tief eingeschnitten, dennoch ist es "interessant", den Fluss auf einer Schneebrücke mit tiefer "Gletscherspalte" zu überqueren...
Hier sollte man wissen was man tut... Foto: VincentBald wandern wir wieder durch eine winterliche, arktische Landschaft. Wir erhalten herrliche Ausblicke auf das Kerlingarfjöllmasssiv. Leider taut der Schnee heute doch etwas stärker, so dass wir streckenweise tief einsinken, was das Laufen ziemlich anstrengend macht...
Polarlandschaft im Süden des Kerlingarfjöll
Die Kisa ist ein großer Fluss, den wir mit Spannung erwarten. Bevor wir ihn allerdings überqueren können, müssen wir zunächst eine Stelle finden, an der die hohe Schneemauer, die auf der Böschung liegt, uns überhaupt einen Zugang zum Wasser gewährt...
Wo komme ich ans Wasser? Foto: Vincent
Schließlich finden wir aber eine geeignete Stelle und ich marschiere durch das lediglich knietiefe, eisige Wasser.
Allerdings ist mein Freund Profifotograf, mit einem Hang zur Perfektion, daher dauert es recht lange, bis er alles so weit eingestellt hat, dass er gute Fotos machen kann...
Na ja, da er auch ein Video drehen will, muss ich dann halt noch einmal durchs Wasser! Was tut man nicht alles für die Kunst...
Leider lässt mich die Kombination aus Warten, eisigem Wasser und kaltem Wind ziemlich auskühlen. Auch als wir wieder in Bewegung sind, werde ich nicht mehr warm...
Dummerweise versäume ich sofort meine Daunenjacke anzuziehen, als ich merke, dass mir kalt wird. Ein großer Fehler unter diesen Umständen!
Der Wind der über die Vulkanwüste Setuhraun heranbläst, wird immer heftiger. Wir würden gerne unser Lager aufschlagen, leider gibt es weit und breit keinen geschützten Flecken Erde.
Setuhraun
Schließlich erreichen wir die große Hütte von Setrid. Ich kann kaum erwarten zu erfahren ob sie offen ist! Und tatsächlich, der Vorraum der Hütte ist nicht verschlossen! Endlich aus dem kalten Wind! Für mich ist klar, dass ich hier übernachten möchte, obwohl es in der Umgebung der Hütte auch halbwegs geschützte Plätze zum Zelten gibt. Vincent, der nicht durchgefroren ist, hält nicht viel davon in der Hütte zu übernachten, da das nicht zu seinem Anspruch, eine autarke Tour durchzuführen passt. Na ja, ganz so fundamentalistisch sehe ich das nicht, wir hatten die Hütte ja überhaupt nicht in unserer Planung berücksichtigt, und sind eher zufällig hier gelandet. Wir sind auch nicht unbedingt auf sie angewiesen, aber obwohl sie nun einmal da ist, direkt neben ihr zu zelten, fände ich auch komisch. Und Weiterlaufen kommt für uns beide nicht in Frage, da wir schon seit zwölf Stunden unterwegs sind...
Ich würde in dem Vorraum schlafen, dass wiederum will Vincent nicht. An der Hüttentür stehen einige Telefonnummern, die Vincent mit seinem Handy anruft. Bald erreicht er tatsächlich jemand, und wir erfahren, dass wir die Hütte, die einem Geländewagenfahrerclub gehört, benutzen dürfen. Allerdings müssen wir dafür eine Gebühr entrichten.
Kaum haben wir die Details erklärt, öffnet sich die Hüttentür aus der Ferne über Funkt gesteuert wie von Geisterhand.
Es gibt hier jeden Komfort, da wir die isländischen Bedienungsanleitungen aber nicht verstehen, nehmen wir weder Strom, noch Wasser in Betrieb.
Obwohl wir ja jetzt gut geschützt sind, dauert es ziemlich lange, bis ich wieder "aufgetaut" bin. Mir ist klar, dass der nächste Abschnitt ziemlich heftig wird, vor allem, was die Gewässerüberquerungen angeht. Ich bin demoralisiert und suche nach einer Alternative. Aber da wir nicht über den Gletscher Hofsjökull gehen wollen, und die Pjörsa weiter im Osten als Kanal zwischen unüberwindlichen Betonwänden verläuft, stelle ich mich mental darauf ein, morgen durch die unangenehme, abweisende Sanderlandschaft am Rande des Gletschers zu laufen...
Bevor ich schlafen gehe, genieße ich das violette Abendlicht über dem Kerlingarfjöll.
Sonnenuntergang über dem Kerlingarfjöll
Am Morgen erwartet uns ein ausgewachsener Sturm! Die Temperatur liegt knapp über 0 Grad, aber wenn man den Windchillfaktor berücksichtigt, liegt die gefühlte Temperatur eher bei - 20 Grad! Daher ist es auch kein Wunder, dass ich alles was ich an Kleidung habe, am Körper trage, inklusive der Daunenjacke...
Vincent, der weniger kälteempfindlich ist, läuft zwar zunächst ohne Daunenjacke, zieht sich diese aber auch nach der Mittagspause über.
Wir müssen uns mit aller Kraft gegen den heulenden Sturm stemmen. Tun wir das nicht, werden wir umgeblasen...
Die Gegend am Rand des Hofsjökull ist extrem abweisend, flach, fast ohne grün und von einem Labyrinth aus Wasserläufen durchzogen.
Wieviele Wasserläufe müssen wir durchwaten?
Fast ständig müssen wir durch kleinere, oder größere Wasserläufe waten. Die Blautakvisl hat sich hier glücklicherweise in eine ganze Reihe von Armen aufgeteilt, so ist es nicht notwendig die Packrafts aufzublasen, wenn auch im Hauptarm die Strömung kräftig an unseren Beinen zerrt...
Um nicht auszukühlen machen wir nur ganz selten Pause, und auch das Fotografieren kommt zu kurz...
In meinen Trailrunningschuhen habe ich den Vorteil, dass das Wasser größtenteils sofort wieder rausgedrückt wird. In Vincent's Stiefeln sieht das anders aus, dennoch leert eher sie nur selten.
Das führt offenbar zu leichten Erfrierungen an den großen Zehen, auch jetzt Monate später haben sich die Nerven noch nicht vollständig regeneriert...
Pause im Sturm
Gegen Mittag erreichen wir die kleine, halb verfallene Helgabotnarhütte. Sie ist offen und gewährt uns Schutz.
Lange überlegen wir, ob wir weiterlaufen sollen. Am Fuß des Arnarfell, einem Berg am Rande des Gletschers, hat Vincent auf Google Earth einen grünen Flecken ausgemacht, der ein möglicher Lagerplatz sein könnte. Allerdings sind es immer noch etwa 10 Kilometer Luftlinie bis dorthin...
Schließlich entscheiden wir uns weiter zu laufen. Wir kommen auch recht gut vorwärts, bis wir kurz vor Erreichen des Berges an der Fremri Arnarfellskvisl stehen. Der Hauptarm ist zu tief und reißend zum Durchwaten. Zwar könnte man den Fluss über den Gletscher umgehen, aber der Zugang zum Hofsjökull ist hier steil und von Spalten durchzogen. So blasen wir widerwillig unsere Boote auf und setzen problemlos über.
Wir haben es kaum noch zu hoffen gewagt, aber am Hang des Arnarfell finden wir tatsächlich ein grünes, geschütztes Plätzchen, wo wir unsere Zelte aufschlagen können.
Wir sind zufrieden, dass wir diesen harten, herausfordernden Tag überstanden haben, und hoffen sehr, dass der Sturm morgen nachlässt...
Blick von unserem Zeltplatz in das Vorland des Hofsjökull
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