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11.01.2016

Die 4- Gletscherroute, weglos durch Island 7


Als wir morgens aufbrechen ist uns noch nicht klar, dass dies der in vielerlei Hinsicht spannendste und herausforderndste  Tag der Tour wird...

Zunächst fängt alles ganz harmlos an, wir überqueren die Bergkette, die ich gestern Abend schon kennen gelernt hatte und steigen in das Tal der Jökudalskvisl ab. Wir müssen den Fluss durchwaten, was uns aber vor kein Problem stellt. Dann haben wir einige Kilometer auf der Fjällabakpiste vor uns, bevor wir zum Kirkjufellsvatn abbiegen. An der Südwestspitze des Sees wird es interessant. Wir haben vor weglos den bis über 1000 Meter aufragenden Bergzug des Kirkjufell zu überschreiten. O.k, 1000 Meter hören sich nicht gerade spektakulär an, insbesondere nicht, wenn man auch schon etliche über 5000 Meter hohe Pässe bewältigt hat.
http://geraldtrekkt.blogspot.de/2014/11/durch-das-land-der-namenlosen-berge-1.html
Aber tausend Meter Höhe bedeuten auf Island hochalpines Gelände, vergleichbar mit der dreifachen Höhe in den Alpen...
Obwohl wir uns die Satellitenbilder sorgfältig angeschaut haben, sind wir keineswegs sicher, ob das Gelände nicht zu steil wird. Nun, wäre bei dieser Tour das sichere Gelingen garantiert, wäre es per Definition kein Abenteuer...


                                                                  Kirkjufellsvatn

Der Aufstieg bis zu einem Sattel durch loses Geröll ist zwar steil, aber nicht weiter problematisch. Oben angekommen liegt eine neue, gleichzeitig faszinierende und abweisende Welt vor uns. Dunkle Felsen, viel Schnee und bereits die ockerfarbenen Berge von Landmannalaugar.




                            Hochalpine Landschaft auf dem Kirkjufell

Als wir an die Geländekante herantreten, liegt unter uns das Tal der Jükulgilskvisl, welche dicht an Landmannalaugar vorbeifließt. 
Ein herrlicher Ausblick, aber ohne den Schnee würde die Farbenpracht der Berge sicher noch großartiger wirken!


Das Tal der Jökugilskvisl

Klar, das Tal sieht von oben gut aus, aber noch schöner wäre es, wenn wir eine Route ausmachen könnten, die nach unten führt...
Wir müssen noch ein Stück weit der Hangkante folgen, bis wir auf unsere Originalroute stoßen. Vincent hatte auf Google Earth einen Rücken entdeckt, der für den Abstieg geeignet erschien...
Zunächst kommen wir auch gut voran, dann aber liegt vor uns ein sehr steiler, mit unangenehm losem Geröll bedeckter Hang, den wir traversieren müssten. Wir schauen ihn mit meinem kleinen Fernglas   lange und ausgiebig an, und kommen dann übereinstimmend zu dem Schluss, dass wir besser unsere Füße davon lassen...
Schön und gut, aber den ganzen Weg zurück laufen und dann eine langweilige Talroute nehmen, wollen wir auch nicht. Bevor wir eine Entscheidung treffen, fotografieren wir erst mal ein wenig...
Leider streikt meine Kamera immer mal wieder, seitdem ich auf Island bin, und bereitet mir viel Verdruss. Als ich Vincent darum bitte, für ein Bild zu posieren, funktioniert der Fotoapparat mal wieder nicht. Als ich dann endlich fertig bin, ist mein Freund natürlich schon längst woanders. Gut, fotografiere ich also die Landschaft ohne ihn. Als ich abdrücken will, läuft Vincent "ins Bild" woraufhin ich ihn unsanft anknurre. Die Reaktion kommt prompt: "Jetzt krieg mal deine Scheiss Psyche in den Griff".
Wow, starker Tobak! Es ist zwar lächerlich, aber das wäre eigentlich der passende Zeitpunkt für einen kleinen Streit. Total überflüssig, weil wir uns eigentlich sehr gut verstehen, aber mir ist  klar, dass ich nicht nur wegen der Kamera genervt bin. Das ständige Zusammensein mit jemandem während einer Tour ist zwar einerseits schön, beinhaltet andererseits aber auch einen gewissen Stressfaktor für mich.
Ich schlucke meinen aufkommenden Zorn herunter und konzentriere mich auf das, was jetzt vor uns liegt. Vincent hat eine Rinne entdeckt, die uns mit viel Glück nach unten bringen könnte. Wir nehmen uns vor, sie zunächst einmal nur zu erkunden. Als das Gelände immer steiler und rutschiger wird, wäre der richtige Zeitpunkt zur Umkehr gekommen. Aber wider alle Vernunft steigen wir weiter ab, wobei wir mehr rutschen als kontrolliert gehen. Immerhin geben uns die Wanderstöcke ein wenig zusätzliche Stabilität.

        Steil und rutschig...   Foto: Vincent

Dann wird es richtig ernst: Das Rinnsal dem wir folgen, verschwindet in einer tiefen Schneehöhle. Wir müssen es irgendwie schaffen aus der Rinne heraus auf das umgebende Schneefeld zu gelangen. Auch wenn die Bilder die Steilheit nicht so ganz wiedergeben können, das ist ein nicht ganz einfaches Unterfangen. Und in dem schwarzen Abgrund der Schneehöhle zu verschwinden ist ein ziemlich unangenehmer Gedanke...
Vincent ist vorne und muss daher als erster dieses Hindernis überwinden. Wir gehen in Ruhe unsere Optionen durch. Der Rückzug wäre möglich, wenn auch schwierig. Die steile Wand auf der rechten Seite sieht für mich "haltlos" aus, während links vielleicht die Möglichkeit besteht mit einem beherzten Sprung auf dem Schneefeld zu landen. Vincent entscheidet sich für die rechte Seite. Er springt und ich sehe ihn schon in dem schwarzen Loch verschwinden. Aber er rutscht zwar von der Wand ab, es gelingt ihm aber sich oberhalb der Höhle im Schnee festzukrallen und schafft es dann, sich nach oben zu ziehen. Puh, das sah knapp aus, obwohl Vincent sagt, dass er alles unter Kontrolle hatte...
Jetzt bin ich dran...
Den Weg von Vincent will ich auf keinen Fall nehmen...
Also entferne ich mit den Füßen so weit es geht, die kleinen, rutschigen Steinchen und taste mich zentimeterweise vor. Ein größerer Fels gibt mir etwas Halt, dann springe ich...
und lande wohlbehalten auf dem Schneefeld. 




                                              Foto: Vincent


                                                           Die "Schlüsselstelle"

Auch Vincent ist bis auf einige Hautabschürfungen in Ordnung.


                           Kleine "Blessuren"

Uns ist klar, dass wenn das Schneefeld noch einmal abbricht, wir es auf keinen Fall schaffen, auf dem selben Weg zurück zu gehen. Einen solchen "Point of no return" sollte man nie überschreiten...
Doch wir haben Glück, ohne weitere Probleme gelangen wir auf den Talboden.      


                       Das Tal führt nach Landmannalaugar

Eigentlich könnte man hier das Packraft benutzen, aber für die wenigen Kilometer wollen wir das Boot nicht eigens aufblasen. Allerdings müssen wir den Bach überqueren, wenn wir zu unserem Proviantdepot gelangen wollen. Als Vincent auf der anderen Seite angekommen ist, höre ich "Pass auf, der hat ordentlich Dampf".
Nun, obwohl mein Freund durch seine strenge Nahrungsrationierung schon eine ganze Menge abgenommen hat, wiegt er sicher noch mindestens 10 Kilo mehr als ich. Ein Bach, der für ihn "ordentlich Dampf hat", kann mich daher durchaus "aus den Puschen" heben. Egal, wird schon gehen. Als ich in die scharfe Strömung gelange, fangen meine Wanderstöcke an zu zittern und ich merke, wie ich vom Bachboden abgehoben werde. Hier hilft nur noch absolute Konzentration und äußerste Körperspannung. Schließlich bin auch ich auf dem anderen Ufer angekommen. Meine Unterhose ist nass, allerdings nur vom Wasser...
Schließlich erreichen wir Landmannalaugar, einen Außenposten der Zivilisation im kargen Hochland. Es gibt hier einen Zeltplatz, eine Art Herberge, einen kleinen Laden in einem Bulli, und vor allem, die heißen Quellen nach denen der Ort benannt ist.



Nein, Vincent ist nicht klein, sondern das Auto groß...




Landmannalaugar

Wir nehmen das Proviantpaket in Empfang, dass wir mit dem Bus hierher hatten transportieren lassen und sind dabei unsere Rucksäcke neu zu packen.
Dabei entdeckt Vincent jemand, mit dem er zwar regen e-mailaustausch hatte, den er aber noch nie persönlich getroffen hat. Dennoch erkennt er Dieter, einen der wohl besten deutschen Islandkenner. Dieser ist damit beschäftigt, eine Reisegruppe zu führen, lässt es sich aber nicht nehmen, ein paar Worte mit uns zu wechseln. Dieter hat über viele Jahre eine Menge, auch anspruchsvolle Touren auf Island gemacht, ist jedoch, was seine Ausrüstung angeht, eher konservativ. Mit mitleidigem Blick mustert er Ausrüstung und Proviant. Als er meine "schon arg strapazierten" Trailrunningschuhe anschaut, fragt er, ob ich denn noch anderes Schuhwerk dabei hätte. Als ich dies verneine, kommentiert er das mit der lakonischen Bemerkung "Ihr seid doch  Lemminge", womit er meint, dass wir sehenden Auges in unser Verderben laufen. Allerdings scheint er uns auch viel zuzutrauen, da er meint wir könnten, obwohl es bereits spät ist, noch heute den Weg über den Gipfel des Skalli in das Tal Hativer schaffen. Eine Tour wozu man durchaus auch einen kompletten Wandertag benötigen kann...
Was uns dann noch beim Abstieg vom Skalli erwartet, verrät er nicht...




                  In Landmannalaugar verproviantieren wir uns neu

Da wir jetzt auf einem schmalen Wanderpfad laufen, kommen wir rasch voran. Wir treffen sogar noch zwei andere Wanderer.


                                                       Landmannalaugar

Dunkle Wolken türmen sich auf und wir hoffen sehr, dass das Wetter hält.


                     Bunte Berge unter dunklen Wolken


                            Auf dem Weg zum Skalli    

Dank des ausgetretenen Pfades, stellt ein steiles Schneefeld kein größeres Problem dar. Schließlich stehen wir auf dem 1027 Meter hohem Skalli. Wir hatten sogar in Erwägung gezogen, hier oben zu zelten. Aber bei dem eiskalten, schneidendem Wind, lassen wir diesen Gedanken ganz schnell fallen.
Zunächst geht es vom Gipfelplateau durch nicht allzu steile Geröllfelder abwärts. Danach wird es interessant...
Kilometerweit führt der Pfad auf dem stellenweise lediglich fußbreiten Grat nach unten. Ein Fehltritt oder Abrutschen in dem feinen Steinmaterial hätte fatale Konsequenzen...
Wir können es kaum glauben, dass dies eine Wanderroute ist!
Die Landschaft aus ockerfarbenen, verschneiten Bergen ist allerdings fantastisch!

                                                                           Foto: Vincent


                                                Auf schmalen Graten

Obwohl wir jetzt am Ende dieses aufregenden Tages ziemlich müde sind, gelingt es uns noch einmal volle Konzentration aufzubringen und wohlbehalten nach unten zu gelangen.
Es riecht nach Schwefel und an den Hängen steigt Rauch auf. Trotzdem sind wir nicht in der Hölle...
Auf einer kleinen, ebenen Kuppe schlagen wir unser Lager im Tal von Hativer auf.




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