3. Mestia-Lalkhori
6 Tage, 93 Kilometer, 5864 hm Aufstieg
Da ich morgens noch ein Radiointerview via Handy gebe, starten wir erst gegen Mittag. Wir durchqueren Mestia und steigen auf der anderen Seite der Mulkhura wieder bergan, wobei wir schöne Aussichten zurück auf den Ort mit seinen zahlreichen Wehrtürmen erhalten.
Nachdem wir auf 1800 Meter eine Straße überqueren, steigen wir in ein malerisches Bachtal ab, das von Nadelwald eingefasst wird und mit Weideflächen und Gebüschen sehr abwechslungsreich ist Einige kleine Hütten dienen vermutlich als Freizeitdomizile. Schließlich geht es im Wald wieder lange abwärts, wobei wir allerdings kaum vorankommen, da unzählige leckere Walderdbeeren und Himbeeren gepflückt werden wollen. Schließlich schlagen wir an einem Haselgebüsch über der Mulkhura Schlucht unser Lager auf.
Schon früh am Morgen erreichen wir die Straße bei Ienashi. Einige Leute sind bereits dabei jeweils 5-6 Kühe vor sich her auf die Weide zu treiben, wo diese dann den Rest des Tages selbstständig grasen dürfen.
Hinter dem Ort verlassen wir die Straße und kommen an einem kleinen Sägewerk vorbei. Diese scheinen in Georgien sehr verbreitet zu sein, und haben sicher einen Einfluss auf den Wald, auch wenn sie nicht besonders groß sind.
Wir überqueren den Wildbach Enguri auf einer Brücke und steige dann auf einem stellenweise schwer zu erkennendem Pfad hoch durch den Wald in dem zunächst die Laubbäume überwiegen, die mit zunehmender Höhe aber von Fichten und Tannen abgelöst werden. Überraschend gelangen wir an eine frisch geschobene Forststraße, an deren Rand noch die Reste der für den Aufhieb gefällten Bäume liegen. Bis vor kurzem war das noch ein Urwald, der nun für die Holzwirtschaft erschlossen ist. Glücklicherweise wurden bisher aber nur selektiv einzelne Bäume gefällt, und kein Kahlschlag angerichtet. Irgendwann endet der neue Weg und wir folgen einem schmalen Pfad weiter aufwärts durch den eindrucksvollen Nadelwald. Der Himmel verfinstert sich und lautes Donnern verrät ein nahendes Gewitter. Allerdings ist es überall zu steil um das Zelt aufzuschlagen. Erst als der Regen zu fallen beginnt, finden wir einen kleinen Absatz auf dem wir im Schutz der Nylonhülle das Unwetter abwarten können.
Nach drei Stunden ist das Unwetter abgezogen und wir laufen weiter. Erst ab etwa 2400 Meter öffnet sich der Wald und wir erreichen die dem Erzengel Gabriel geweihte, kleine Mkheri Kapelle mit abseits stehendem, hölzernen Glockenturm auf einem Bergsporn in fantastischer Umgebung. Innen gibt es einige ikonenhafte Heiligenbilder und jemand hat eine Menge Gurken in einer Plastiktüte hier zurückgelassen. Über fantastische Blumenwiesen laufen wir weiter und erhaschen schon Blicke auf die vergletscherten Hänge des 3587 Meter hohen Ch’queeru, dessen Massiv wir überqueren wollen. Allerdings sieht die Route furchteinflößend steil und gefährlich aus, daher sind wir nicht mehr sicher, ob das wirklich eine gute Idee ist…
Nachdem wir schließlich unser Lager aufschlagen, regnet es am Abend wieder.
Der nächste Tag verspricht traumhaft zu werden. Während einige Schneehühner und kaukasische Birkhühner vor uns auffliegen, steigen wir durch Blumen und Rhododendron auf zu einer Hochfläche. Auch wenn wir unseren Plan der Gletscherüberquerung endgültig begraben, gefällt uns die Umgebung hier auf 2620 Meter Höhe so gut, dass wir spontan schon um 10 Uhr unser Zelt wieder aufschlagen und später in einer kleinen Wanderung zum 2821 Meter hohen Khachi die Umgebung erkunden. Segelfalter und Widderchen suchen auf den Blüten nach Nektar und die Aussichten hinüber zu Elbrus und Ushba, den hohen und markanten Bergen an der russischen Grenze sind wunderschön, aber auch die Blicke zu „unserem“ Gletscher sind nicht zu verachten. In der warmen Sonne sitzen wir stundenlang dort oben und lassen unsere Blicke über das Land schweifen. Da es an unserem Lagerplatz weder Feuerholz noch Wasser gibt, steige ich wieder ein Stück ab. Dabei stolpere ich über schwarzen Bärenkot und eine 50 bis 100 Zentimeter lange graue Schlange, mit silbernem Zickzackmuster. Unsere abendlichen Nudeln mit Erdnüssen und einem Brühwürfel verfeinern wir dann mit wildem Thyminan und einer Gurke von der Kapelle. Trotz der Höhe bleibt es lange warm. Heute ist für mich ein besonderer Tag, da mein Buch „Der Waldwanderer“ über die große Deutschlandwanderung im letzten Jahr erschienen ist!
Am nächsten Morgen folgen wir Viehpfaden durch den Birkenwald abwärts. Eine einfache Hütte mit Pritsche und Schlafsack, dient wohl dem Hirten als Stützpunkt, der hier ab und zu nach dem Vieh schaut. Schließlich steigen wir wieder hoch zu der Kapelle, wo wir schon vorgestern waren. Hier kreisen ein Geier, Kolkraben und Dohlen. Wir folgen dann unserer Route von vorgestern, bis wir in der Nähe der Nangrevi Kapelle auf neues Terrain gelangen. Auf der anderen Seite des Enguri Tals erstrecken sich offenbar unberührte, wilde Wälder. Bei einem Campingplatz wo erstaunlich viel los ist, gibt es eine große Hängeschaukel und zahlreiche Leute fotografieren Selfies. Anschließend folgen wir einem Fahrweg weiter aufwärts. Heute Abend gibt es frische Zuccchini, die Anke am Wegrand entdeckt hat. Nachdem wir sie auf dem Hinweg noch links liegen gelassen hatten, waren sie jetzt reif zur Ernte…
Durch die Birkenwälder steigen wir am nächsten Morgen weiter bergauf bis zum Zuridi Skilift oberhalb von Mestia auf 2346 Meter. Anschließend folgen wir schmalen Pfaden durch Wiesen voller Blüten und Falter zum Ughviri Pass auf 1911 Meter, wo wir die Straße kreuzen. Weiter geht es in der Hitze lange auf einem Fahrweg aufwärts zu einem weiteren Skigebiet. Wir haben schon lange kein Wasser mehr, und der Weg bergauf ist daher ziemlich anstrengend. Schließlich errichten wir unser Lager auf einer gemähten Wiese, wo in der Nähe ein Bächlein fließt.
Der Pfad in unserer Karte, den wir am nächsten Morgen nehmen wollen, existiert nicht. Das macht allerdings nichts, da wir auch weglos problemlos in den wunderschönen Blumenwiesen hier auf 2700-2800 Meter vorankommen. Unglaublich, dieses bunte Farbenmeer aus blauem Storchnschnabel, gelbem Alant, Platterbsen, Margeriten, Orchideen und zahlreichen anderen Blüten. Bei unserer Hangtraverse erhalten wir ständig fantastische Ausblicke auf den 4858 Meter hohen Tetnuldi und seine zahlreichen Gletscher. Schließlich steigen wir weglos ab, wobei wir an manchen Stellen Flächen des Riesenbärenklau ausweichen müssen. Schließlich erreichen wir das auf 2200 Meter Höhe liegende Tal der Adishala, wo der Hauptweg von Mestia nach Ushguli verläuft. Ein Stück weiter muss der Gletscherfluss überquert werden. Wir laufen einige Zeit lang entlang des Flusses, aber wohin wir auch schauen, der jetzt zur Mittagszeit randvolle Bach sieht überall gefährlich aus, was auch durch das Rumpeln von Felsbrocken unterstrichen wird, die am Grund des Gewässers von der Wucht des Gletscherwassers mitgeschleift werden. Ein Kroate erzählt uns, dass er vor zwei Stunden noch rüber gekommen ist. Dagegen halten es drei Russen, die ihr Lager am Fluss aufgeschlagen haben, es für besser abzuwarten, bis der Wasserstand am nächsten Morgen gefallen ist. Als ich frage, was sie vom Ukraine Krieg denken, zögern sie zunächst, erzählen dann aber, dass sie Zeugen Jehovas seien, die jeden Krieg und auch den Wehrdienst ablehnen, weshalb ihre Religion in Russland verboten sei!
Da wir nichts riskieren wollen, schlagen auch wir schließlich unser Zelt im Birkenwald abseits des Gewässers auf, und verbringen einen relaxen Nachmittag.
Am nächsten Morgen um 6.30 ist der Wasserstand so weit gefallen, dass die Durchquerung des kniehohen Bachs kein Problem mehr darstellt. Eine Zeit lang suchen wir nach der Fortsetzung des Wegs in Sumpf und Weiden am Bach, dann steigen wir auf gutem Pfad hoch zum Chkundheri Pass auf 2722 Meter, von wo sich tolle Ausblicke auf den jetzt ganz nah erscheinenden Adishi Gletscher ergeben. Hier verlassen wir die Hauptroute und folgen einem grasigen Grat weglos aufwärts zum 3036 Meter hohen Chkundheri. Zwar überschreiten wir dabei einige kleinere Gipfel, aber das Vorankommen stellt kein Problem dar. Es gibt hier oben kein Zeichen von Vieh, obwohl die Gegend sicher ehemals als Weide genutzt wurde. Schließlich steigen wir in den Kiefernwald ab. Stellenweise können wir einem ziemlich zugewachsenem alten Hohlweg folgen, aber teilweise bahnen wir uns auch weglos unsere Route durch den steilen Hang, bis wir vor Iprari auf einen Fahrweg gelangen, dem wir dann bergab nach Lalkhori folgen. Wir haben damit gerechnet, hier keine Einkaufsmöglichkeit vorzufinden, daher beschließen wir zurück nach Mestia zu trampen. Zwanzig Minuten lang warten wir, während zweimal ein Auto bei uns hält, was aber jeweils nur eine kurze Strecke fährt. Schließlich hält ein Taxi, das von einem russischen Paar gechartert wurde. Für eine kleine Beteiligung an den Fahrtkosten dürfen wir mitfahren. Vera ist Geologin und hat sich an den Protesten gegen den Krieg beteiligt. Da es ihr in Russland zu gefährlich wurde, ist sie zunächst nach Kasachstan ausgereist und lebt seit März in Georgien. Ilja ist Webdesigner und lebt seit zehn Jahren in Australien. Wir unterhalten uns sehr offen über den Krieg und die russische Politik. Die Beiden glauben, dass vor allem die Menschen auf dem Land noch immer hinter Putin stehen. Nach 30 Kilometern sind wir zurück in Mestia wo sich die von uns gebuchte Unterkunft als ziemlich heruntergekommene Absteige ohne Wlan entpuppt. Daher laufen wir zu einem Guesthouse an dem wir schon vorbei gekommen waren und das auf der sehr informativen Webseite Caucasus-Trekking positiv erwähnt wird. Die Inhaberin Nino Ratiari ist sehr freundlich und spricht gut englisch, unser Zimmer ist schön und das Essen vielfältig und lecker. An so einen Standard könnten wir uns gewöhnen, aber Luxus ist nur wirklich schön, wenn man ihn selten hat…
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